Handelsabkommen : Das sollten Handwerker über den Brexit wissen
Nach den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie droht der TGA-Branche die nächste Hürde: Am 31. Dezember 2020 endet die Brexit-Übergangsfrist. Bisher wurde das Vereinigte Königreich noch wie ein EU-Mitglied behandelt, obwohl es formal bereits ein Drittstaat ist. Dadurch wurde das Teilhaben am europäischen Binnenmarkt sowie an der Zollunion gesichert. Sollte jedoch bis Ende des Jahres kein Handelsabkommen abgeschlossen werden, ändern sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen grundlegend.
Betroffen wären sowohl Dienstleistungen als auch der Warenverkehr. Die Kreditversicherungsgruppe Euler Hermes schätzt den EU-weiten Exportverlust im Falle eines No-Deal-Szenarios auf 33 Milliarden jährlich. Deutschland könnte 8,2 Milliarden an Exportverlusten entgegenblicken. „Für die Briten stehen bis zu 15 Prozent der Exporte in die EU und damit 13,7 Milliarden Euro auf dem Spiel“, erklärt Ana Boata, Leiterin der Makroökonomie bei Euler Hermes. Noch ist nicht alle Hoffnung für ein Abkommen verloren, aber fast alle.
Das sind die wichtigsten Änderungen, auf die sich die Branche vorbereiten sollte:
Ende der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs
2021 verlieren relevante EU-Verordnungen wie die Entsenderichtlinie in Großbritannien ihre Wirkung. Ab dann gilt für Dienstleistungen österreichischer oder deutscher Anbieter, die im Vereinigten Königreich erbracht werden, britisches Recht und für britische Dienstleister in Österreich oder Deutschland EU- und länderspezifische Regelungen. Auch zu berücksichtigen sind die Rahmenbedingungen der Welthandelsorganisation WTO. Es ist damit zu rechnen, dass Dienstleistungsanbieter aus der EU zukünftig nachweisen müssen, alle britischen Vorschriften und Verfahrensabläufe einzuhalten. Sie müssen zudem über die notwendigen Genehmigungen zu verfügen.
Eine Entsendung von Arbeitnehmern für zum Beispiel Montage oder Erfüllung eines Arbeitsauftrages wird weiterhin visum-frei bis zu 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen möglich sein. Überschreitet der Aufenthalt diese Dauer, wird ein Visum benötigt. Aufenthalte von über sechs Monaten erfordern eine Aufenthaltsbewilligung. Voraussetzung für die Entsendung von Arbeitnehmern ist der Abschluss eines Kauf-, Liefer- oder Leasingvertrages zwischen dem Hersteller und dem britischen Kunden über den Montagegegenstand. Unter visafreie Tätigkeiten fallen auch geschäftliche Reisen zu Verhandlungen oder für den Abschluss von Verträgen sowie firmeninterne Weiterbildungen oder Trainings. Für diese Tätigkeiten gelten dieselben Vorschriften. Als Faustregel kann festgehalten werden: Je länger eine Person plant, in Großbritannien zu verweilen, desto strenger wird ihr Aufenthalt bewertet. Auch zu beachten: Die EU-weite Koordinierung der Sozialversicherungssysteme endet bei Austritt des Vereinigten Königreichs. E-Cards werden danach nicht mehr anerkannt. Eine Einreise ist nur noch mit Reisepass möglich, nicht mir Personalausweis.
Personelle Auswirkungen
Was tun, wenn britische Arbeitnehmer im Unternehmen angestellt sind? Sollten diese bereits vor Jahreswechsel in Deutschland oder Österreich wohnen, greift das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht laut Austrittsabkommen. Dieser Aufenthaltsstaus ähnelt dann weitgehend dem eines Unionsbürgers und wird geschützt; Betroffene dürfen weiterhin in Österreich oder Deutschland leben und arbeiten. Sie müssen 2021 aber offiziell ein Aufenthaltstitel nach "Artikel 50EUV" beantragen, um das Aufenthaltsrecht nach Austrittsabkommen zu belegen. Dieser Aufenthaltstitel kann in Österreich im Verlauf des gesamten Jahres 2021 beantragt werden. In Deutschland muss das bis zum 30. Juni 2021 bei der Ausländerbehörde geschehen.
Ab 2021 gelten Briten, die innerhalb der EU beschäftigt werden wollen, als Drittstaatsangehörige. In Österreich kann zum Beispiel eine Rot-Weiß-Rot Karte beantragt werden, durch die eine Niederlassung und Beschäftigung in für 24 Monate genehmigt wird. Auch in Deutschland muss für das Aufnehmen einer Erwerbstätigkeit ein Aufenthaltstitel nachgewiesen werden.
Warenverkehr und Zollerhebung
Wem die oben angeführten Änderungen noch nicht kompliziert genug sind: Willkommen zur Königsdisziplin. Ab dem 1. Januar tritt das britische Zolltarifsystem in Kraft. Circa 60 Prozent aller Waren werden laut den globalen Zollsätzen Großbritanniens zollfrei sein, Zölle unter zwei Prozent werden gestrichen. Die Zollkontrollen sollen stufenweise bis zum 1. Juli umgesetzt werden:
Ab 1. Januar 2021: Mit Ausnahmen können die Zollformalitäten und Zahlung bis zu sechs Monate aufgeschoben werden. Davor ist eine Importanmeldung nötig.
Ab 1. April 2021: Für gewisse Warengruppen gelten strengere Regelungen.
Ab 1. Juli 2021: Keine vereinfachten Konditionen mehr.
Sowohl die Rolle als Importeur als auch als Exporteur bringt ein umfassendes, neues Regelwerk mit sich. Von Zollanmeldung über Wartezeiten für Transportmittel bis hin zu Warenbegleitpapieren – die neue Zollgrenze zum Vereinigten Königreich bringt etliche Aufwände mit sich. Unternehmen benötigen außerdem eine britische EORI Nummer, um Warenverkehr mit dem Vereinigten Königreich zu betreiben. Besonders wichtig für Handwerker: Für Berufsausrüstung wird ein Carnet ATA für den Zoll benötigt – das ist eine Art Reisepass für Waren, die vorübergehend zollfrei in ein Drittland überführt werden sollen.
Umsatzsteuer
Auch mit umsatzsteuerfreien Lieferungen nach Großbritannien ist nach Ende der Übergangsfrist Schluss. Danach wir eine Einfuhrumsatzsteuer fällig. Diese ist je nach Handelsklausel entweder vom britischen Kunden, einer britischen Tochterfirma des österreichischen Lieferanten, oder einem beauftragen Zollagenten abzuführen. Werden Dienstleistungen für britische Unternehmen erbracht, besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit auf ein Reverse-Charge-Verfahren – die Steuerlast trägt dann der britische Kunde. Dies trifft auch für B2B-Versandhandel im Wert von unter 135 GBP zu, muss aber dementsprechend auf der Rechnung vermerkt werden.
Wünsche
Ein übersichtliches Regelwerk wäre nun wünschenswert. Sollte tatsächlich kein Abkommen verabschiedet werden, werden EU wie auch Großbritannien unter den Folgen leiden. Und Träger dieser Folgen sind meist die Wirtschaftstreibenden. In manchen Medien übrigens wird der britische Premierminister Boris Johnson mittlerweile "Brexit-Installateur" genannt. Hoffentlich hat er keinen Wasserrohrbruch verursacht.