Nationalmuseum Katar : Eine Architekturvision wird Realität
TGA: Was sind die wichtigsten Eckdaten zum Projekt in Katar?
Thomas Winterstetter: Im Zuge des Ausbaus der Hauptstadt von Katar zu einem weltweiten Finanz-, Kultur- und Tourismuszentrum wurde in Doha ein neues Nationalmuseum realisiert. Ausgangspunkt für den komplexen Entwurf von Jean Nouvel waren die rosettenartigen Strukturen von sogenannten Sandrosen – Strukturen, die sich in der Wüste bei der Verdunstungskristallisation von Gips bilden. Aus diesem Motiv wurde ein Gebäudekomplex entwickelt, der in der Grundfläche rund 400 mal 250 Meter misst und der eine Höhe von bis zu 40 Meter erreicht. Das Gebäude selbst setzt sich aus 539 diskusförmigen Elementen zusammen, die einen Durchmesser von bis zu 87 Meter haben. Diese Disken sind räumlich zueinander versetzt und überschneiden sich teilweise. Die komplexe Geometrie des Außenraums setzt sich auch im Inneren fort und vermittelt ein einzigartiges Raumerlebnis.
TGA: Welche Vorgaben galt es bei der Planung zu erfüllen?
Thomas Winterstetter: Wir wurden im Mai 2012 gebeten, einen Honorarvorschlag für die Konzeption, Planung und Optimierung der komplexen Gebäudehülle abzugeben. Hyundai kam auf uns zu, weil wir durch die Planung von Projekten wie das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart oder das Heydar Aliyev Center in Baku unsere Kompetenz im Bereich hochkomplexer Geometrien unter Beweis gestellt hatten. Auf der Basis einer Leitdetailplanung und Ausschreibung von Jean Nouvel wurde die Gesamtmaßnahme Ende 2011 an den koreanischen Generalunternehmer Hyundai vergeben. Zentraler Bestandteil des Planungsprozesses war ein BIM-Modell, in das alle beteiligten Fachplaner und ausführenden Firmen ihre Planungsergebnisse kontinuierlich einspeisten und das dann als Grundlage für die Ausführung diente. Das BIM-Modell wurde im Softwaresystem Digital Project von Gehry Technologies geführt. Aufgrund der Größe des Projekts und des extrem hohen Detaillierungsgrades war es zur Bauzeit das größte Modell seiner Art auf der Welt. Eine besondere Herausforderung stellte dabei der baubegleitende Planungsprozess dar. Dieser verursachte permanente Anpassungen des 3D-BIM-Modells in allen Gewerken und erforderte somit ein hocheffizientes Planungsänderungsmanagement. Bestandteile dieses Managements waren u. a. eine automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten.
TGA: Inwiefern wurden bei Planung und Bau die sehr besonderen klimatischen Bedingungen berücksichtigt?
Thomas Winterstetter: Die klimatischen Bedingungen vor Ort waren zum Teil sehr anstrengend. Dem mussten wir mit Maßnahmen wie dem Verschieben eines Großteils der Arbeiten auf die Nachtstunden, dem Einsatz von Arbeitern aus tropischen Herkunftsländern etc. begegnen. Die extremen Temperaturbedingungen betrafen aber nicht nur die Bauarbeiter, sondern auch das Material selbst. Thermisch bedingte Verformungen der Glasfaser-Beton-Paneele insbesondere durch Schwinden mussten produktionstechnisch ausgeschlossen werden. Weitere große Herausforderungen waren das enge Budget ebenso wie die Tatsache, dass die vor Ort verfügbaren Subunternehmer oft nicht über eine mit unseren Breiten vergleichbare Erfahrung und Qualifikation verfügten. Dies machte eine absolut „narrensichere“ Planung und intensive Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen erforderlich.
TGA: Welche waren die ganz besonderen Herausforderungen für Sie als Projektleiter und Planer?
Thomas Winterstetter: Werner Sobek zeichnete für die komplette 3D-Planung aller Metallbau-Komponenten der Sekundärstruktur verantwortlich, inklusive der Werkstattpläne für alle Details und inklusive aller statischen Berechnungen. Dabei galt es, höchst unterschiedliche Schnittstellen und geometrische Verschneidungssituationen in ein durchgehendes, optimiertes Unterkonstruktionssystem zu integrieren. Nur durch den Einsatz modernster parametrischer 3D-Design-Werkzeuge und eines hochspezialisierten Bearbeitungsteams war es möglich, diese komplexe Planungsaufgabe beherrschbar zu machen und sämtliche Pläne fristgerecht und in der notwendigen Qualität und Präzision zur Verfügung zu stellen
Die Fertigung der Stahlbauteile erfolgte in Abu Dhabi. Nach dem LKW-Transport durch die Wüste nach Doha wurden die Segmente vor Ort zusammengesetzt, wobei je nach Anforderung und Verbindungstyp hochfeste Schraub- und Schweißverbindungen zur Anwendung kamen. Die verschachtelte Gebäudegeometrie stellte hierbei sowohl für die Baulogistik als auch für die Gerüstbauarbeiten höchste Anforderungen.
Zum Leistungsumfang von Werner Sobek gehörte neben der Planung auch ein durchgehend auf der Baustelle präsentes Team aus Architekten und Ingenieuren, das für die Baustellenüberwachung, die Schnittstellenklärung, die Koordination und nicht zuletzt auch für das Vermitteln der Planung an die ausführenden lokalen Firmen verantwortlich war. Hierbei spielte nicht nur profundes Fachwissen, sondern auch eine hohe interkulturelle Kompetenz in der Zusammenarbeit mit Beteiligten aus Ost- und Südasien, den Golfstaaten, den USA und Europa eine große Rolle. Die Baustelle selbst erforderte ein höchst ausgeklügeltes System von Anlieferung und Lagerhaltung. Es kamen unter anderem zwölf große Turmdrehkrane und unzählige Mobilkrane zum Einsatz. In Spitzenzeiten waren bis zu 3.500 Arbeiter und 300 Architekten und Ingenieure auf der Baustelle tätig, zum großen Teil im 24/7-Schichtbetrieb. Nur durch den andauernden und hochprofessionellen Einsatz aller Beteiligten und modernste Planungs- und Bautechnik und nicht zuletzt durch den Weitblick und Mut des Bauherrn konnte diese herausragende Architekturvision Wirklichkeit werden.
TGA: Besonders hervorstechend ist die außergewöhnliche Gebäudehülle. Vor welche Herausforderungen wurden Sie dabei gestellt?
Thomas Winterstetter: Insgesamt wurden für das FRC-Cladding inklusive Koordinations-Revisionen etwa 700 GB Daten erzeugt und eingespeist – das sind 12.000 3D-Dateien und circa 4.000 2D-Zeichnungen. Die Paneele folgen einer bestimmten rotationssymmetrischen Logik. Ein radialer Strang von Paneelen ist in Ringrichtung kopiert und ergibt durch seine Fugenzeichnung das insgesamt sehr irregulär, organisch-kristallin erscheinende Bild der Gebäudehülle. Dieses Grundmuster ist bei allen Disken gleich, so dass hierdurch eine gewisse Vereinfachung erreicht werden konnte. Allerdings gibt es über dreißig verschiedene Größen, von neun Meter bis zu 87 Meter Durchmesser, und zahlreiche Überschneidungen von unterschiedlichen Disken, was die Komplexität wieder erhöhte.
TGA: Das Projekt wurde in 3D-BIM geplant. Welche Vorteile sehen Sie in dieser neuen Planungsmethode im Allgemeinen und in Bezug auf das Projekt im Speziellen?
Thomas Winterstetter: Unser Ziel ist es, das Potential von digitalen Werkzeugen optimal zu nutzen. Hierbei geht es nicht nur um einen möglichst effektiven Planungsprozess, sondern auch um die Frage der technischen Realisierbarkeit. Wir arbeiten weltweit an sehr unterschiedlichen Projekten, die aber alle eins gemeinsam haben: Ihre Komplexität ist so groß, dass eine Planung und bautechnische Umsetzung ohne digitale Werkzeuge mittlerweile nicht mehr vorstellbar ist. Als Ingenieure fokussieren wir dabei gezielt auf bestimmte, immer wiederkehrende Fragestellungen. Die wichtigste davon ist: Wie können Kollisionen zwischen unterschiedlichen Gewerken vermieden werden? Welche Lösung ist zugleich ökonomisch und funktional vorteilhaft – und erfüllt den Gestaltungsanspruch, den wir selbst all unseren Arbeiten zugrunde legen?
Die Nutzung von BIM ermöglicht uns eine schnelle, präzise und detaillierte Kommunikation mit anderen Planern ebenso wie mit dem Bauherrn und den ausführenden Firmen. BIM beschleunigt und erleichtert interne ebenso wie externe Abstimmungsprozesse. Wir können die Auswirkungen unterschiedlicher Ansätze auf das Gesamtkonstrukt ebenso wie auf einzelne Gewerke so mit relativ überschaubarem Aufwand überprüfen.
Bei vielen Projekten sind BIM-Modelle an Berechnungsmodelle gekoppelt, so dass es einen permanenten Qualitätsabgleich über die Grenzen einzelner Software-Programme hinaus geben kann. Dazu verwenden wir BIM-Modelle zur gewerkeübergreifenden Kollisionskontrolle, zur Erzeugung von Plänen und zur Mengenermittlung. BIM spielt bei unserer Arbeit also eine zentrale Rolle.
Nur dank des hochkomplexen BIM-Modells war es möglich, die hohe geometrische Komplexität des Projekts in den Griff zu bekommen. Solch ein BIM-Modell ist faktisch ein ständig in Veränderung befindlicher Organismus, es ist eine virtuelle Baustelle, die wächst und sich verändert, an der permanent und auf unterschiedlichen Ebenen an unterschiedlichen Stellen gearbeitet wird. Das gesamte Planungsteam umfasste Dutzende von Firmen überall auf der Welt. Allein die Firmengruppe Werner Sobek war mit drei Büros beteiligt, die sich auf drei Kontinente verteilen. Voraussetzung für den erfolgreichen Umfang mit einem so komplexen Gebilde ist technologische Kompetenz, sowohl im Engineering als auch im Umgang mit den BIM-Werkzeugen selbst. Benötigt wird aber trotz aller Digitalisierung immer auch eine Präsenz vor Ort. Allein für die Planungskoordination hatten wir durchgehend ein eigenes Team von bis zu vier Mitarbeitern auf der Baustelle.
Thomas Winterstetter wird auf der TGA-Konferenz am 24. Oktober noch genauer auf das Projekt eingehen. Hier geht es zur Anmeldung.