Gebäude der Zukunft : Wie wir die Dekarbonisierung des Gebäudesektors bis 2040 schaffen
Der Klimawandel und die damit verbundenen Risiken und notwendigen Kompensationsmaßnahmen stellen für unsere Gesellschaft eine der wesentlichen Herausforderungen der nächsten Jahre dar. Österreich hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 bilanziell treibhausgasneutral zu sein. Nicht zuletzt seit dem Ukraine-Krieg wird die Debatte um einen verfrühten Ausstieg aus fossilen Energieträgern, allen voran Erdgas, zusätzlich befeuert. Doch wie schaffen wir es den Gebäudesektor in den nächsten 18 Jahren zu dekarbonisieren - und warum könnten ausgerechnet Neubauten jene Ziele gefährden?
Carbon Footprint der Konstruktion
Der Gebäudesektor ist weltweit für etwa 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich und somit ein wesentlicher Treiber der Klimakrise. Bei näherer Betrachtung der Zahlen wird deutlich, dass heute die Energiebereitstellung in Form von Wärme, Strom und Kälte, nur etwa die Hälfte jener Emissionen verursacht. Ein erheblicher Anteil entfällt auf die energieintensive Baustoffherstellung von Zement, Stahl, Glas und Gipskarton. Um CO2-Emissionen bzw. die Umweltauswirkungen von Gebäuden bewerten und in weiterer Folge reduzieren zu können, ist somit neben der Energieversorgung der Fokus speziell auf den Carbon Footprint der Konstruktion zu legen.
Die fünf Lebenszyklusphasen eines Gebäudes
Um jene materialbedingten Emissionen besser verstehen zu können, hilft ein Blick in die DIN EN 15978, welche die einzelnen Lebenszyklusphasen von Gebäuden beschreibt. Diese lassen sich grundsätzlich in die Abschnitte Herstellung, Errichtung, Nutzung, Entsorgung und „Second Life“ gliedern. Die Herstellungsphase beinhaltet hierbei jene Emissionen, die auf die Rohstoffbereitstellung, notwendige Transportwege und die Herstellung der Baumaterialien und -stoffe zurückzuführen sind. Die Errichtungsphase umfasst den Transport der Baustoffe zum Baufeld sowie den Bau des Gebäudes. Die Nutzungsphase erfasst jene Emissionen, die der Betrieb des Gebäudes verursacht, wobei hier die Instandhaltung, der Austausch und Ersatz von Bauteilen, sowie der Energie- und Wassereinsatz ausschlaggebend sind. Um die Emissionen der Entsorgungsphase zu erfassen, werden der Abbruch des Gebäudes, der Abtransport von Baumaterialien und -schutt, die Abfallbehandlung und Deponierung betrachtet. Auch das „Second Life“ eines Gebäudes bzw. von Materialien kann bilanziert werden, welches das Wiederverwendungs-, Rückgewinnungs- und Recyclingpotential ausweist.
Treibhausgasbudget ist nahezu ausgeschöpft
In den letzten Jahrzehnten wurde der Fokus konstant auf die Reduktion der Betriebsenergie, insbesondere der Minimierung des Heizwärmebedarfs, gelegt. Hinzu kamen Bemühungen, regenerative Energie in Form von Photovoltaik und Wärmepumpen gezielt zu fördern, um so auch die CO2-Emissionen der Energieversorgung von Gebäuden kontinuierlich zu senken. Nun stellt sich jedoch immer mehr die Frage, wie auch die derzeit noch nicht betrachteten materialbedingten Emissionen vollumfänglich reduziert werden können. Neben dem Einsatz von CO2-armen Baustoffen wie Holz ist ein generelles Umdenken im Umgang mit Neubauten notwendig.
Bestehende Materialien, Gebäudeteile und ganze Gebäudestrukturen haben durch deren Herstellung bereits einen Großteil ihrer Lebenszyklusemissionen emittiert, welche der Atmosphäre nicht mehr entnommen werden können. In Anbetracht einer strikten Klimapolitik wäre das Treibhausgasbudget für den Gebäudesektor zur Einhaltung des 1,5°C-Ziels in Industrieländern infolgedessen bereits nahezu aufgebraucht. Einer kürzlich veröffentlichten Studie der Werner Sobek AG zufolge, dürften die materialbedingten Emissionen von Neubauten bis zum Jahr 2050 so nur mehr rund 32,2 kgCO2,eq/m³BRI ausmachen. Neubauten verursachen heute jedoch etwa 3 bis 5 mal so viele Emissionen. Dies zeigt auf, dass trotz erneuerbarer Energieversorgungen und höchster Energieeffizienzstandards von Gebäuden, die angestrebten Klimaziele derzeit außer Reichweite liegen.
Graue Emissionen der TGA: Noch nicht am Schirm
Die Baustoffindustrie ist sich ihrer Verantwortung bei der Reduktion der materialbedingten Emissionen durchaus bewusst und daher bereits seit Jahren intensiv am Erforschen neuer Ansätze. Auch durch den Trend zu alternativen Materialien und nachwachsenden Rohstoffen wie Holz ist die mineralisch dominierte Baustoffwelt etwas unter Zugzwang geraten. Außen vor ist bis dato die technische Gebäudeausrüstung, die das Thema der grauen Emissionen noch nicht am Schirm hat. Und das, obwohl bei hochtechnisierten Gebäuden der Anteil der grauen Emissionen der TGA auf bis zu 40 Prozent ansteigt – bei einem Masseanteil von nur rund 3 bis 5 Prozent der Gesamtkubatur.
Cradle-to-Cradle auf TGA ausweiten
Die TGA verbaut größtenteils energieintensive Bauteile und seltene Rohstoffe, die wiederum zu massiven Umweltauswirkungen führen. Grundsätzlich muss hier in Zukunft das gleiche gelten wie für Baustoffe: Ein Re-Use von Materialien und ein sortenreiner Rückbau muss gewährleistet sein. Dies betrifft alle TGA-Bauteile, da diese mit einer Lebensdauer zwischen 7 und 25 Jahren eine kürzere Haltbarkeit aufweisen als die meisten Baustoffe. Das Cradle-to-Cradle-Prinzip muss auf die TGA ausgeweitet werden und ein sortenreiner Rückbau muss gewährleistet werden. Das Einbetonieren von TGA, das Verkleben und Verunreinigen sowie die Verwendung von nicht-recyclingfähigen Materialien und Bauteilen ist ein wesentlicher Grund für verbleibende CO2-Emissionen und behindert die Dekarbonisierung des Gebäudesektors maßgebend.
Um das 1,5°C-Ziel gemäß Pariser Klimaabkommen einhalten zu können, bedarf es also eines Paradigmenwechsels in der Baubranche. Bestehende Gebäude müssen sorgsam saniert und bereits verbaute Materialien wiederverwendet oder einem Recyclingprozess zugeführt werden, um so keine CO2-intensiven Rohstoffverarbeitungen mehr zu provozieren. Alle neuen Materialien und speziell jene der technischen Gebäudeausrüstung müssen so eingesetzt werden, dass zukünftige Generationen diese möglichst einfach, energie- und emissionsarm einem Re-Use zuführen können.
Welches Einsparungspotential eine Sanierung gegenüber einem Neubau aufweisen kann, wurde im Zuge der Planung eines Bürogebäudes in Wien durch ATP sustain GmbH aufgezeigt. Durch die Wiederverwendung des bestehenden Rohbaus in Stahlbeton-Skelettbauweise und die Neuerrichtung der Fassade in Holzrahmenbauweise können die grauen Emissionen des Gebäudes um 55 Prozent reduziert werden. Zusätzlich ermöglicht eine Energieversorgung mit 100 Prozent lokaler, erneuerbarer Energie in Form von Geothermienutzung und PV-Anlagen auf dem Dach und in der Fassade einen klimaneutralen Gebäudebetrieb. Durch einen jährlichen PV-Überschuss können rein bilanziell sämtliche materialgebundenen CO2-Emissionen über den Lebenszyklus des Gebäudes vor Ort kompensiert werden.