ÖVGW : Ohne Grünes Gas sind die Klimaziele chancenlos
Michael Haselauer ist mitten in einer intensiven Diskussion gelandet, und das gleich zu Beginn seines Amtsantritts: Seit Jänner 2021 hat der Geschäftsführer der Netz Oberösterreich GmbH für zwei Jahre die Präsidentschaft der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach übernommen und hat in dieser Funktion gleich zu Beginn betont, dass "Grünes Gas alle Voraussetzungen mitbringt, um die Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen". Am 4. Februar trat Heinz Kopetz, langjähriger Präsident und Vordenker des Biomasse-Verbands sowie Aufsichtsrat des steirischen Landesenergieversorgers, unter dem Titel Die Traumwelt der Gaswirtschaft den diesbezüglichen Vorstellungen der Gasversorger vehement entgegen. Dieser gewichtigen Stimme in Österreichs energiepolitischer Landschaft antwortet zuerst ÖVGW-Geschäftsführer Michael Mock mit dem Bekenntnis Energiewende braucht Grünes Gas.
Michael Haselauer und Michael Mock legen im Interview mit tga.at nach und argumentieren, warum Grünes Gas besonders im Raumwärmemarkt unverzichtbar sein wird. Ein Gespräch über die Dezentralisierung des Energiesystems, die Hoffnungsträger KWK und Brennstoffzelle, böse Unterstellungen, Gas als Garant gegen den Blackout sowie - natürlich - Feinstaub.
TGA: Herr Präsident, welche Rolle hat Gas im zukünftigen Energiesystem?
Michael Haselauer: Gas wird noch jahrzehntelang eine entscheidende Rolle spielen. Österreich verbraucht jährlich rund 400 GWh an Energie, davon werden etwa 90 GWh durch gasförmige Energieträger abgedeckt. Man muss sich fragen, ob es überhaupt schlau ist, das substituieren zu wollen: Methan ist die einfachste Kohlenwasserstoffverbindung, die es gibt. Es ist ein homogenes Gas, das aus einer Vielzahl an Quellen gespeist werden kann.
Welche Quellen sprechen Sie da besonders an?
Haselauer: Wir setzen stark auf die Verwertung der Reststoffkette. Aus Kläranlagen oder Mülldeponien steigt Methan schon von alleine auf natürlichem Weg auf. Dieses Potenzial wollen wir vermehrt energetisch nutzen. Das hat wesentliche Vorteile, vor allem im Unterschied zu Biogasen, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden müssen. Der Anbau der nötigen Biomasse für die Methanerzeugung in großem Stil ist ein starker Eingriff in natürliche Kreisläufe. Wir müssen uns fragen, ob wir das wirklich sollen.
Österreich ist eine Energiesenke
Sie betonen als ÖVGW seit längerem das Potenzial von Grünem Gas. Und doch wird derzeit und in Zukunft praktisch ausschließlich fossiles Gas genutzt, wie geht das zusammen?
Haselauer: Wir müssen uns bewusst sein, dass Österreich eine Energiesenke ist und auf absehbare Zeit von Energieimporten abhängig bleiben wird. Grünes Gas ist für uns vor allem im Bereich der Raumwärme interessant. Hier auf regenerative Quellen umzusteigen, ist auch ein deklariertes politisches Ziel in Österreich. Dabei gibt es zwei Stoßrichtungen: Im Gebäudebestand, in dem ein Großteil der Menschen lebt, wird sehr häufig noch mit Öl und eben mit Gas geheizt. Wenn wir hier regenerative Gase einsetzen, bleibt die Infrastruktur erhalten. Damit kann die breite Masse der Bestandskunden ohne zusätzliche Investitionen erreicht und der Biogasanteil sukzessive erhöht werden, anstatt nur einzelne Projekte mit hohen Förderungen umzusetzen.
Was ist die zweite Stoßrichtung für grünes Gas in der Raumwärme?
Haselauer: Das ist die dezentrale Biomasse-Produktion. Plakativ gesagt: Methangas aus Gülle oder Kläranlagen wird technisch gesehen nie im Stahlwerk landen, das ist ineffizient. Das muss dezentral verwendet werden!
Fünf Milliarden Kubikmeter Grünes Gas pro Jahr
Wie hoch schätzen Sie das Potenzial des von Ihnen forcierten „Grünen Gas“? Ist überhaupt genugvorhanden?
Michael Mock: Wir haben 2019 gemeinsam mit dem Biomasse-Verband die entsprechenden Potenziale geprüft. Dabei wurde erhoben, wo es geeignete Reststoffe gibt, bei denen wir als Gaswirtschaft niemandem etwas wegnehmen – beispielsweise Borkenkäfer-Holz, das in der Papierindustrie oder anderen Wirtschaftszweigen nicht genutzt werden kann. Alles in allem sind wir auf ein theoretisches Potenzial von 4-5 Mrd. m3 Grünem Gas gekommen, das in Österreich gewonnen werden könnte – 50 Prozent des gesamten derzeitigen Inlandsgasverbrauchs, das reicht für Zwecke der Raumwärme also locker! Was dafür fehlt ist eine entsprechende Förderungsstruktur, um diesen Umbau voranzutreiben. Viel Zeit ist nicht mehr, laut Regierungsprogramm wollen wir ja bis 2040 klimaneutral werden.
Nun wird Gas ja nicht nur in der Raumwärme, sondern vor allem in der Industrie und in der Energieerzeugung genutzt. Wie lautet ihr Lösungsansatz hier?
Mock: Die Industrie wird sicher nicht nur regional erzeugtes Biogas nutzen, hier werden Wasserstoff-Technologien zum Einsatz kommen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass alleine die Voest in etwa so viel Gas verbraucht wie alle österreichischen Haushalte zusammen. Derzeit wird darüber diskutiert, ein internationales Wasserstoff-Pipeline-Netz aufzubauen, etwa um Windgas aus der Nordsee oder Solargas aus Nordafrika verfügbar zu machen. Auch in Russland, wo es ebenfalls weite, ungenutzte Landstriche gibt, gibt es dafür genügend Ideen: Etwa, bestehende Gas-Pipelines für den Wasserstofftransport zu nutzen, um so Großverbraucher zu versorgen.
Besteuerungen wegnehmen
In jedem Fall entstehen durch den von Ihnen vorgeschlagenen Umbau des Energiesystems massive Mehrkosten. Können Sie das beziffern?
Haselauer: Die Industrie ist wegen der Mehrkosten bei der Umstellung auf regenerative Energieträger sehr zurückhaltend. Sie steht im internationalen Wettbewerb und kann die Mehrkosten nur dann einpreisen, wenn es die ganze Welt umsetzt – daher wird es da keinen österreichischen Sonderweg geben können. Anders sieht es in der Raumwärme aus: Da wäre schon viel gewonnen, wenn wir die Besteuerungen wegnehmen. Bei einem Gasausstieg entgehen dem Staat diese Einnahmen ohnehin.
Mock: Seriöserweise können wir den Preisanstieg noch nicht beziffern. Erst wenn die Rahmenbedingungen und das Fördersystem geklärt sind, können wir eine Preisentwicklung berechnen. Aber es ist für den Konsumenten der kostengünstigste Weg: Um ein Heizsystem zu erneuern und dabei den Energieträger zu wechseln, ist ein höherer 5-stelliger Betrag nötig. Wenn wir andererseits den Anteil an Grünem Gas schrittweise erhöhen, ist das eine schrittweise Anpassung, die vor allem am Anfang kaum spürbar ist und wo der Preisanstieg für den Konsumenten durch den Wegfall der Erdgasabgabe auf den regenerativen Anteil nochmal gebremst wird. Eines muss uns aber klar sein: Die Energiewende kostet etwas, egal ob im Gas-, Fernwärme- oder Strombereich!
Technologischer statt ideologischer Zugang
Wie weit die Meinungen und Wünsche auseinandergehen, zeigen die aktuellen Diskussionen rund um das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz, um das hart gerungen wird. Was ist ihre Position dazu?
Haselauer: Wir wollen Verbote vermeiden. Wir wollen der Bevölkerung Lösungen bieten. Dafür schauen wir uns an, was technologisch möglich ist. Ein Beispiel sind die schwankenden Gasqualitäten bei regenerativen Quellen: Es muss geprüft werden, wie die Verbrauchsanlagen damit umgehen können – und sie können das weitgehend –, und welche Brennwerte sie erreichen – in der Regel weniger hohe. Ein Lösungsansatz ist eine Umstellung auf kalorische Abrechnung. Das ist ein Beispiel für unseren Zugang: Wir stehen für einen technologischen und nicht für einen ideologischen Zugang.
Der „technologische Zugang“ betrifft wohl auch die Brennstoffzelle und KWK-Anlagen, die Sie als ÖVGW explizit als Zukunftstechnologien nennen. Jetzt sind das schon seit 20 Jahren die Hoffnungsträger für den Raumwärmemarkt: Warum glauben Sie, dass sich die Hoffnung nun endlich erfüllen wird?
Haselauer: Schauen wir nach Fernost. Japan setzt stark auf die Brennstoffzelle, da sind mehrere hunderttausend Anlagen in Betrieb. Die Technologien funktionieren, sie haben sich in Österreich am Markt bisher nur deshalb nicht durchgesetzt, weil der Energiepreis so niedrig ist und sich der Mehraufwand nicht gelohnt hat. Das wird sich ändern, weil der Preis für die Technologie sinkt: Eine KWK-Anlage, für die noch vor wenigen Jahren über 20.000 Euro zu bezahlen war, kostet jetzt keine 10.000 mehr.
Mock: In Japan ist es zudem so, dass die Energieversorger den Betrieb von KWK-Anlagen sponsern – mit der Auflage an die Betreiber, dass die Energieversorger diese im Notfall fernsteuern und zum Netzausgleich oder zur Stromerzeugung nutzen dürfen. Das Energiesystem ändert sich, in diesem Stil eingesetzte Smart Grid-Technologien werden uns helfen, das Stromnetz zu stabilisieren. Wie nötig das ist, haben wir zuletzt am 8. Jänner bei dem Beinahe-Blackout gesehen.
Die rotierenden Massen haben uns gerettet
Erdgas in der Stromversorgung ist nach diesem Anlassfall als Thema stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Warum ist das so?
Haselauer: Wir haben gesehen, dass uns die rotierenden Massen der traditionellen Stromerzeugung vor dem Blackout gerettet haben. Tonnenschwere Turbinen in Wasser- und Gaskraftwerken haben das Netz stabilisiert. Es reicht nicht, Gaskraftwerke als Backup in Reserve zu halten. Im Notfall brauchen diese auch eine Stunde, um aus dem kalten Zustand hochzufahren. Gaskraftwerke müssen zur Netzstabilität mitlaufen, dazu müssen wir uns im Sinne einer Blackout-Prävention bekennen. Im Sommer ist es ideal, wenn jede verfügbare Kilowattstunde an erneuerbarem Strom ins Netz eingespeist wird, aber im Winter brauchen wir die Kapazitäten der Gaskraftwerke. Denken Sie nur an den Jänner 2017, als es wochenlang minus 20 °C hatte, kein Wind ging, die Wasserstände ganz unten waren, die PV- Anlagen kaum liefern konnten und auch die nukleare Stromerzeugung weitestgehend weggefallen ist. Da wurde Europa von den Gaskraftwerken gerettet.
Mock: Im Winter ist die Stromproduktion bei uns zudem mit der Fernwärme gekoppelt. Die dafür nötigen großen Mengen Gas durch Wind- oder Sonnenenergie zu substituieren ist illusorisch. Österreich importiert zudem im Winter bis zu 40 Prozent seines Stroms, das ist dann Kohle- oder Atomstrom, weil die Erneuerbaren wegfallen. Wenn wir jetzt noch die Gaskraftwerke abbauen würden, wäre das ein echter Pyrrhussieg für die Energiewende.
Neue Stakeholder wollen natürlich etwas verdienen
Den Trend zum dezentralen Energiesystem haben Sie schon angesprochen, ein Thema das von den Energieversorgern lange Zeit nicht sehr gerne gesehen wurde. Hat sich das geändert?
Haselauer: Als Gasversorger verdienen wir kaum an der Erzeugung von Energie, das Erdgasaufkommen in Österreich ist verschwindend gering. Mit dem Trend zu regenerativer Energie auch im Gassektor gibt es neue Stakeholder im Markt, die Erzeuger dieser Energieformen wollen natürlich auch daran verdienen. Uns geht es um die Versorgungssicherheit, unsere Wertschöpfungskette beruht auf dem Bereitstellen der Infrastruktur. Es ist eine böse Unterstellung, dass wir als Gasnetzbetreiber Pfründe zu verteidigen hätten, oder Präferenzen, wo das Gas herkommt. Anders verhält es sich beim Stromnetz, wo die Dezentralität große Herausforderungen für die Netzbetreiber mit sich bringt und die Speicherung DAS Thema ist. Wir haben ein Rohr- und Speichersystem ohne jede Kapazitätsengpässe.
Gerade wegen dieser Neutralität überraschte es mich, dass Sie zuletzt die Umstellung auf Gasheizungen explizit als Alternative zum Heizen mit Öl zur Sprache gebracht haben. Hier Sind für den Endkunden doch auch Investitionen in Anlageninfrastruktur nötig, warum forcieren Sie das?
Haselauer: Weil es noch das Günstigste ist. Aber natürlich nur wenn ein Gasnetz in der Nähe ist. Wenn die Ölheizung sich nicht in einem Verdichtungsbereich befindet, ist Gas freilich keine Antwort. Wir sind gegen Verbote, 600.000 Haushalte heizen noch mit Öl – aber wenn das tatsächlich passiert, was tun diese Menschen dann? Den betroffenen Familien rinnt das Geld ja auch nicht bei den Ohren raus, die brauchen eine leistbare Lösung.
Mock: Nehmen wir das Beispiel Tirol, wo in vielen Tälern aus historischen Gründen Ölheizungen üblich sind. Da sind nicht nur finanziell, sondern aufgrund der Topographie und der Wetterlage, Biomasse-Anlagen keine Antwort (Stichwort: Feinstaub). Mit regenerativem Gas betriebene Gasheizungen sind die günstigste Alternative und obendrein feinstaubfrei.
Sicherstellung der Versorgung
Letzte Frage: Der Umbau von der alten G1 zur GK, ist der für Sie in dieser Form abgeschlossen oder werden da noch Änderungen kommen?
Haselauer: Nur geringfügige. Die größte Änderung war die Umstellung auf ein neues Regelwerk, da die alte G1 nach 50 Jahren zu einem Wälzer in Telefonbuchdicke angewachsen war. Es ging uns vor allem darum, dass für unsere Installateure bei einer kleinen Änderung nicht das ganze Werk neu gemacht werden muss, sondern nur mehr das betroffene Kapitel. Das ist übersichtlicher und wesentlich billiger.
Das neue Regelwerk ist wieder für mindestens 50 Jahre angelegt?
Haselauer: Wenn wir dann noch Gas installieren dürfen, ja! Das führt mich zur Gründungsidee der ÖVGW, lassen Sie mich kurz noch ausholen. Ursprünglich, vor 140 Jahren, begann in den urbanen Räumen die Versorgung mit Wasser und Gas, damals noch Stadtgas. Erst nach dem zweiten Weltkrieg hat die Umstellung des Energiesystems auf Gas begonnen, als man politisch auf das Lieferantenland Russland gesetzt und somit entscheidende Weichen gestellt hat. Der Investitionsauslöser war aber nie das Einfamilienhaus oder die Raumwärme, sondern immer das Gewerbe, die Industrie. Das Netz in Österreich ist auch überhaupt nicht homogen, während Wien seit dem 19. Jahrhundert Gas kennt, ist das Netz in Tirol jünger als 40 Jahre. Der ÖVGW ging es als Zusammenschluss der Netzbetreiber immer um die Sicherstellung der Versorgung. Ob das Methangas in Zukunft aus Russland kommen wird oder aus Österreich, ist dafür zweitrangig.
… allerdings geht der Bau von Nord Stream II gerade in die Endphase, was sicherstellt das das Gas auch in 50 Jahren noch hauptsächlich aus Russland kommen wird.
Haselauer: Das ist eine politische Frage, die von uns nicht kommentiert wird. Wir wissen, dass die großen Klimaziele, die Klimaneutralität des Landes bis 2040 ohne Grünes Gas chancenlos ist.
Danke für das Gespräch!