Aus TGA 10: Kolumne : Laesio enormis auch bei Pauschalvereinbarungen

Eine Person in Anzug hält ein rotes Paragrafen-Zeichen in der Hand.
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Das Rechtsinstitut der laesio enormis (= Verkürzung über die Hälfte) gemäß § 934 ABGB bestimmt, dass ein Vertragspartner, der nicht einmal die Hälfte des Wertes seiner Leistung erhalten hat, vom Vertrag zurücktreten kann. Diese Bestimmung kommt selbst bei einer Pauschalpreisvereinbarung zur Anwendung.

Allgemeines zur laesio enormis

Bei der laesio enormis liegt ein objektives Wertmissverhältnis zweier Leistungen vor. Leistet ein Vertragspartner weniger als die Hälfte dessen, was die Gegenleistung wert ist, kann der Vertrag angefochten werden. Damit wird das Ziel verfolgt, Verträgen, die eine Partei massiv benachteiligen, keinen Bestand zu geben. Die Regelung ist zwingend, zu Lasten eines Unternehmers kann sie jedoch vertraglich ausgeschlossen werden.

Allgemeines zu Pauschalvereinbarungen

Bei Pauschalvereinbarungen werden die einzelnen preisbildenden Faktoren nicht offengelegt. Wird ein Werk beispielsweise nur funktional, ohne genauere Angaben über Menge und Maß beschrieben, liegt eine Pauschalvereinbarung vor. Daraus resultiert bei Werkverträgen, dass keine Preiserhöhung mehr vorgenommen werden darf, selbst wenn das Werk mehr Arbeit in Anspruch nimmt als vorgesehen wurde. Daher trägt der Werkunternehmer das finanzielle Risiko der Mehrarbeit.

Sachverhalt (OGH 30.03.2021, 10Ob3/21w)

Ein Hauseigentümer beauftragte ein Bauunternehmen, an seinem Wohnhaus eine neue Fassade herzustellen. Dafür wurde ein Pauschalpreis von € 6.000,00 vereinbart. Nach Beginn der Arbeiten lehnte das Bauunternehmen es ab, die Arbeiten zu den gegebenen Vereinbarungen weiterzuführen, da ihre noch zu erbringenden Leistungen den Wert der Zahlung um mehr als das Doppelte überstiegen. Der Hauseigentümer vertrat die Meinung, eine Anfechtung wegen laesio enormis sei bei Pauschalvereinbarungen ausgeschlossen.

Rechtliche Beurteilung des OGH

Nach Ansicht des OGH geht der Anspruch auf Anfechtung wegen laesio enormis nur verloren, wenn der Vertragspartner schon vor Vertragsabschluss das grobe Missverhältnis kennt. Daher besteht auch bei einer Pauschalvereinbarung das Recht, den Vertrag gemäß § 934 ABGB anzufechten. Voraussetzung ist nur, dass der Benachteiligte im Vorhinein nicht wusste, dass seine Leistung die Gegenleistung um mehr als das Doppelte übersteigt. Es wird auch nicht verlangt, dass sich die Parteien vor Vertragsabschluss über das Wertverhältnis informieren.

Fazit

Eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte ist auch dann möglich, wenn die Vertragsparteien im Vorhinein einen Pauschalpreis vereinbart haben. Voraussetzung ist, dass das grobe Missverhältnis der beiden Leistungen dem Vertragspartner unbekannt war.