Forschung : Neue Professur „Nachhaltiges Bauen“ an der TU Graz
Alexander Passer ist Inhaber der neuen Professur „Nachhaltiges Bauen“ an der TU Graz. Im Fokus stehen die lebenszyklusbasierte Nachhaltigkeitsbewertung sowie emissionsarme, klimarobuste Bauweisen. Stifter ist der Fachverband der Stein- und keramischen Industrie. Der Bauingenieur hat sich dem Thema der Nachhaltigkeit im Bauwesen schon lange intensiv gewidmet: Passer leitet die „Arbeitsgruppe Nachhaltiges Bauen“ an der TU Graz, ist wissenschaftlicher Leiter des Universitätslehrgangs „Nachhaltiges Bauen“ von TU Graz und TU Wien sowie Vorstandsmitglied des Climate Change Centre Austria (CCCA). Kürzlich wurde er als wissenschaftlicher Berater für den Bereich Bauwesen in den vom BMK eingesetzten „Klimarat der Bürgerinnen und Bürger“ nominiert. Im Rahmen der mit Jänner 2022 gestarteten Stiftungsprofessur widmet sich der Bauingenieur den Schwerpunktthemen Klimaneutralität im Bauwesen, der Modellierung des Gebäudelebenszyklus und Methoden der lebenszyklusbasierten Nachhaltigkeitsbewertung nun noch intensiver.
Der Bausektor birgt als großer Einzelverursacher von Treibhausgasen enormes Potential im Kampf gegen die Klimakrise. Das ist einer der Bereiche, in denen wir das Ruder unbedingt herumreißen müssen.TU-Graz-Rektor Harald Kainz
Eigenständige wissenschaftliche Disziplin
„Als österreichische Baustoffindustrie unterstützen wir die TU Graz bei der Etablierung des wissenschaftlichen Fachs 'Nachhaltiges Bauen' mit einer Stiftungsprofessur. Diese schafft aus unserer Sicht ideale Voraussetzungen für die Entwicklung von praxisnahen nachhaltigen Bauweisen, Bewertungsmethoden und neuen Modellen“, ergänzt Robert Schmid, Obmann des Fachverbands Steine-Keramik.
Die Einrichtung der Stiftungsprofessur „Nachhaltiges Bauen“ unterstreicht die Nachhaltigkeit von Gebäuden als eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Sie soll eine zentrale Anlaufstelle für die Baustoff- und Bauindustrie darstellen. Darüber hinaus positioniert sich Passer als strategischer Partner für renommierte nationale und internationale Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist die Weiterentwicklung und praxisgerechte Aufbereitung der Ökobilanzierung, ein Instrument für den rechnerischen Nachweis der Umweltwirkungen eines Gebäudes über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg. Zudem soll die Umsetzung von nahezu emissionsfreien und klimarobusten Bauweisen forciert werden. Dafür sollen konkrete Wege zur Erreichung der Klimaneutralität im Bauwesen, innovative Baustoffe und Baumethoden sowie entsprechende Bewertungswerkzeuge zur Unterstützung des Bausektors entwickelt werden.
CO2-Sünder Bausektor
Rund 40 Prozent des EU-weiten Energieverbrauchs und etwa 36 Prozent der CO2-Emissionen können dem Bausektor zugerechnet werden. Gebäude und Infrastrukturbauwerke sind damit die größten Einzelverursacher von Treibhausgasen. Unter dem Begriff „Nachhaltiges Bauen“ wird seit zwei Jahrzehnten versucht, die Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung auf das Bauwesen anzuwenden: Bauwerke sollen ganzheitlich und aus der Lebenszyklusperspektive betrachtet geplant, errichtet und betrieben werden. Das Ziel ist, keine Altlasten für künftige Generationen zu hinterlassen, sondern vielmehr einen Mehrwert. „Das rechtsverbindliche Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050, das im europäischen Green Deal festgehalten ist, führt zu einer verstärkten Nachfrage nach innovativen und klimaschonenden Baustoffen und Bauweisen. Gleichzeitig wird es zunehmend komplexer, die einzelnen, zahlreichen Aktivitäten zu überblicken, um das Ziel zu erreichen“, erklärt der neue Stiftungsprofessor Alexander Passer. In der täglichen Baupraxis zeige sich, dass die Umsetzung eines nachhaltigen Bauens noch auf Hürden und ungelöste Probleme stoße.
Lösungen für gesamte Wertschöpfungskette
Nachhaltigkeit ist ein Imperativ, der ganzheitliches Denken verlangt.Alexander Passer
Passer führt weiter aus: „Biodiversität und Landverbrauch sind ebenso mitzudenken wie die Umweltverträglichkeit der Baustoffe und der Energieverbrauch der Gebäude.“ Die Herausforderungen, die mit der Klimakrise einhergehen seien eindeutig zu komplex für Einzelgänger. Es brauche Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette im Bauwesen.
Passer wird künftig in den Fakultäten für Architektur sowie für Bauingenieurwissenschaften in Forschung und Lehre wirken. Angesiedelt ist die Stiftungsprofessur am Institut für Tragwerksentwurf (ITE) der Architekturfakultät der TU Graz. Stefan Peters, Leiter des Instituts für Tragwerksentwurf, erwartet mit dem erweiterten Team des Instituts einen deutlichen Schub in der Entwicklung neuer Lösungen für die tägliche Baupraxis: „Für die Errichtung von Baukonstruktionen werden in naher Zukunft neue Planungs-, Bewertungs- und Baumethoden zur Anwendung kommen müssen, um die auf europäischer Ebene vereinbarten Klimaziele zu erreichen.“
Forschungszentrum im Entstehen
In den Startlöchern steht zudem ein neues Forschungszentrum für Nachhaltiges Bauen, das die Aktivitäten mehrerer Gruppen zu Nachhaltigkeitsfragen im Bausektor an der TU Graz zusammenführen soll. Das Zentrum soll bis Mitte 2022 offiziell aus der Taufe gehoben werden und führt in den fünf strategischen Handlungsfeldern Städte und Regionen, Entwurf und Konstruktion, Material und Ressourcen, digitale Verfahren sowie Bewertungsmethoden gezielt Kompetenzen aus unterschiedlichen Instituten und Fakultäten zusammen.