Messen zu Pandemie-Zeiten : Zwischen dem Wunsch nach analoger Realität und virtueller Wirklichkeit

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Die SHK Essen im März, die IFH Intherm im April, im September die Light + Building und im November die GET Nord: Für Messeveranstalter bestand die Hauptaufgabe in diesem Jahr darin, Messen abzusagen oder zu verschieben. Durch die Absagen sollen in Deutschland Verluste von bis zu 9,3 Milliarden Euro entstehen und 76.000 Arbeitsplätze wegfallen, so eine Berechnung des Instituts der Deutschen Messewirtschaft von Mitte April. Die deutsche Messebranche ist deutlich angeschlagen, lässt sich aber dennoch – vorerst - nicht unterkriegen.

Erste erfolgreiche Großmesse seit März

Das Messejahr 2020 ist noch nicht vorbei und einige Veranstalter schöpfen neue Hoffnung – vor allem, nachdem Anfang September mit mutigem Beispiel vorangegangen wurde. In Düsseldorf fand von 5. bis 13. September die Caravan Salon in Düsseldorf als erste Großmesse nach dem Lockdown statt. „Mit 107.000 Besuchern sendet der Caravan Salon ein wichtiges Signal für die gesamte Messebranche in Deutschland und Europa“, ist Erhard Wienkamp, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf, überzeugt. Damit liegt die BesucherInnen-Zahl zwar deutlich unter dem Vorjahreswert von über 270.500 Personen, den Verkaufsabschlüssen tat dies jedoch keinen Abbruch – im Gegenteil, sie waren höher als im bisherigen Rekordjahr. „Nach anfänglicher Skepsis sind wir insgesamt sehr froh, dass wir unsere Produkte auf dem diesjährigen Caravan Salon in Düsseldorf präsentiert haben“, so sagt Holger Schulz, Geschäftsführer des Caravan-Herstellers Hobby. „Obwohl die Besucherzahl limitiert war, hatte unsere Hobby-Verkaufsmannschaft alle Hände voll zu tun.“

Dass die Caravan Salon so erfolgreich über die Messebühne gegangen ist, bereitet nicht nur Campingbegeisterten Freude, auch andere Veranstalter messen dem große Bedeutung bei: „Der Caravan Salon in Düsseldorf beispielsweise hat gezeigt, dass Messen unter bestimmten Auflagen und mit einem guten Hygienekonzept möglich sind. Wir müssen nun unter den gegebenen Umständen Erfahrungen sammeln, wie wir wieder Messen und Kongresse veranstalten können“, sagt Stefan Dittrich, Leiter der Brandschutz-Messe Feuertrutz bei der Nürnberg Messe.

Virtuelle Überbrückung

Dennoch zeigt sich aber auch noch viel Unsicherheit in der Messebranche, einige Veranstalter sagen ihre Herbstmessen bereits wieder ab. Die Corona-Pandemie ist längst nicht vorbei und Veranstalter und Aussteller befürchten, dass Messen kurzfristig abgesagt werden müssen. Dass dies schnell der Fall sein kann, zeigte nun das Beispiel Dornbirn: Nachdem dort die Corona-Ampel auf Orange geschaltet wurde, mussten alle Fach- und Publikumsmessen für das gesamte Jahr 2020 abgesagt werden. Einige Veranstalter gehen deshalb auf Nummer sicher und setzen an Stelle von Präsenzmessen dieses Jahr auf digitale Lösungen.

So wird zum Beispiel die Chillventa 2020 virtuell. Von 13. bis 15. Oktober sind die individuellen Firmenprofile der Aussteller aus aller Welt auf einer digitalen Plattform für die Besucherinnen und Besucher abrufbar. Am ersten Veranstaltungstag findet außerdem der Chillventa Congress statt, bei dem internationale Referenten und Referentinnen Forschungsprojekte und Praxisbeispiele vorstellen.

Auch bei der Feuertrutz setzt man 2020 auf ein virtuelles Konzept: „Die Plattform funktioniert ähnlich wie die bekannten Business-Netzwerke. Es gibt eigene Profile für die Hersteller. Hier können diese ihre Produkte der Fachwelt präsentieren. In Chats und Videocalls können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander und mit den Ausstellern direkt in Kontakt treten und sich austauschen“, erklärt Dittrich. Anhand eines Interessensprofils entstehen zwischen den Teilnehmenden Matches, ähnlich wie bei bekannten Dating-Apps. Zu Beginn rechnete man bei der Feuertrutz mit rund 50 Ausstellern, mittlerweile gibt es über 70.

Nächstes Jahr soll die Messe aber wieder als Präsenztermin stattfinden, ist man sich bei der Feuertrutz einig: „Die Feuertrutz ist wie ein Klassentreffen. Das wird ein digitales Event nie ersetzen können. Wir haben für die Messe 2021 verschiedene Szenarien und dementsprechend mehrere Konzepte aufgestellt. Solange wir die Messe veranstalten dürfen und unsere Kunden mitziehen, spricht nichts gegen die Feuertrutz 2021“, ist Stefan Dittrich überzeugt.

Präsenz erwünscht

Damit reagiert die Feuertrutz für kommendes Jahr auf einen kaum überhörbaren Wunsch der SHK-Branche. Laut einer deutschlandweiten Umfrage des Zentralverbandes Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) halten 80 Prozent der Handwerkerinnen und Handwerker Präsenzmessen für wichtig und erforderlich. Nicht einmal fünf Prozent der Unternehmer können sich vorstellen, zukünftig ausschließlich auf rein virtuelle Formate bei der Produktinformation zu setzen. Eine Begründung für dieses Ergebnis liefert Klaus Plaschka, Geschäftsführer der Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM), die unter anderem die IFH Intherm veranstaltet: „Handwerker wollen analoge Begegnungen, denn für den Bedarf des Handwerks machen virtuelle Messen nur wenig Sinn. Eine Alternative sind virtuelle Messen damit nicht, sie können aber eine Überbrückungshilfe sein.“ Auf der anderen Seite steht die Notwendigkeit von Plattformen, auf denen Aussteller ihre Produkte präsentieren und vermarkten können. Für Plaschka haben virtuelle Messen damit ihre Daseinsberechtigung, die passenden Konzepte müssen sich aber erst noch beweisen: „Es wird viel Lehrgeld fließen müssen.“

ISH als Pilotmesse verloren

In der SHK-Branche hatte man gehofft, dass die ISH 2021 zeigt wie Messen trotz Pandemie realisiert werden können. „Die ISH ist ein extrem wichtiger Impuls für die Branche. Es wäre fatal, wenn sie nicht stattfinden würde“, warnt Klaus Plaschka. Doch genau das ist nun der Fall. Nachdem es für die ISH, die im März 2021 stattfinden sollte, seit Wochen Absagen von Ausstellern hagelte, haben die Veranstalter die Konsequenz daraus gezogen und die Präsenzmesse abgesagt. Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt, sagt: „Wichtig für unsere Kunden ist unsere frühzeitige Entscheidung, denn jetzt müssten die Investitionen für die Messebeteiligungen ausgelöst werden. Die Messe Frankfurt wird konsequent dabei bleiben, im engen Schulterschluss mit den Kunden die Interessen der ausstellenden Industrien in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen.“ Die Messe Frankfurt wird im Jahr 2021 bis einschließlich März keine physischen Messen am Standort Frankfurt veranstalten. Die ISH soll aber zumindest digital stattfinden.

Es ist eine neue Realität, die Veranstalter für das kommende Jahr vor einige Herausforderungen stellen wird, weiß Klaus Plaschka: „2021 wird ein schwieriges Jahr, wahrscheinlich noch schwieriger als 2020. Dieses Jahr gab es zumindest flächendeckende Lockdownregeln, nach denen sich Veranstalter richten konnten. Kommendes Jahr müssen wir mit der Unkalkulierbarkeit regionaler Regulierungen rechnen, die die Situation natürlich erschweren.“ Dass die ISH nun wider erwarten nicht als Präsenzmesse stattfindet, ist für das Messewesen ein herber Schlag. Nun kann die Messe Frankfurt aber zumindest zeigen, ob sich virtuelle Konzepte in der SHK-Messebranche durchsetzen können oder nicht.

Messe-Digitalisierung schreitet voran

Sowohl GHM-Geschäftsführer Plaschka wie auch Feuertrutz-Leiter Dittrich halten digitale Konzepte als Ergänzung zur Präsenzmesse für eine gute Idee, die aber noch erprobt werden muss. „Corona sorgt in den Messegesellschaften dafür, einen Digitalisierungsstau in der Customer Journey schneller abzubauen. Davon können wir nun profitieren und Themen wie Smart Data und digitale Bearbeitung mit allen Beteiligten vorantreiben“, ist Klaus Plaschka überzeugt.

Darüber, dass 2021 kein normales Messejahr wird, ist man sich bei den deutschen Veranstaltern einig. „Wir müssen als Messeexperten lernen, mit den Auswirkungen einer Pandemie wie Corona umzugehen. Das bedeutet, dass Veranstaltungen auf Sicht nicht mehr so stattfinden, wie wir es bisher gewohnt waren. Aber wir werden uns anpassen und die Messe-Branche wird wieder laufen lernen. Das Feedback unsere Kunden zeigt, dass Messen wichtig für ihr Business sind. Deshalb freuen wir uns auf die Feuertrutz 2021 in Nürnberg“, lautet Stefan Dittrichs Einschätzung zum Messejahr 2021.

Klaus Plaschka sieht im chinesischen Messewesen ein Vorbild für Deutschland: „In China, wo die Pandemie ihren Ursprung fand, erlebt man das Messewesen schon wieder in voller Blüte. Das sollte uns zu denken geben. Die deutsche Angst soll uns nicht lähmen, damit wir auch weiterhin die wirtschaftliche Lokomotive bleiben.“