Schullüftung : Warum Stoßlüften in Klassenräumen keine sinnvolle Lösung ist

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Stoßlüften bevorzugt: Der Minister im Interview

In einem Interview mit der Tageszeitung "heute" präferierte Bildungsminister Martin Polaschek am 4. September 2023 die Fensterlüftung: "Ich bin überzeugt, dass man mit Stoßlüften einiges erreichen kann". Gleichzeitig gab er lüftungstechnischen Anlagen und Luftreinigern in einem Aufwaschen einen Korb, denn dieses seien "in Zeiten der Nachhaltigkeit, wo es unser Ziel sein sollte, Energie einzusparen wo immer es geht" nicht sinnvoll.

Bei den Vertretern der Gebäude- und Lüftungstechnik kam das nicht gut an. Denn nicht nur dass es eine Absage an alle Bemühungen der Branche ist, Lehren aus der Corona-Pandemie zu ziehen und eine Verbesserung der Luftqualität in den Klassenräumen zu erreichen: Es scheint, dass hier von ministerieller Seite Lüftungstechnik mit Luftreinigung verwechselt wird. Auch die für den Lernerfolg relevante CO2-Konzentration in der Atemluft wird mit der Konzentration von Krankheitserregern, dem Haupttreiber der Corona-Pandemie, in einen Topf geworfen. Aber sehen Sie die entscheidende Passage selbst:

Klassenräume sind kritische Orte in Sachen Luftqualität

"Es ist ein Irrglaube, dass in dicht belegten Schulklassen effizientes Lüften über Fenster möglich ist", stellt Wolfgang Hucek, Vorstand des Vereins ZULuft Austria, gleich zu Beginn klar.

Denn gerade in den kalten Jahreszeiten, das zeigen viele Studien, sei die Luftqualität in Klassenräumen schon nach 20 Minuten inakzeptabel. Zudem stelle sogar die offizielle Richtlinie des österreichischen Instituts für Schul- und Sportstättenbau eindeutig klar, dass "der Komfort- und Energieverlust in der kalten Jahreszeit bei zu hoher Lüftungsfrequenz über die Fenster eine zu beachtende Problemlage darstelle", so Hucek.

Aber auch in der warmen Jahrezeit sei Fensterlüften problematisch, da äußere Einflüsse wie Lärm, Abgase, Feuchtigkeit und Luftzug massive Auswirkungen auf Gesundheit, Lernfähigkeit der Schüler:innen und sogar die Gebäudesubstanz haben. Für die in dem Verein "Zukunft Luft Austria" (ZULuft) versammelten Experten ist daher klar: "Klassenräume sind aufgrund Ihrer hohen Belegungsdichten und langen Nutzungsdauern als kritische Orte in Sachen Luftqualität zu sehen."

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Stoßlüften kostet viel Geld - Lüftungsanlagen sind energieeffizienter

Die Aussage des Ministers, wonach Stoßlüften energieeffizienter sei als Lüftungsanlagen, löst bei Wolfgang Hucek lediglich Kopfschütteln aus: "Das Gegenteil ist der Fall! Fensterlüftung kostet viel Energie und damit viel Geld in Form von Heizkosten." Beim Öffnen der Fenster entweicht die Wärme unkontrolliert, während Lüftungsanlagen nicht nur bessere Luftqualität sicherstellen, sondern via Wärmerückgewinnung auch Energie einsparen.

Das lässt sich mit Zahlen untermauern: Würden alle Schulklassen mit mechanischen Lüftungsanlagen samt Wärmerückgewinnung ausgestattet, so die Berechnungen von ZULuft Austria, liegt der Gesamtenergieverbrauch bei weniger als 16 Prozent der (normgerechten) Fensterlüftung. Das ist eine Einsparung von umgerechnet mindestens 35.200 Tonnen CO2. Hucek kann es sogar noch weiter präzisieren: "Unsere Messungen ergeben Energieeinsparungen von 10.-12.000 kWh pro Jahr und pro Klasse. Das ist eine eindrucksvolle Zahl, wenn man an die rund 55.000 Klassenzimmer in Österreich denkt." Es ist also das genau Gegenteil von dem richtig, was der Minister sagt: Stoßlüften verschwendet Energie, Lüftungsanlagen sparen sie ein.

Wolfgang Hucek, Geschäftsführer Trox Austria
Wolfgang Hucek, Vorstand des Vereins ZULuft Austria: "Es ist ein Irrglaube, dass in dicht belegten Schulklassen effizientes Lüften über Fenster möglich ist." - © TROX/www.foto-hoefinger.at

Luftreingung ist nicht gleich Luftwechsel

In einem Punkt stimmt Hucek dem Minister aber zu: Der flächendeckende Einsatz von Luftreinigern in Schulklassen ist nicht sinnvoll. "Das war eine gute Lösung in den Hochzeiten der Pandemie, um die Ansteckungsgefahr durch die Luft zu minimieren", erinnert der ZULuft-Vorstand an die Lehren der letzten drei Jahre. Nachdem Luftreiniger die Raumluft nur umwälzen, aber nicht austauschen können wie mechanische Lüftungsanlagen, sind sie für den täglichen Einsatz nicht geeignet.

Auch in Sachen Luftqualität, so Hucek weiter, wisse die Wissenschaft seit vielen Jahren, "dass mindestens ein 4-facher Luftwechsel pro Stunde ausreichen würde, um das Infektionsgeschehen zu beeinflussen." Das sei auch unter dem gesundheitlichen Aspekt mit mit einer Fensterlüftung und unkontrollierbaren Außenbedingungen nicht erreichbar.

"Energieeffizientes Lüften ist nur mit mechanischen Be- und Entlüftungsanlagen erreichbar."
Wolfgang Hucek, ZULuft Austria

Raumlufttechnik in Schulneubauten sogar verpflichtend

"Die Lösung ist seit vielen Jahren bekannt und auch die vom Minister im Interview angekündigten Studien werden da keine Überraschungen liefern: Mechanische Be- und Entlüftungsanlagen sorgen permanent für ein behagliches, lernfreundliches Klima und sparen dem Schulbetreiber Energie und Geld", ist sich Wolfgang Hucek sicher. Eigentlich ist diese gesicherte Erkenntnis längst in die Planungen des Bildungsministeriums eingeflossen, was die aktuellen Aussagen umso überraschender macht: "Minister Polaschek hat erst vor kurzem angekündigt, dass aufgrund dieser Vorteile raumlufttechnische Anlagen in Bundesschulneubauten verpflichtend installiert werden müssen."

Das sei der richtige Weg, den "wir nun auch für Bestandsgebäude und Schulen in Länderverantwortung gehen müssen", ruft ZULuft den Verantwortlichen im Ministerium in Erinnerung. Beim Stakeholderdialog des Klimaschutzministerium zum NEKP wurde in den letzten Monaten mit wissenschaftlichen Studien belegt, dass Lüftungstechnik die geplante Reduktion der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 wesentlich unterstützen kann. Den Energiefresser Stoßlüften jetzt als nachhaltiger darzustellen, ist ebenso überraschend wie kontraproduktiv. Wolfgang Hucek abschließend: "Aufklärung über die Möglichkeiten der Lüftungstechnik ist unsere Aufgabe als Branchenvertretung. Wir stehen Entscheidungsträger:iinnen in Politik und Wirtschaft mit wissenschaftlichem Know-How zur Verfügung. Und die Erkenntnisse der Wissenschaft sind klar: Energieeffizientes Lüften ist nur mit mechanischen Be- und Entlüftungsanlagen erreichbar."