Energiegemeinschaften : Auf dem Weg zur kaskadischen Nutzung von erneuerbarer Energie
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Christoph Weiß denkt in die Zukunft. Seine Masterarbeit, die er im Oktober 2022 abgegeben hat, trägt den Titel „Potenzial und Bewertung von ‘verschachtelten‘ Energiegemeinschaften“. Damit hat er den Master of Science in Engineering im Studiengang Urbane Erneuerbare Energiesysteme erlangt, die Arbeit wirft jedoch selbst für Kenner der Materie eine Frage auf: Was sind eigentlich „verschachtelte Energiegemeinschaften“?
Vier Typen von Energiegemeinschaften
Um diese Frage zu beantworten, muss Weiß ein wenig ausholen. Denn das ist der Kern der Sache: „Es gibt nicht nur eine Art von Energiegemeinschaft, sondern mindestens drei, eigentlich sogar vier verschiedene Typen“, so der frischgebackene Master. Derzeit ist es eben nur möglich, sich für eine davon zu entscheiden und mit einem Zählpunkt lediglich an einer einzigen davon teilzunehmen. Das wird 2024 anders sein – und genau diese Potenziale hat sich Christoph Weiß zum Abschluss des Studiengangs „Urbane Erneuerbare Energiesysteme“ an der FH Technikum Wien unter die Lupe genommen. Doch zuerst müssen diese vier Formen geklärt werden. Sie heißen:
- Gemeinschaftliche Erzeugungsanlage (GEA):
Diese sind seit 2017 auf Basis des Elektrowirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) § 16a möglich und erlauben es beispielsweise einer Mietergemeinschaft in einem Mehrfamilienhaus, gemeinsam eine PV-Anlage auf dem Dach zu nutzen. Dafür müssen alle Nutzer*innen an derselben Hauptleitung angeschlossen werden, denn eine Durchleitung durch das öffentliche Netz des Netzbetreibers ist nicht erlaubt. - Erneuerbare Energiegemeinschaft (EEG) für den Lokalbereich (bis Netzebene 6):
Diese gehen auf das Erneuerbare-Ausbau-Gesetz (EAG) von 2021 zurück und berechtigen dazu, Energie aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen, verbrauchen, speichern und zu verkaufen. Hier wird im Gegensatz zur GEA nicht nur Strom, sondern auch Wärme und Kälte aus erneuerbaren Quellen gemeint. Bei der elektrischen Energie gilt diese Form der EEG im lokalen Bereich für das Niederspannungsnetz, also bis Netzebene 6. - Erneuerbare Energiegemeinschaft (EEG) für den regionalen Bereich (bis Netzebene 4):
Im Unterschied zur lokalen EEG wird hier das Mittelspannungsnetz miteinbezogen. Bei beiden gilt, dass mindestens zwei verschiedene Teilnehmer*innen daran beteiligt sein müssen, kein Energieversorger oder Stromlieferant darunter sein darf und die EEG als Verein organisiert sein muss, die keine Gewinnabsicht verfolgt. Bei beiden Formen des EEG wird im Unterschied zur GEA das öffentliche Netz mit einbezogen. - Bürger-Energiegemeinschaft (BEG):
Diese darf ausschließlich Strom erzeugen, verbrauchen, speichern und verkaufen, wobei dieser nicht zwangsläufig aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Die BEG ist dafür nicht an den Nahbereich gebunden, sondern kann sich über die Gebiete mehrerer Netzbetreiber innerhalb Österreichs erstrecken. Hier dürfen auch – ein weiterer Unterschied zur EEG – Großunternehmen oder EVUs teilnehmen.
„Je eingeschränkter eine Energiegemeinschaft nach Netztopologie, desto wirtschaftlicher ist es, den erzeugten Strom selbst zu verbrauchen“
Ab 2024: Verschachtelung wird möglich
Derzeit ist es nur möglich, mit einem Zählpunkt an einer einzigen dieser vier Energiegemeinschafts-Formen teilzunehmen. „Ab 1. Jänner 2024 ist aber die Mitgliedschaft in mehreren dieser Energiegemeinschaften möglich, was die rechtliche Grundlage für sogenannte ‚verschachtelte Energiegemeinschaften‘ legt“, erklärt Christoph Weiß. Worin liegt nun der Sinn dieser Verschachtelung? Dazu muss man sich die Stärken der einzelnen Varianten vor Augen führen, sagt Weiß.
Hier gilt die Faustregel „je eingeschränkter eine Energiegemeinschaft nach Netztopologie, desto wirtschaftlicher ist es, den erzeugten Strom selbst zu verbrauchen“. Das bildet sich auch in den Netzgebühren ab: Gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen sind von der Netzgebühr vollständig befreit, Erneuerbare Energiegemeinschaften zum Teil (wobei lokale Gemeinschaften einen größeren Nachlass genießen als regionale), und Bürger-Energiegemeinschaften gar nicht.
Betrachtet man nun den Restüberschuss aus der Energiegemeinschaft oder den Reststrombezug vom Energieversorger – eine Energiegemeinschaft ist kein technisch getrenntes System, sondern ein reines Abrechnungskonstrukt in Ergänzung zur konventionellen Energieversorgung – so kann es sinnvoll sein, an weiteren Energiegemeinschaften teilzunehmen und somit innergemeinschaftlichen Strom mit einem noch größeren Teilnehmerkreis zu handeln – was ab 1. Jänner 2024 dann möglich sein wird. Umgekehrt kann es auch für die Energiegemeinschaften wirtschaftlich sinnvoll sein, einen größeren Abnehmerkreis zu bedienen. Und vor allem ist es volkswirtschaftlich im Sinne der Energiewende, eine „kaskadische Nutzung“ der erneuerbaren Energie durch die Verschachtelung der verschiedenen Energiegemeinschaftsformate zu erreichen.
Was tun: Restüberschüsse und Reststrombezug
Warum das so ist, dafür zeigt Weiß eine idealtypische verschachtelte Energiegemeinschaft in einem beispielhaften Kommunalverband. Dabei werden in der ersten Ebene Gebäude wie Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie kleine Gewerbebetriebe mit PV-Nutzung zu Gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen zusammengeschlossen, die auf Eigenverbrauch optimiert sind und auch über einen gemeinsamen Energiespeicher verfügen.
Auf der zweiten Ebene werden zusätzlich zu den Erzeugungsanlagen auch Verbrauchsanlagen bis zum Ortsnetz-Transformator (Netzebene 6) zu lokalen EEGs zusammengeschlossen. Auf dieser zweiten Ebene darf beispielsweise auch ein privates Kleinwasserkraftwerk oder eine KWK-Anlage teilnehmen. Auf der dritten Ebene erfolgt der Übergang in eine regionale EEG bis zum Umspannwerk (Netzebene 4). Hier werden Erzeugungsanlagen des ortsansässigen EVUs mit einbezogen, die an die Energiegemeinschaft verpachtet werden.
Darüber kommt auf der vierten Ebene eine Bürgerenergiegemeinschaft, an der auch Großunternehmen, EVUs und weitere Gemeinden teilnehmen können. In dieser verschachtelten Energiegemeinschaft, die diese vier Ebenen bilden, werden Überschüsse, die trotz Eigenverbrauchsoptimierung temporär anfallen, von der untersten Ebene jeweils der nächsthöheren Ebene übergeben. Umgekehrt profitieren die Verbraucher*innen in Zeiten der Flaute, die bei der volatilen erneuerbaren Erzeugung regelmäßig anfällt, vom Strombezug aus der jeweils höheren Ebene. Soweit die Theorie zu dem, was ab 2024 dann tatsächlich möglich sein wird. Doch wie lässt sich das in praktikable Geschäftsmodelle übersetzen?
Geschäftsmodell Energiegemeinschaft
Das ist der Kern der Masterarbeit von Christoph Weiß, der damit die Basis für die Entwicklung solcher verschachtelten Energiegemeinschaften legt. Dem gebürtigen Poysdorfer ist es ein Anliegen, damit einen Beitrag zum Gelingen der Energiewende zu leisten. Nach der HTL für Gebäudetechnik in Zistersdorf entschloss er sich zum Studium „Urbane Erneuerbare Energiesysteme“ an der FH Technikum Wien.
Bei seiner Masterarbeit wurde er von den Betreuerinnen Hemma Bieser und Bernadette Fina unterstützt, zwei ausgewiesenen Expertinnen auf diesem Feld. Hemma Bieser gründete die Innovationsagentur avantsmart und ist seit Juni 2022 im Vorstand der Energiegenossenschaft OurPower. Bernadette Fina ist Energieforscherin beim AIT und gewann für ihre Dissertation im Bereich der Energiegemeinschaften den ÖGUT-Umweltpreis in der Kategorie „Frauen in der Umwelttechnik“.
Einfachere Organisation von EEGs nötig
Die wesentliche Erkenntnis für Weiß ist, dass die Hemmnisse in erster Linie im organisatorischen Bereich zu suchen sind. Das beginnt bei einer sauberen Ausgestaltung der Verträge, die von den einzelnen Beteiligten untereinander geschlossen werden müssen, über die Gestaltung der Vereinsstatuten bis zur Klärung der Abrechnungsmodalitäten unter den Beteiligten.
Eine weitere Hürde sind die Anmeldeformalitäten bei den Netzbetreibern. Seit Oktober 2022 ist diese Anmeldung nun auch digital möglich, was das bis dahin nötige, fehlerbehaftete und zeitraubende hin- und herschicken von Exceltabellen und RSA-Briefen zwar beendet. Andererseits bedeutet das aber auch, dass sich jede*r einzelne Teilnehmer*in selbst im Netzbetreiber-Webportal registrieren und bei der jeweiligen Energiegemeinschaft anmelden muss. Für den Betreiber der Energiegemeinschaft sind wie bisher Registrierungs- und Anmeldeschritte im ebUtilities und EDA-Anwenderportal erforderlich.
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Die neuen Prozesse können zwar automatisiert und vor allem einheitlicher ablaufen, setzen aber noch immer viel Eigeninitiative und Zeitinvestition von den Beteiligten voraus. Oder, wie Christoph Weiß es formuliert: „Man muss sehr viel selbst in die Hand nehmen, um teilnehmen zu können.“ Um eine echte, flächendeckende Beteiligungsmöglichkeit im Sinne einer dezentralen, erneuerbaren Erzeugung für die Energiewende zu ermöglichen, gehören hier die Zutrittsschwellen gesenkt und die administrativen Voraussetzungen für Energiegemeinschaften erleichtert.
Schwankende Energiepreise wirken hemmend auf Energiegemeinschaften
Denn all diese Schritte kosten auch Geld. Ohne entsprechende Beratung und Dienstleistung ist die Einrichtung von Energiegemeinschaften kaum möglich – es sei denn, man investiert viel Zeit in den Aufbau entsprechenden Know-hows. Das erklärt, warum unter den derzeit knapp 150 existierenden Energiegemeinschaften in Österreich praktisch ausschließlich „Pioniere und Idealisten“ zu finden sind. Und das, obwohl angesichts der Lage am Energiemarkt die Trendwende zu erneuerbarer, heimischer Energieerzeugung eigentlich gestärkt wird.
Paradoxerweise sind aber die aktuell sehr hohen und schwankenden Energiepreise sogar negativ für die Wirtschaftlichkeit von Energiegemeinschaften. Diese wirken nach innen zwar preisstabilisierend, da die Verträge der Teilnehmenden untereinander ja langfristig und unabhängig von den tatsächlichen Marktpreisen sind. Allerdings ist es für einen Erzeuger von PV-Strom bei den aktuellen Marktpreisen plötzlich attraktiver, den Strom ins Netz zu verkaufen, als ihn für Eigenverbrauch innerhalb der Energiegemeinschaft zur Verfügung zu stellen – und dort noch die Adminkosten tragen zu müssen.
Von den äußeren Rahmenbedingungen her sieht Weiß daher eine Stabilisierung der Energiepreise als sehr wichtig für den Erfolg von Energiegemeinschaften allgemein und damit insbesondere der verschachtelten Energiegemeinschaften ab 2024 an. Sollte es dazu noch gelingen, die organisatorische Komplexität und damit die Einrichtungskosten zu verringern, können verschachtelte Energiegemeinschaften tatsächlich eine wesentliche Unterstützung zum Gelingen der Energiewende leisten.
Da müsste schon eine künstliche politische Bremse eingebaut werden, um den Erfolg von Energiegemeinschaften zu verhindern!
EEG-Konzept aus dem Planungsbüro
Doch Christoph Weiß setzte sich nicht nur theoretisch mit dem Thema auseinander. Im Brotberuf ist er als Planer in der Haustechnik Planungsgesellschaft von Christoph Passecker tätig. Passecker sieht großes Potenzial in den Energiegemeinschaften und entwickelt entsprechendes Know-how in seinem Planungsbüro. Denn auch wenn die technischen Fragen für ein professionelles Planungsbüro kein Problem darstellen, so müssen die Anlagen doch entsprechend geplant werden, um die Voraussetzungen für Energiegemeinschaften zu erfüllen.
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Ein Beispiel ist, dass etwa in Niederösterreich pro 30 kVa Erzeugerleistung ein eigener Netzanschluss nötig ist. Da eine gemeinsame Hauptleitung jedoch Voraussetzung für eine Gemeinschaftliche Erzeugungsanlage ist, kann nach den derzeitigen Rahmenbedingungen maximal eine Erzeugungsanlage bis 30 kVa herangezogen werden. Dieser Umstand muss bereits in der Planung berücksichtigt werden.
„Grundsätzlich ist es von Vorteil, wenn Energiegemeinschaften vom Planungsbüro ein gesamtheitliches Konzept bekommen, das alle Aspekte des Thema berücksichtigt“, sagt Passecker. Für organisatorische Fragen arbeitet die Haustechnik Planungsgesellschaft daher mit der OurPower Energiegenossenschaft zusammen. Dass Energiegemeinschaften eine große Zukunft vor sich haben, davon sind beide überzeugt: „Da müsste schon eine künstliche politische Bremse eingebaut werden, um den Erfolg von Energiegemeinschaften zu verhindern!“ Das Planungsbüro von Christoph Passecker ist dafür gerüstet – nicht zuletzt dank der Erkenntnisse aus der Diplomarbeit von Christoph Weiß.
Anmerkung der Redaktion
Dieser Artikel wurde 2022 veröffentlicht - damals war noch eine "kaskadische" Umsetzung der Mehrfachteilnahme angedacht. Mittlerweile wurde auf eine "statische" Umsetzung umdisponiert.