Technischer Vertrieb : „Immer mehr Aufwand in Sichtbarkeit und Anfragen zu stecken, bringt Vertriebe nicht ans Ziel“

Ulrich Dietze

Vertriebsexperte Ulrich Dietze sieht große Potenziale im technischen Vertrieb begraben.

- © lukas breusch

Ulrich Dietze, Gründer und Geschäftsführer der Deutschen Vertriebsberatung GmbH, ist Experte für die Optimierung des Vertriebs. Als Begründer der Vertriebsmethode Total Quality Selling (TQS) und der TQS-Preisverhandlungsmethode hat er über 3.000 Vertriebsprojekte begleitet. In seinem neuen Buch Milliardengrab Technischer Vertrieb? appelliert er, vertrieblicher Exzellenz endlich den strategischen Stellenwert zu geben, den sie verdient.

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Es gilt, insgesamt mehr aus den vertrieblichen Chancen zu machen, die generisch ins Haus kommen oder aktiv angeschoben und dann nicht realisiert werden.

Wo Betriebe Vertriebspotenzial verschenken

TGA: Ihr neues Buch trägt den Titel "Milliardengrab Technischer Vertrieb?“. Können Sie erläutern, was genau dahintersteckt und was die Rolle des technischen Vertriebs eigentlich so entscheidend macht?

Ulrich Dietze:
Die Investitionsgüter-Industrie ist eine tragende Säule unserer Wirtschaft. Dem technischen Vertrieb kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Die Qualität der Ausbildung und die Ausführung in der Vertriebspraxis sind die Basis dafür, dass hervorragende Produkte nicht nur angeboten, sondern schlussendlich auch gekauft werden. "Milliardengrab Technischer Vertrieb?" soll natürlich mit diesem Titel auch provozieren und neugierig machen und es steckt weit mehr dahinter als bloße Kritik. Es ist ein Appell an unsere Unternehmen, sich systematisch um ihr unbewusst verschenktes Vertriebspotenzial zu kümmern.

Was verstehen Sie genau unter verschenktem Vertriebspotenzial?


Dietze:
Bei der Mehrzahl aller Tech-Unternehmen besteht ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Investitionen in Forschung und Entwicklung, in die Produktion oder in Werbung und Marketing einerseits und den Investitionen in die Optimierung der vertrieblichen Prozesse und Fähigkeiten. Im Ergebnis erzielen diese Unternehmen zwar Sichtbarkeit und Anfragen, aber sie generieren zu wenig Aufträge und zu wenig Nettorendite, gerade in Krisenzeiten. Daher meine Mission: Immer mehr Aufwand in Sichtbarkeit und Anfragen zu stecken, bringt die Vertriebe nicht ans Ziel. Es gilt, insgesamt mehr aus den vertrieblichen Chancen zu machen, die generisch ins Haus kommen oder aktiv angeschoben und dann nicht realisiert werden. Hier wird enorm viel verschenkt.

Lieber ein*e Ingenieur*in mit Vertriebskenntnissen oder ein*e Verkäufer*in mit Ingenieurskenntnissen?


Dietze:
In der Regel ist es zielführender, schneller und kostengünstiger, den Aufbau des Vertriebsteams voranzutreiben, indem man fachlich qualifizierte Mitarbeitende, optimalerweise mit einem kommunikativen Grundtalent ausgestattet, zu guten technischen Vertrieblern weiterzuentwickeln. Der Aufbau fachlicher Kompetenz ist je nach Branche und Sparte – zum Beispiel auch in der Gebäudetechnik – ein langwieriger Prozess, der nie ganz zu Ende ist. Mit den vertrieblichen Fähigkeiten verhält es sich zwar im Prinzip ähnlich, auch sie sind immer wieder upzudaten. Dennoch bleiben im Kern die ehernen vertrieblichen Kernkompetenzen, die in geeigneten Ausbildungsformaten immer aufzubauen sind. Entscheidend sind die Akquisitionskompetenz, Beratungskompetenz, Verhandlungskompetenz und Abschlusskompetenz.

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16. Oktober 2024

Es ist eine Tatsache, dass nur etwa 15 Prozent aller Vertriebsmitarbeitenden fundiert Preise und Konditionen professionell durchsetzen können.

Vertriebserfolge messbar machen

Sie haben über 3.000 Vertriebsprojekte begleitet. Welche waren die häufigsten Herausforderungen, mit denen Unternehmen konfrontiert waren, und wie haben Sie diese gelöst?

Dietze:
Neben den spezifischen Herausforderungen, die je nach Unternehmen stark variieren, fallen drei entscheidende Entwicklungsfelder sehr regelmäßig auf: Gebraucht wird erstens ein Wandel vom eher reaktiven zum bewussten, proaktiven Vertrieb, der Anfragen planbar in benötigter Menge und Qualität generieren kann. Ist diese Hürde genommen, werden zugleich gefährliche Abhängigkeiten von Bestandskunden reduziert. Zweitens, die Reduzierung von Auftragsverlusten, die auf mangelnde Verkaufskompetenzen und suboptimale Prozesse zurückzuführen sind: Das Ziel muss immer sein, planbar, systematisch und verlässlich mehr Aufträge aus den Anfragen und Angeboten zu gewinnen. Gerade im Bereich der Prozesse sehen wir immer wieder Probleme in der Abstimmung zwischen Innen- und Außendienst. Und drittens, die Erhöhung des vertrieblichen Deckungsbeitrages durch eine gut ausgebildete Verhandlungskompetenz: Es ist eine Tatsache, dass nur etwa 15 Prozent aller Vertriebsmitarbeitende fundiert Preise und Konditionen professionell durchsetzen können. Dabei treffen sie auf Einkäufer, die zu 95 Prozent sehr gut geschult sind in diesem Feld. Dadurch entsteht ein massives Ungleichgewicht und das kostet konkret Nettorendite.

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Ulrich Dietze hat über 3.000 Vertriebsprojekte begleitet.

Wie messen Sie den Erfolg, die Exzellenz im Vertrieb? Geht es allein um Umsatz und Deckungsbeitrag oder spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle?

Dietze:
Das ist eine spannende Frage, denn hier liegen die Nuggets vergraben. Wir orientieren uns zunächst mal an handfesten Vertriebskennzahlen. Allein im Angebotsprozess kann man aus den wichtigsten Kennzahlen und Kenngrößen eine Menge über die vertriebliche Exzellenz ablesen: Die Anzahl der Anfragen und Angebote, die Angebots- und Abschlussquote, die Auftragsverlustgründe und mehr sind jetzt nur die Kennzahlen für die Angebotsphase. Das Ganze zieht sich natürlich auch zahlengestützt durch die weiteren Sales-Etappen. Letztendlich entsteht vertriebliche Exzellenz durch eine ausgewogene Balance zwischen Taktzahl und Taktqualität. Dahinter stehen die Fragen: Wie viele Verkaufschancen generieren wir passiv und aktiv, und wie gut und erfolgreich gehen wir mit diesen um? Beides lässt sich messbar darstellen.

Ulrich Dietzes Kennzahlen für die Angebotsphase

  • Anzahl der Anfragen
    Wie viele Anfragen erhalten Sie in welcher Zeit und aufgrund welcher Maßnahmen?
  • Anzahl der Angebote
    Wie viele Angebote erstellen Sie im Schnitt pro Monat?
  • Angebotsquote
    Wenn Sie zehn Anfragen von zehn Kunden erhalten, wie viele Angebote entstehen daraus? Zehn oder weniger? Je nach Komplexität der Anfragen und Angebote wäre hier die 100-Prozent-Marke nicht optimal, weil sie bedeuten kann, dass der vertriebliche Vorfilter nicht exakt eingestellt ist.
  • Quote der Revisionen
    Wie oft muss ein Angebot verändert oder nachgebessert werden, bis es aus Kundensicht passt?
  • Abschlussquote in Prozent
    Wie viele Aufträge gewinnen Sie aus zehn Angeboten? Und wie ermitteln Sie überhaupt eine Abschlussquote?
  • Abschlussquote in Volumen
    Gewinnen Sie nur kleine oder auch große Aufträge beziehungsweise wie viel Prozent des Angebotsvolumens wird beauftragt?
  • Sales Cycle
    Wie lange dauert der Angebotsvorgang? Mit dieser Kennzahl lässt sich schließlich auch die Abschlussquote, gerade in Segmenten mit langen Vorläufen, möglichst genau bestimmen.
  • Auftragsverlustgründe
    Zu wissen, warum Aufträge verloren werden, ist eine der wichtigsten Informationen überhaupt im Angebotsprozess; diese Gründe werden in der Praxis nur unzureichend und nicht detailliert genug ermittelt, obwohl hier die größten Chancen für eine messbare Verbesserung liegen.
Ulrich Dietze Buch technischer Vertrieb
© Ulrich Dietze
Die Künstliche Intelligenz wird den analogen Vertrieb nicht ersetzen; sie macht ihn schneller und effektiver.

KI im technischen Vertrieb

Sie haben auch ein Kapitel über KI im technischen Vertrieb geschrieben. Welche Vorteile sehen Sie darin, KI in den Vertriebsprozess zu integrieren, und welche Risiken müssen beachtet werden?

Dietze:
Die Künstliche Intelligenz wird den analogen Vertrieb nicht ersetzen; sie macht ihn schneller und effektiver. Deshalb muss man die KI auch nicht fürchten. Wovor man Respekt haben sollte, sind sehr gute Wettbewerber, die sie bereits professionell einsetzen und zu nutzen wissen. Die haben bereits jetzt einen Wettbewerbsvorteil. Insbesondere bei der Vorbereitung komplexer Vertriebsvorgänge wie der Qualifizierung von Anfragen, der Bedarfsanalyse, beim Erstellen der Angebote und der Nachverfolgung, aber auch bei der so wichtigen Vorbereitung von Preisverhandlungen, leistet die KI schon heute wertvolle Dienste.

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KI kann den technischen Vertrieb effektiver gestalten - wenn man weiß, wie. - © Lee - stock.adobe.com

Abschließend, welchen Rat würden Sie Unternehmen geben, die ihr Vertriebspotenzial mit einer bestehenden Mannschaft optimieren wollen?

Dietze:
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass eine konstruktive Fehlerkultur im Vertrieb eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, das volle Vertriebspotenzial einer bestehenden Mannschaft zu aktivieren. Eine gelebte Fehlerkultur schafft überhaupt erst die Basis für skalierbare Vertriebserfolge. Wir brauchen mehr Fehlerbewusstsein im Vertrieb, das entwickelt und gepflegt wird. Und solch ein Fehlerbewusstsein braucht dann vertriebliche Leitplanken in Gestalt von klar definierten Prozessen sowie verbindlich und konsequent genutzten Tools. Und – ganz entscheidend – die Erkenntnis, dass vertriebliche Kompetenzen auf dem gleichen hohen Niveau weiterentwickelt werden müssen wie das technisch-fachliche Know-how.