Meinung : Abreißen, aber richtig: Warum das Ernst-Happel-Stadion kein Solardach braucht

TGA-Chefredakteur Klaus Paukovits
© WEKA Industrie Medien

Ich mag das Praterstadion. Ich mag die Architektur aus den 1930er-Jahren. Ich mag diese stolzen Betonsäulen und das weite Oval, das damals die Freude darüber ausdrückte, erstmals einen Ort des gemeinsamen Sport-Erlebens für zehntausende Menschen bauen zu können. Mich stört auch die Laufbahn nicht, wegen der man weiter weg ist vom fußballerischen Geschehen als in modernen Stadien, und die nur mehr dazu dient, dass in den Pausen ein Auto des jeweiligen Sponsors seine Runden drehen und mit der T-Shirt-Kanone Leiberln ins Publikum schießen kann. Ich mag die spektakuläre Dachkonstruktion mit dem markanten Metallaufbau, die bei der vorletzten großen Renovierung 1986 wie eine Krone obendrauf gesetzt wurde.

Und natürlich die Erinnerungen, die ich mit dem Stadion verbinde: Das 4:1 im Neueröffnungsspiel 1986 mit den Toren von Toni Polster und Reinhard Kienast samt roter Karte für Loddar Matthäus. Den abendlichen Weg nach einem Spiel vom Stadionausgang zu den in einiger Entfernung aufgereiht wartenden, hell beleuchteten Straßenbahngarnituren, die dann vollgepackt mit kalten roten Nasen und Fußballgesprächen zum Praterstern zuckelten. Das Erstaunen über die gelungene U2-Verlängerung mit der klugen Besucherlogistik anlässlich der EURO 2008. Ich weiß noch genau, wo ich 1989 beim 3:0 gegen die DDR gestanden bin, und wo ich gesessen bin beim 4:1 der Wiener Austria gegen Zenit St. Petersburg 2013, und so weiter …

Wenns also nach mir ginge, und da gehöre ich in der fußballinteressierten Öffentlichkeit zu einer absoluten Minderheit, dann würde ich dieses wunderbare alte Stadion genau so lassen wie es ist.

Die Sanierung kostet mindestens 100 Mio. Euro

Aber Nostalgie ist das eine, die technische Sanierungsnotwendigkeit ist das andere. Jetzt hat die Stadt Wien als Eigentümer ein Sanierungspaket von 100 Mio. Euro beschlossen, soweit ist bekannt. Das umfasst auch Geothermie und Photovoltaik und sonst noch ein paar Dinge, die Gebäudetechniker im Allgemeinen und die planenden Berufe im Besonderen eigentlich freuen sollten. Dass dem nicht so ist, haben Sie sicher mitbekommen: Denn bis hierher liest nur jemand, der sich für Fußball UND Gebäudetechnik interessiert, oder?

Den Kritikpunkten der ZiviltechnikerInnen an der Ausschreibungspraxis oder von Stadionarchitekt Harald Fux am grundsätzlichen Ansatz lässt sich wenig hinzufügen. Es macht so oder so einfach keinen Sinn, eine dreistellige Millionensumme in dieses alte Mauerwerk zu stecken.

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VIENNA, AUSTRIA - JUNE 05, 2017: The outside of Ernst Happel Stadium on blue sky background
© unclepodger - stock.adobe.com

Die EU will die Kreislaufwirtschaft - und braucht Leuchtturmprojekte

Dem Abriss und einem Neubau an derselben Stelle steht seit 20 Jahren der Denkmalschutz entgegen. Einfach verfallen lassen und drauf zu warten, bis irgendwann die Tourist*innen in den Prater pilgern wie zum Kolosseum nach Rom, das ist wohl nicht durchführbar. Was jedoch, wenn das Ernst-Happel-Stadion zu einem Musterbeispiel für kreislauffähiges Bauen gemacht wird?

Ein Forschungsobjekt, an dem genau untersucht wird, wie sich die alte Substanz so abtragen lässt, dass sie wiederverwendet werden kann – entweder für den Neubau an derselben Stelle, oder anderorts für andere Zwecke.

Ein EU-Vorzeigeprojekt für den in Planung befindlichen Kreislaufwirtschafts-Aktionsplan, der Europa zu einer „kohlenstoffneutralen, ökologisch nachhaltigen und schadstofffreien Kreislaufwirtschaft bis 2050“ entwickeln soll.

Ein internationales Kompetenzzentrum für Spezialist*innen aus allen Disziplinen, die hier gemeinsam das Thema „Recycling“ erforschen und als Leuchtturmprojekt gleichzeitig Bewusstsein für das größte unbekannte Problem schaffen, das es auf dem Weg zur CO2-Neutralität gibt: Die Bauwirtschaft verursacht 2/3 des gesamten Müllaufkommens, und zwar vom Baustellenaushub am Beginn bis zum Bauschutt am Ende des Lebenszyklus. Kreislauffähiges Bauen ist eine Notwendigkeit, kein nice-to-have.

"Oval der Kreislaufwirtschaft": Das Stadion als Rohstoffbank

Fußball spielen kann das Nationalteam auch anderswo. Konzertveranstalter werden sowieso froh sein, wenn sie der furchtbaren Akustik des Ernst-Happel-Stadions ausweichen können. Machen wir doch aus dem alten Oval, das 1931 bei der Eröffnung international ganz vorne war, wieder ein echtes Vorzeigeprojekt – ein Oval der Kreislaufwirtschaft.