Energieaktive Fassaden und außenliegende Bauteilaktivierung : Zukunftstechnologien für den Gebäudebestand
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Für den Gebäudesektor wächst durch den europäischen und nationalen Rechtsrahmen sowie die aktuellen Entwicklungen am Energiemarkt der Handlungsdruck, die gesetzlich geforderten CO2- Minderungen zügig umzusetzen. Offen ist, wie einer der größten Herausforderungen der Immobiliengeschichte trotz des aktuellen Fachkräfte- und Ressourcenmangels begegnet werden kann. Die Dringlichkeit dieser Frage steigt auch dadurch, dass vollintegrierte Ansätze zur Lösung des Spannungsfelds zwischen ökologisch, ökonomisch und sozial tragfähiger Umsetzung fehlen. Um den dafür notwendigen Transformationsprozess zu unterstützen, sind Forschungs- und Demonstrationsprojekte wie das europäische Forschungsprojekt „EXCESS“ (FleXible user-CEntric Energy poSitive houseS) notwendig, welches sich mit energieflexiblen Plusenergiegebäuden beschäftigt.
Transformation eines Stadtquartiers in Graz
Ein rund 32.000 m2 Brutto-Geschossfläche (BGF) umfassenes, ehemaliges Industrieareal im Südosten von Graz wird in ein multifunktional genutztes Plus-Energie-Quartier mit heterogenen Bau- und Nutzungsformen transformiert. Die Entwicklung und Umsetzung von innovativen Sanierungskonzepten mittels hochwärmegedämmten Vorhangfassaden mit integrierter Hydraulik zur gezielten thermischen Aktivierung der bestehenden Bauteilmassen in der Fassade, die Nutzung von vor Ort verfügbaren Erneuerbareren (140 kW Kleinwasserkraftwerk, 365 kWp Photovoltaik), fünf kaskadierte reversible Grundwasserwärmepumpen mit 361 kW Heizleistung und 252 kW Kühlleistung, 225 kWh Batteriespeicher, bidirektionale Nutzung von E-Mobilität zur Erreichung hoher erneuerbarer Versorgungsgrade sowie die Umsetzung von optimalen Regelungsmethoden mit Vorhersagemodellen für Produktion und Verbrauch sind Gegenstand des Projektes und sollen für das gesamte Areal angewandt und beispielhaft anhand eines der Hochhäuser demonstriert werden. Für die Umsetzung dieses österreichischen Demonstrators innerhalb des EXCESS-Projektes ist AEE INTEC verantwortlich und koordiniert dabei die Aktivitäten rund um die Entwicklung der energieaktiven Fassaden.
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Das Demonstrationsgebäude
Im Fokus der Betrachtungen steht ein freistehender ehemaliger Futtermittelsilo in massiver Bauweise mit einer Bruttogeschossfläche von 1.161 m2, zehn Geschossen und 1.425 m2 Fassadenfläche. Die Bestandswände sind heterogen und bestehen in den Geschossen 1, 2 und 9 aus Hochlochziegel mit einer Wandstärke von 30 cm und einem Wärmedurchgangswiderstand von 0,55 m2K/W. In den restlichen Geschossen bestehen die Wände aus 21 cm dickem Stahlbeton und einem Wärmedurchgangswiderstand von 0,09 m2K/W.
Dieses Objekt soll durch eine vorgefertigte, hochwärmegedämmte Vorhangfassade mit 20 cm Mineralwolle gedämmt werden. Der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert)beträgt für den gedämmten Zustand der Wände im Fall der Hochlochziegelwände 0,16 W/ m2K bzw. 0,17 W/m2K für die gedämmten Stahlbetonwände. Der für den Energieausweis berechnete Jahresheizenergiebedarf beträgt 26,4 kWh/m2a.
Die multifunktionale Fassade
Eine multifunktionale und energieaktive Vorhangfassade ist das Herzstück des erneuerbaren Energiekonzeptes für das Gebäude. Diese Vorhangfassade basiert auf einem Patent, das unter dem Produktnamen CEPA auf den Markt gebracht wird. Die vorgefertigte Fassade ist hier zugleich Tragekonstruktion für fassadenintegrierte Photovoltaik, Dämmung sowie ein Flächenheizsystem zur thermischen Aktivierung der Bestandswände. Die Photovoltaikelemente mit einer Peak-Leistung bei Normbedingungen von rund 88 kWp sind in der Süd- sowie West-Fassade integriert und erzeugen rund 62 MWh erneuerbaren Strom im Jahr, wodurch das Demonstrationsgebäude mehr Energie erzeugen soll, als es verbraucht. Geheizt wie auch gekühlt wird ausschließlich über die Außenwände, ohne zusätzliches Wärmeabgabesystem im Gebäude, mit Ausnahme der Sanitärräume. Die aktiven Elemente sind ebenfalls Teil des vorgefertigten Fassadenelementes. Das ermöglicht in einem Arbeitsschritt eine hohe thermische und energetische Sanierungstiefe bis hin zur thermischen Bauteilaktivierung, deren Umsetzung im Bestand ohne diese Technologie nur mit wesentlich höherem Aufwand (Gerüstung, Einschlitzungen in Wände, Verfüllungen etc.) möglich wäre.
Die Fassadenkonstruktion und die Dämmung sowie die aktive Heizebene der multifunktionalen Fassade bestehen aufgrund der Brandschutzerfordernisse für Hochhäuser aus nichtbrennbaren Materialien. Bei der Entwicklung und Herstellung der aktiven Elemente wird auf bewährte Technik aus der Solarindustrie gesetzt. Mit einem „Streifenabsorber“ aus einem 0,5 mm starken Aluminiumblech mit aufgeschweißten Kupferröhren (8 x 0,5 mm), die mit einem Rohrabstand von 12,5 cm nach Tichelmann verschaltet sind, soll bei einer möglichst geringen Vorlauftemperatur (~35 °C) die notwendige Heizleistung von der aktiven Ebene auf die Bestandswände sowie in die Innenräume übertragen werden.
Die Dimensionierung des Systems erfolgte hierbei auf Basis eines speziell für diese Technologie entwickelten Auslegungsdiagramms, welches die Wärmeübertragungsleistungen in Abhängigkeit des Wärmeübertragungskoeffizienten (Heat Transfer Coefficient – HTC) von der Heizebene auf die Bestandswand, die charakteristischen Eigenschaften der Bestandswände, den Wärmedämmstandard sowie den thermischen Komfort und die Versorgungstemperaturen miteinbezieht. Eine spezielle Dämmtechnik mit harten und weichen Dämmmaterialien, um Unebenheiten der Bestandswand auszugleichen, sowie flexible Heizelemente stellen einen guten Wärmeübergang zwischen Heizmedium und der Bestandswand sicher. Bisher durchgeführte, zweidimensionale hochaufgelöste Wärmestromanalysen sowie Untersuchungen in der Fassadenprüfbox von AEE INTEC weisen bei den ersten Versuchsmustern bei nicht idealem thermischen Kontakt (kein vollflächiger Kontakt) bereits einen HTC-Wert von rund 12 W/m2K auf. Im Falle der Hochlochziegel, einer Raumtemperatur von 22 °C und einer exemplarischen Vorlauftemperatur von 35 °C werden hier Wärmeübertragungsraten von rund 23 W/m2, bzw. bei den Stahlbetonwänden rund 37 W/ m2 bezogen auf die Fassadenfläche erreicht. (siehe Grafik)
Nächste Schritte
Nach erfolgreicher Evaluierung des Montageprozesses anhand eines vorgefertigten Funktionsmoduls der Fassade im August 2022 wird im nächsten Schritt bis Ende 2022 ein gesamtes Geschoss und bis Ende 2023 das gesamte Gebäude mit den aktiven Energiefassaden ausgestattet. Die wissenschaftlich-messtechnische Begleitung im Winter 22/23 wird detaillierte Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit der außenliegenden thermischen Bauteilaktivierung als Wärmeabgabesystem liefern. Weiters soll das Flexibilitätspotenzial durch die aktive Speichermassenbewirtschaftung mithilfe eines eigens entwickelten modellprädiktiven Regelungsansatzes erfasst werden. Dabei stehen Aspekte wie Eigenverbrauchsoptimierung von PV und Wasserkraft, Demand Side Management sowie der Nutzer*innenkomfort im Fokus.
Nominiert für den Staatspreis 2022 in der Kategorie Patente
Am 26. April 2023 wird zum vierten Mal der österreichische Erfindergeist durch die Republik Österreich mit dem Staatspreis für Patente ausgezeichnet. Gemeinsam mit TOWERN3000 wurde AEE INTEC mit der Energiefassade CEPA „Thermal-Regulating Facade System“ zur außenliegenden Bauteilaktivierung in der Sanierung für den Staatspreis nominiert und hat sich dabei gegen mehr als dreihundert Unternehmen und Organisationen aus ganz Österreich durchgesetzt.
Weiterführende Informationen
H2020-Projekt EXCESS: www.positive-energy-buildings.eu
Nominierung Staatspreis: www.patentamt.at/staatspreis-patent-2022
CEPA: www.towern3000.at