Fachartikel : Vorschlag für die Risikobewertung von Trinkwasser-Installationen mit Augenmaß

Garfik zu den vier Kernfragen, denen sich das WSP-Team stellen muss: Was kann warum schiefgehen in unserer Trinkwasserinstallation? Welche Risiken sind wesentlich? Wir beherrschen wir diese Risiken? Woher wissen wir, dass wir die Risiken im Griff haben?

Dies sind die vier Kernfragen, denen sich das WSP-Team stellen muss (verändert nach UBA WSP).

- © Peter Arens

Bereits im März 2011 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein 164-seitiges Grundsatzpapier „Water Safety in Buildings“ veröffentlicht. Es kann bei der WHO kostenlos heruntergeladen werden, liegt jedoch nur in Englisch vor.

Für den deutschsprachigen Raum liegt jedoch eine sehr praxisnahe und weitaus kürzere Alternative des deutschen Umweltbundesamtes (UBA) vor, die dort kostenlos erhältlich ist. Sie basiert auf dem WSP der WHO und heißt offiziell „Das Water Safety Plan (WSP)-Konzept für Gebäude. Ein Handbuch für die Anwendung in Trinkwasser-Installationen“. Das Handbuch erklärt Schritt für Schritt und mittels vieler Grafiken die Vorgehensweise einer „Risikobewertung von Hausinstallationen“ anhand einer fiktiven „Hundertwasser-Schule“.

Die Risikobewertung von Trinkwasser-Installationen in der EU-Trinkwasserrichtlinie

Die EU-Trinkwasserrichtlinie vom 12.01.2021 fordert im Artikel 10 von den Mitgliedsstaaten die Risikobewertung von Trinkwasser-Installationen. Dazu sollen die allgemeinen Risiken erfasst werden, die von Trinkwasser-Installationen, Werkstoffen und insbesondere von Legionella und Blei ausgehen können. Wenn Risiken bestehen, müssen die Mitgliedstaaten für konkrete Abhilfemaßnahmen in Gebäuden sorgen. Dazu gehört mindestens die Ermutigung von Eigentümer*innen, eine Risikobewertung durchzuführen. Auch wenn in diesem Artikel 10 lediglich der Begriff „Risikobewertung“ und nicht der Begriff „Wassersicherheitsplan WSP“ verwendet wird, kann man in zwei der 55 Begründungen zur Richtlinie nachlesen, dass mit „Risikobewertung“ vor allem der „Wassersicherheitsplan“ der WHO gemeint ist.

Begründung zur Risikobewertung von Trinkwasser-Installationen

Ziel eines Wassersicherheitsplans (WSP) ist es, Zeit und Ressourcen auf die wirklich notwendigen Risiken zu konzentrieren und unnötige Handlungsweisen zu vermeiden (Begründung Nr. 15, EU-Trinkwasserrichtlinie).

Die Mitgliedsstaaten werden daher u. a. zu Folgendem verpflichtet: “In Bezug auf Legionella müssen diese Maßnahmen mindestens auf prioritäre Örtlichkeiten abzielen“. Dabei wird offengelassen, was jeder Mitgliedstaat als „prioritäre Gebäude“ definiert. Vorschläge dafür finden sich jedoch in der Begründung Nr. 19: Die dort aufgeführten Gebäude entsprechen in etwa dem öffentlichen/halböffentlichen Sektor. Wohngebäude sind nicht darin aufgeführt und hinsichtlich der routinemäßigen Untersuchung auf Legionellen ohnehin ein rein deutsches Thema.

Vorschläge für prioritäre Gebäude gemäß
EU-Trinkwasserrichtlinie:

Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen, Altenheime, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Schulen, Bildungseinrichtungen, Gebäude mit Unterkunftsmöglichkeiten, Restaurants, Bars, Sport- und Einkaufszentren, Freizeit- Erholungs- und Ausstellungseinrichtungen, Strafvollzugsanstalten und Campingplätze.

Übersicht über die fünf wesentlichen Pfeiler des Wassersicherheitsplan-Konzepts

  1. Der Teamgedanke: Beim Wassersicherheitsplan sollen nicht nur Fachleute aus der SHK-Branche mitarbeiten, sondern auch Personen mit Budgetverantwortung z. B. aus der Trägerschaft. Weiterhin Personen, die das Gebäude kennen wie ein Hausmeister*innen und zusätzlich jemand, der in dem Gebäude tätig ist, wie beispielsweise die Schulleitung. Diese bilden das interne WSP-Team. Weitere externe Unterstützung kann aus einem Gesundheitsamt, von einem Fachhandwerker*innen und Ingenieur- oder Sachverständigenbüro stammen.
  2. Ausweitung der Parameter: Über Legionellen hinaus sollen zukünftig auch werkstoffrelevante Parameter wie Blei im Rahmen der WSP-Gefährdungsanalyse erfasst werden. Also Parameter, die sich in der Trinkwasser-Installation verändern können. Hinzu kommen mikrobiologische Parameter wie „Allgemeine Koloniezahlen“, also vorrangig Bakterien, die sich in der Trinkwasser-Installation weiter vermehren können. Darüber hinaus soll die gesamte Trinkwasser-Installation auf die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik (a. a. R. d. T.) überprüft werden. Dies geschieht auf Basis der gültigen ÖNORMEN, deren Einhaltung als risikovermeidend oder mindestens – minimierend angesehen werden.
  3. Der WSP als kontinuierlicher Prozess: Ein WSP kann sowohl anlasslos begonnen werden, also in einem festen zeitlichen Rhythmus, aber auch aufgrund von überhöhten Werten und Auffälligkeiten (mikrobiologische Befunde, Geruch, Geschmack, Trübung des Wassers). Die vier Kernfragen, denen sich das WSP-Team stellen soll, sind im Titelbild dargestellt.
  4. Fokussierung auf wesentliche Verbesserungsmaßnahmen: Mit Hilfe der Risikoabschätzung sollen wesentliche Verbesserungsmaßnahmen von unwesentlichen unterschieden werden. Dies soll u. a. den Aufwand und damit die Kosten begrenzen. Zur Risikoabschätzung werden daher die identifizierten Gefährdungsereignisse und Gefährdungen mittels einer 3 x 3 Risikomatrix bewertet.
  5. Erfolgskontrolle als Basis des nachhaltigen Erfolges: Alle vereinbarten Maßnahmen müssen mittels Kontrolluntersuchungen bestätigt und im laufenden Betrieb fortgeschrieben werden.

Ermittlung des Risikos

Ein Risiko im Sinne des WSP-Konzepts ist der „Verlust“ oder eine Beeinträchtigung der Gesundheit der Gebäudenutzer*innen, der sensorischen Qualität des Trinkwassers und der technischen Versorgungssicherheit. Das Risiko wird anhand der Parameter „Schadensausmaß“ und „Eintrittswahrscheinlichkeit“ abgeschätzt. Für die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schadensausmaßes ist es wichtig, zuvor die Gefährdungsereignisse und Gefährdungen so detailliert wie möglich zu beschreiben. Ein Beispiel für ein Gefährdungsereignis ist die „Vermehrung von Legionella spp. begünstigt durch Stagnation in Folge geringer Nutzung“ und als Gefährdung ist „Legionella spec.“ aufgeführt.

Zur Beschreibung der Gefährdungsereignisse und Gefährdungen schlägt das UBA eine einfache Tabelle mit lediglich vier Spalten vor. Die erste Spalte enthält eine fortlaufende Nummerierung und die zweite den Ort bzw. Raum. Anschließend folgen zwei weitere Spalten mit dem „Gefährdungsereignis“ und der „Art der Gefährdung“.

Risikobewertung und deren Dokumentation

Die Ermittlung der Risiken erfolgt auf Basis einer 3 x 3 Risikomatrix. Sind die Risiken ermittelt, reicht für deren Dokumentation eine Tabelle mit lediglich sechs Spalten: Die ersten zwei dienen erneut der räumlichen Orientierung in Form einer laufenden Nummer und der Beschreibung des Raums. In der dritten Spalte erfolgt die allgemeinverständliche „Erläuterung der Risikoabschätzung“.

Die drei weiteren Spalten dienen der Überträge aus der 3 x 3 Risikomatrix in Form von „Eintrittswahrscheinlichkeit“, „Schadensausmaß“ und „Risiken“. Letztere werden zur schnellen Orientierung mit den drei Farben von grün, gelb bis rot hinterlegt. So wird die Umsetzung in die Praxis deutlich erleichtert.

Beispiel einer Risikoanalyse gemäß einer 3 x 3 Risikomatrix.
Beispiel einer Risikoanalyse gemäß einer 3 x 3 Risikomatrix (verändert nach UBA WSP) - © Peter Arens

Maßnahmen zur Risikobeherrschung

Nachdem nun die Risiken identifiziert und bewertet wurden, geht es gemäß WSP an die Risikoeliminierung und Kontrolle der Erfolge. Dazu dienen zwei der vier Kernfragen aus dem kontinuierlichen WSP Prozess: „Wie beherrschen wir die Risiken?“ und „Woher wissen wir, dass wir die Risiken im Griff haben?“.

Dabei werden drei grundlegende Maßnahmen zur Risikobeherrschung und – eliminierung unterschieden: technische, personelle und/oder organisatorische Maßnahmen. Festgelegt wird auch die Häufigkeit der Maßnahmen: Manche Risiken lassen sich bereits durch einmalige Maßnahmen ausreichend minimieren, wie z. B. durch den Einbau einer Sicherungseinrichtung gemäß DIN EN 1717. Andere Risiken werden gemanagt durch periodische Maßnahmen wie durch die jährliche Inspektion von Rückflussverhinderern vom Typ EB und wieder andere nur durch kontinuierliche Maßnahmen wie z. B. durch Stagnationsspülungen in den Ferien. Für die Auswahl der Maßnahmen gibt das UBA folgendes Ziel aus: „Für die zuverlässige Beherrschung von Risiken wählt das WSP-Team Maßnahmen, für die es die Eignung überprüft und bestätigt hat.“

Maßnahmen zur Risikobeherrschung und Häufigkeit von Maßnahmen (verändert nach UBA WSP)

- © Peter Arens

Betriebliche Überwachung von Maßnahmen zur Risikobeherrschung

Erfahrungsgemäß ist jeder Maßnahmenplan für eine Risikobeherrschung nur so gut, wie dessen Verständlichkeit und Kontrolle bei der fachlichen Umsetzung. In der untenstehenden Abbildung sind Beispiele für Parametern und Maßnahmen zur Risikobeherrschung und -eliminierung dargestellt. Insbesondere die kostengünstig durchzuführenden Temperaturmessungen sind ein geeigneter Indikator für die hygienische Qualität des Wassers. Denn es ist besser, Risiken anhand abweichender Temperaturen frühzeitig zu erkennen (vgl. ÖNORM B 5019 und ÖNORM B 5021, zukünftig in der ÖNORM B 1921 zusammengefasst), als zu warten, bis die Legionellenzahlen gesundheitsrelevante Konzentrationen erreichen. Aus Sachverständigensicht ist dieses Vorsorgeprinzip empfehlenswert. Um den personellen Aufwand dafür zu minimieren, können diese Aufgaben von Wassermanagementsystemen mit der Dokumentation der Parameter Temperatur und Wasserwechsel sowie dem Auslösen von Stagnationsspülung übernommen werden. Diese elektronischen Bauteile erhöhten zwar die Investitionskosten, machen sich jedoch durch geringere Betriebskosten schnell bezahlt.

Beispiele für Parameter und Maßnahmen zur betrieblichen und organisatorischen Überwachung einer Trinkwasser-Installation

- © Peter Arens

Fazit

Artikel 10 der EU-Trinkwasserrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, zukünftig eine Risikobewertung von Trinkwasser-Installationen zu etablieren. Wie diese aussehen wird und auf welche Gebäude sie angewandt wird, ist weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen. Die für Legionella und Blei vorgeschlagenen prioritären Gebäude entsprechen in etwa dem öffentlichen/halböffentlichen Sektor. In den Niederlanden wird dieses Prinzip des WSPs für prioritäre Gebäude und Legionella bereits seit Jahren erfolgreich und mit Augenmaß angewandt. Es orientiert sich im Wesentlichen am Wassersicherheitsplan der WHO, wie es auch das Umweltbundesamtes (UBA) anhand der vorgestellten fiktiven Hundertwasser-Schule sehr praxisnah und gut verständlich vorstellt. Analoges wünscht man sich nun auch in anderen Ländern: ein schnelle Umsetzung, aber mit Augenmaß!