Temperierung im Wohnbestand : Fräsen für den energetischen Fortschritt
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Bauträger und Hauseigentümer dürfen die Temperierung ihrer Wohnungen nicht den Bewohner*innen überlassen, so das Credo, dem Ernst Bach in seiner Rolle als Direktor für Bestandsmanagement bei der Sozialbau AG folgt. Geschieht das nicht, würden Bewohner*innen eigenmächtig zu Lösungen, wie dem Anschaffen einer Klimaanlage, greifen. „Wir haben eine Million Haushalte in Wien. Wenn jeder sein Wohnzimmer und Schlafzimmer kühlt, dann sind das zwei Millionen Schläuche, die beim Fenster rausstehen. Das wird passieren, wenn wir nichts tun“, warnt Bach.
Das Wohnungsunternehmen investiert daher in die Aufrüstung seiner Bestandsgebäude – und in Forschungsprojekte rund um die Temperierung der Wohneinheiten, insbesondere deren Kühlung. Die internen Vorgaben dafür:
- Die Temperierung muss eine Raumtemperaturreduktion von mindestens 2° C erreichen.
- Die dem Gebäude so entzogene Wärme darf der Atmosphäre nicht ungenutzt zugeführt werden.
Es wäre nicht gegangen, hätten wir es nicht mit Eigenpersonal gemacht.
Bauteilaktivierung der Fassade
An drei Wiener Liegenschaften prüft die Sozialbau AG aktuell, wie eine Bauteilaktivierung mittels Fassadenheizung oder -kühlung in der Praxis umsetzbar ist. „Dort haben wir eine Flächenheizung eingebaut, indem wir eine Bodenheizung in die Fassade eingefräst haben“, erklärt Bach. Nach dem Zuspachteln kommt darüber eine Wärmedämmung. Die geschätzte Lebensdauer dieser Lösung: 30 bis 35 Jahre. Im Gegensatz zu einer Deckenheizung oder -kühlung ist dabei kein Eingriff in den persönlichen Wohnbereich der Bewohner*innen notwendig.
Auch wirtschaftlich rechnet sich das Vorgehen: Während eine Deckenheizung/-kühlung Kosten von etwa 10.000 Euro pro Wohneinheit verursacht, lagen die Kosten in den zwei bisher fertiggestellten Praxisprojekten darunter: Für rund 3.600 Euro pro Wohneinheit konnte ein Projekt im vierten Bezirk verwirklicht werden. Ein zweites Gebäude aus den frühen 1920ern kam aufgrund der in die Jahre gekommenen Fassade und des bröckeligen Putzes mit rund 8.000 Euro pro Wohneinheit auf höhere Kosten. Ein weiterer Kostenfaktor: Die Sozialbau AG verfügt über ein Tochterunternehmen, das die Installationen und Elektroarbeiten durchführt. „Es wäre nicht gegangen, hätten wir es nicht mit Eigenpersonal gemacht“, bestätigt Bach.
Ein drittes Projekt im 19. Bezirk soll folgen, dort rechnet man mit Kosten von rund 3.500 Euro pro Wohneinheit. Das Projekt hat eine weitere Besonderheit, wie der Experte ausführt: An der Nordseite fräsen wir die Fassade ein. Auf der Südseite geht das nicht, weil die Fensterfläche zu groß und damit die Kühlleistung zu wenig ist. Daher bauen wir auf der Südseite Konvektoren ein.“
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Technologieoffene Kühlung
Handelt es sich nicht wie oben beschrieben um dezidierte Forschungsprojekte, baut die Sozialbau AG neben der Flächenkühlung keine Konvektoren ein. Denn: Wer errichtet, muss in aller Regel auch erhalten. Stattdessen sorgt das Wohnungsunternehmen dafür, dass 20° kaltes Wasser zur Verfügung steht und überlässt den Bewohner*innen die Frage, ob und wie sie kühlen wollen.
Wie überzeugt man Bewohner*innen nun, selbst Produkte einzubauen? „Wir stellen die Kühle gratis zur Verfügung, weil wir gleichzeitig Photovoltaik einbauen“, fasst Bach zusammen. Ein Drittel der Gebäude der Sozialbau AG verfügt bereits über PV, das sind insgesamt rund 4,5 MWp Leistung. Bis 2025 sollen alle Objekte von der Sonnenkraft profitieren. Die Wärme, die dem Gebäude über die Kühlung entzogen wird, wird dann über Erdsonden oder Kollektorflächen gespeichert und optimiert in weiterer Folge die Wärmepumpen. „Das heißt, je besser Bewohner*innen kühlen, desto weniger teuer wird ihre Heizung im nächsten Winter“, so der Experte.
Je besser Bewohner*innen kühlen, desto weniger teuer wird ihre Heizung im nächsten Winter.
Ohne Konvektoren geht’s nicht
Umbauten wie diese gehen nicht von heute auf morgen vonstatten, sondern in Schritten. Aus Sicht Sozialbauträger sind für das Gelingen solcher Vorhaben insbesondere kaskadierbare, kostengünstige Heiz/Temperier- u. Warmwasser-Systeme, eine hohe Flexibilität des Systems (in Bezug auf Energieentnahme- bzw. Ertrag) und Systeme die einen minimalinvasiven Eingriff in den Wohnbereich wichtig. Denn „in dem Moment, wo wir Wohnungen zerstemmen, wird es nichts werden“, weiß Bach. Er schätzt, dass die Fräs-Lösung in etwa 15 bis 20 Prozent der Objekte der Sozialbau AG zur Anwendung kommen kann, weitere 15 bis 20 Prozent könnten mittels seriell vorgefertigten Fassadenelementen saniert werden. „Dann sind wir bei 60 bis 70 Prozent, wo wir mit Konvektoren agieren müssen“, schließt der Experte seinen Ausblick.