Aus TGA 1-2: Die energieaktive Fassade : Grüne Wärme aus der Wand
An einem Grazer Hochhaus demonstriert das österreichische Forschungsinstitut AEE Intec gerade seine neue Energiefassade. Sie soll die alten Mauern mit minimalem Aufwand zu Flächenheiz- und Kühlsystemen machen, die auch Energie speichern können. Der Prototyp hat im Projekt EXCESS die Tests am Prüfstand gut bestanden. Auch ein Patent gibt es bereits. Durch die serielle Sanierung könnten hunderttausende unsanierte Häuser aus den 60er- bis 80er-Jahren endlich zu geringen Kosten auf Klimaschutzkurs gebracht werden.
Um die Klimaschutzziele im Wärmesektor zu erreichen, ist eine umfassende Sanierung des Gebäudebestandes nötig, darin sind sich Fachleute einig. Doch diese läuft seit Jahren bestenfalls schleppend. In Österreich lag die Sanierungsquote zuletzt bei 0,5 Prozent, in Deutschland hing sie im letzten Jahrzehnt bei etwa 1 Prozent fest. Die serielle Sanierung mit vorgefertigten, gedämmten Vorhangfassaden könnte Abhilfe schaffen. Im Rahmen des H2020-Projektes EXCESS geht AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE Intec) noch einen Schritt weiter. Ein zentraler Aspekt ist die Transformation eines bestehenden Gebäudes zu einem energieflexiblen Plusenergiegebäude, das mehr Energie aus erneuerbaren Technologien vor Ort erzeugt, als es selbst verbraucht.
Für die Umsetzung des österreichischen Demonstrators ist AEE Intec verantwortlich und koordiniert die Aktivitäten rund um die Entwicklung der energieaktiven Fassaden. Die Vorhangfassade ist dabei zugleich die Tragekonstruktion für Photovoltaik, Flächenheizsystem und Wärmespeicher. Das ermöglicht eine hohe Sanierungstiefe bis hin zur thermischen Bauteilaktivierung, die im Bestand sonst nicht möglich wäre. Die Sanierung kann vor Ort in kurzer Zeit und mit geringem Personaleinsatz umgesetzt werden. Die Gebäude können durchgängig bewohnt beziehungsweise genutzt werden, was zu einer erhöhten Akzeptanz führt. Der Piloteinsatz wird Anfang 2022 anlaufen.
Prototyp hat sich auf dem Teststand bewährt
Im Forschungsprojekt haben AEE Intec und die Partnerorganisationen Prototypen für eine solche Energiefassade entwickelt und auf den Prüfstand gestellt. Grundlage für den Prototypen ist eine Vorhangfassadenkonstruktion in Metallbauweise. Als aktives Heizelement kommen spezielle Komponenten zum Einsatz, wie man sie vergleichbar aus thermischen Kollektoren kennt. Beim Einblasvorgang des Dämmmaterials wird dieses komprimiert und drückt das Flächenheizsystem an die bestehende Außenwand des Gebäudes. Dabei können Unebenheiten der Bestandswand ausgeglichen werden. Zugleich sorgt das eingepresste Dämmmaterial dafür, dass der Kontakt dauerhaft bestehen bleibt. So stellt es einen guten Wärmeübergang zwischen Heizschicht und der alten Außenwand sicher. Mit diesem Aufbau und Anpressverfahren erreicht der Prototyp die höchsten Wärmeübertragungsraten. Für den Fassadenaufbau und das Verfahren zum Anpressen der aktiven Heizschicht an die Fassade hat AEE Intec ein Patent angemeldet.
Den Prototypen hat AEE Intec in der eigenen Fassaden-Prüfeinrichtung knapp drei Monate lang unter realen Bedingungen getestet. Dabei zeigte sich, dass sich die Messwerte für Wärmedurchgang und andere Eigenschaften sehr gut mit den Werten aus der Simulation decken. Auch auf potenzielle Kondensationsprobleme bei einer Kühlanwendung wurde die Fassade untersucht. Doch selbst bei niedrigen Kühltemperaturen für hohe Kühlleistungen trat bei der fachgerechten Montage keine Kondensation auf.
Gebäude der 1960er bis 1980er gut geeignet
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Art der Sanierung für Gebäude aus den 1960er- bis 1980er-Jahren besonders interessant ist. Die Fassaden aus dieser Bauzeit sind meist geradlinig, was den Einsatz großflächig vorgefertigter Fassadenelemente vereinfacht. Zugleich sind die Gebäude nicht eigens gedämmt. Das erhöht nicht nur die Energiekosteneinsparung, sondern erleichtert auch das Heizen und Kühlen über die Außenwand. In jenen Jahrzehnten bestanden Außenwände vor allem aus Hochlochziegel, Vollziegel, Vollbeton oder Mantelbeton.
Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass sich bei entsprechender Reduktion des Heizwärmebedarfs all diese Wandaufbauten ausgezeichnet für eine Beheizung oder Kühlung über die Außenwände eignen. Allerdings leitet Beton die Wärme deutlich besser als Hohllochziegel. Das kann man kompensieren, indem man bei Hohllochziegeln die aktive Heizebene der Energiefassade mit Wärmeleitblechen ausstattet. Je nach Heizsystem kann man auch auf höhere Vorlauftemperaturen setzen.
Bauteilaktivierung von außen bietet großes Speicherpotenzial
Ein weiterer Vorteil der aktiven Energiefassade ist es, dass sie Gebäude und Wände als thermische Speicher nutzbar macht. Durch diese Bauteilaktivierung wird es möglich, den fluktuierenden Wind- und Solarstrom genau dann in Wärmepumpen zu nutzen, wenn er in großen Mengen verfügbar ist. Die energieaktive Fassade bietet die Möglichkeit,
auch die großen Potenziale von Bestandsgebäuden hierfür zu erschließen. Die maximale Speicherkapazität ist im Vergleich zu bestehenden Radiatorheizungen mehr als zehn Mal so hoch.
Demensprechend länger sind die Zeiträume, die nach dem Beladen der Wand ohne aktive Wärmezufuhr überbrückt werden können. Je nach Behaglichkeitsempfinden sind sogar mehrere Tage möglich. Auch um Produktionsspitzen in der Windenergie abzupuffern und sinnvoll zu nutzen, eignet sich die Bauteilaktivierung. In Österreich gibt es rund 624.000 Wohnungen aus den 60er- bis 80er-Jahren. Sie haben zusammen 26 Millionen Quadratmeter Fassadenflächen. Würde man diese mit Energiefassaden sanieren, erhält man einen thermischen Kurzzeitspeicher mit einer Kapazität von 31,2 GWh(th). Das ist genug, um eine Stunde lang die Energie aus mehr als 6.000 großen Windkraftanlagen aufzunehmen.
Vom Prototypen zum Pilotprojekt
Dieser liegt zwischen 5 W/m2K bei Ausführung ohne Wärmeleitblech und 12 W/m2K bei Ausführung mit Wärmeleitblech. Das Diagramm verrät dann die benötigte Heizmittelübertemperatur, mit der die Energiefassade bei winterlichen Bedingungen betrieben werden muss. Im gewählten Bespiel bei einer Ausführungsart mit Wärmeleitblechen (HTC = 12) und einer Bestandswand aus Stahlbeton genügt eine Heizmittelübertemperatur von 10 Kelvin. Das ermöglicht einen effizienten Betrieb mit einer Wärmepumpenheizung. Besteht die Bestandswand dagegen aus Hohllochziegeln, braucht man eine Heizmittelübertemperatur von rund 22 Kelvin. Auch das ist mit einer Wärmepumpe machbar. Im Detail sind dann noch individuelle Anpassungen möglich. So lassen sich zum Beispiel einzelne Wandzonen für höhere Leistungen auslegen, um ein Badezimmer stärker zu heizen. Auch ergänzende Wärmeabgabesysteme wie Handtuchtrockner sind möglich.
Diagramm zur Auslegung der Energiefassade
Im Rahmen der Forschungsprojekte wurde auch die Grundlage für die Auslegung des Fassaden-Heizsystems in der Praxis geschaffen. In die komplexen Modelle und Simulationen sind dabei neben den oben genannten Erkenntnissen auch Faktoren wie die Behaglichkeit im Gebäudeinneren und das dynamische Verhalten des Systems eingeflossen. Das Ergebnis sind Auslegungsdiagramme, wie man sie z. B. von Fußbodenheizungen kennt. Für verschiedene Typen von Bestandsfassaden (z. B. Stahlbeton oder Hohllochziegel, Stahlbeton oder Vollziegel) gibt es dabei jeweils ein spezifisches Diagramm.
Damit im Gebäudeinneren der gewünschte Komfort erreicht wird, muss die Wand eine bestimmte Wärmeleistung pro Fläche an den Raum abgeben (Heat Transfer Rate/ HTR). Mit welcher Kombination von Heiztechnik und Ausführung der Energiefassade das möglich ist, lässt sich mit dem Diagramm herausfinden. Ein Beispiel: Ein Gebäude benötigt nach der thermischen Sanierung eine Heizleistung von z. B. 30 W/m2, die über die Fassadenfläche an das Gebäude abgegeben werden muss. Im Diagramm (siehe Abbildung 1) wählt man durch den HTC-Wert „Heat Transfer Coefficient“ die gewünschte Ausführungsart der Energiefassade.
Dieser liegt zwischen 5 W/m2K bei Ausführung ohne Wärmeleitblech und 12 W/m2K bei Ausführung mit Wärmeleitblech. Das Diagramm verrät dann die benötigte Heizmittelübertemperatur, mit der die Energiefassade bei winterlichen Bedingungen betrieben werden muss. Im gewählten Bespiel bei einer Ausführungsart mit Wärmeleitblechen (HTC = 12) und einer Bestandswand aus Stahlbeton genügt eine Heizmittelübertemperatur von 10 Kelvin. Das ermöglicht einen effizienten Betrieb mit einer Wärmepumpenheizung. Besteht die Bestandswand dagegen aus Hohllochziegeln, braucht man eine Heizmittelübertemperatur von rund 22 Kelvin. Auch das ist mit einer Wärmepumpe machbar. Im Detail sind dann noch individuelle Anpassungen möglich. So lassen sich zum Beispiel einzelne Wandzonen für höhere Leistungen auslegen, um ein Badezimmer stärker zu heizen. Auch ergänzende Wärmeabgabesysteme wie Handtuchtrockner sind möglich.
Die Grundlagen für die Energiefassade sind gelegt
Die Demonstration der Energiefassade in Graz ist Teil des EU-Projektes „EXCESS“. Sie zeigt, wie selbst aus einem alten Industriebau ein klimafreundliches Plusenergiegebäude werden kann. Mit der Energiefassade lassen sich unterschiedlichste Materialien und Heiztechniken einbinden – sogar externe Energielieferanten. Vor allem aber sorgt sie dafür, dass die Bewohner es behaglich haben, egal ob es draußen schneit oder eine Hitzeglocke über der Stadt hängt. Mit der Demonstration der energieaktiven Fassade ist der Grundstein für viele nachhaltige Sanierungsprojekte gelegt. In den kommenden Jahren wird AEE Intec sie gemeinsam mit ihren Partnern stetig evaluieren und weiterentwickeln.
Energiefassaden auf dem Prüfstand
Der multifunktionale Prüfstand von AEE Intec ermöglicht umfangreiche Tests von Fassadenelementen, Verglasungen, Beschattungsvorrichtungen und Gebäudetechnikelementen. Am Prüfstand lassen sich die klassischen Bauteilkennwerte (Wärmedurchgang, Luftdichtheit, solare Einstrahlung etc.) und energetischen Parameter (Strom-, Heiz- und Kühlbedarf) ermitteln. Darüber hinaus dient er dazu, Faktoren zu untersuchen, die für die Behaglichkeit relevant sind. Auch komplexe Komponenten der Gebäudetechnik können auf dem Prüfstand von AEE Intec analysiert werden.
Der Prüfstand verfügt über mehr als 400 zeitlich hochaufgelöste Messkanäle und Sensoren. So lassen sich die Einwirkungen auf die Bauteile und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Gebäudenützer*innen tiefgreifend analysieren. Sowohl der Innenraum als auch alle umschließenden Flächen sind dynamisch konditionierbar. Auf diese Weise lassen sich vielerlei messtechnische Fragestellungen beantworten: Wie wirkt sich das Nützer*innenverhalten aus? Welchen Einfluss haben unterschiedliche Bauweisen? Was passiert in verschiedenen Klimaszenarien? AEE Intec nutzt den Fassadenprüfstand für eigene Projekte und bietet die Untersuchungen auch als Dienstleistung an.
Weiterführende Links
Qualifizierung der Fassade: https://bit.ly/aee-intec-1
EU-Projekt EXCESS: https://bit.ly/aee-intec-2
Pilotprojekt in Graz: https://bit.ly/pilotprojekt-graz
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