Kreislaufwirtschaft : ÖGNI-Positionspapier: Weg von linear, hin zu zirkulär

Mann, der das gedruckte Positionspapier in den Händen hält.
© value one

Ein Jahr lang beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe der ÖGNI (Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft) gemeinsam mit Expert*innen mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Ganz nach dem Motto „Stop talking, start acting!", konnten die Teilnehmenden in Rahmen von Diskussionen sowie Exkursionen praxistaugliche Einblicke gewinnen. Ein Positionspapier umreißt nun die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe.

Energie- und Rohstoffverbraucher Bauindustrie

Nur 40 Prozent des Bauschutts von Gebäuden werden in Europa aufbereitet oder wiederverwertet. DI Mariana Ristic (Head of ESG, Value One), Arbeitsgruppen-Leiterin: „Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, weg vom bekannten, linearen Wirtschaftssystem, ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Um das Klima zu schützen, unsere wertvollen, endlichen Ressourcen zu schonen und unsere Meere nicht weiter zu verschmutzen, ist diese Transformation ein absolutes Muss." Man habe den Rahmen dieser Arbeitsgruppe dazu genutzt, um konkrete Lösungen aufzuzeigen.

Der Wille der Immobilienwirtschaft, Kreislaufwirtschaft zu berücksichtigen, ist da. Die Information was, wo, wann, in welcher Qualität vorhanden ist, fehlt jedoch, ist aber entscheidend, um Kreislaufwirtschaft bereits im Planungsprozess anzuwenden.
Mag. Peter Enger, Geschäftsführer ÖGNI

Blick in das Positionspapier

Das 52 Seiten starke Positionspapier schlägt einen Bogen von SDGs über Kriterien für zirkuläres Bauen bis hin zu Praxisbeispielen und mehr. Auch einige Initiativen für Kreislaufwirtschaft werden vorgestellt. Zuletzt formuliert die Arbeitsgruppe Forderungen für kreislauffähige Immobilien.

Darunter werden die Harmonisierung von Baubestimmungen für maximale Flexibilität in der Wiederverwendung sowie eine verpflichtende Rückbauplanung über den normativen Standard hinaus gefordert. Die Einführung einer österreichweiten Bewilligungspflicht für den Abbruch von Gebäuden und die Erweiterung des Entscheidungsrahmens der Behörden unter Einbeziehung der ökologischen Zweckmäßigkeit sowie verpflichtende multifunktionale(Nach-)Nutzungskonzepte bei der Errichtung von Dienstleistungsgebäuden werden ebenso gelistet.

Ein Blick auf die Kriterien für zirkuläres Bauen sowie den Exkurs zu BIM und Kreislauffähigkeit sorgt für spannende Einblicke:

Comparing circular and linear economy showing product life cycle. Natural resources are taken to manufacturing. After usage product is recycled or dumped. Vector illustration on white background. Waste recycling management concept.
Weg von linear und hin zu zirkulär lautet die Devise. - © petovarga - stock.adobe.com
Kriterien für zirkuläres Bauen
1. Bestehendes nutzen, bevor Neues geschaffen wird Erreicht wird das, indem urbane Räume nachverdichtet, Leerstände minimiert, Bestandsbauten um- und weitergenutzt und Aushub- sowie Abbruchmaterialien – im Sinne der Aktivierung lokaler Potenziale – wiedereingesetzt werden.
2. Mehrfachbelegung von Flächen Dies verspricht eine intensivere Nutzung des Gebäudebestands und in Folge einen geringeren Bedarf an neuen Gebäudevolumina.
3. Vermeidung von Überspezifikation Durch die Reduktion des Einsatzes nicht benötigter Materialien sowie den Verzicht auf ressourcenintensive Bauteile wird die unmittelbarste Art Ressourcenschonung betrieben, nämlich in Form von Ressourcenoptimierung.
4. Langfristige Gebäudenutzung Das bedeutet direkte Ressourcenschonung. Da zur Zeit der Planungsphase in der Regel nicht absehbar ist, inwiefern sich bis zum Lebensende des Gebäudes Anforderungen oder externe Rahmenbedingungen ändern, ist es wesentlich, Gebäude nutzungsflexibel zu gestalten.
5. Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit Die Prinzipien der Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit tragen wesentlich dazu bei, dass Gebäude werthaltig bleiben und lange genutzt werden können.
6. Trennbarkeit der Materialien/Bauteile Die Möglichkeit, verbaute Ressourcen werthaltig wiederzuverwenden, hängt maßgeblich von ihrer Trennbarkeit ab. Gebäude dürfen also nicht als „unveränderliche Blöcke“ konzipiert werden, sondern in „trennbaren Schichten“ die sich in Funktion und Lebensdauer unterscheiden – denn die Gesamtnutzungsdauer einer Bauteilkonstruktion kann jeweils nur so hoch sein, wie die geringste Nutzungsdauer der Bauteile.
7. Sortenreinheit Für die stoffliche Verwertung ist der Grad der Sortenreinheit maßgeblich. Verunreinigungen erschweren oder verhindern den Recyclingprozess.
8. Schadstofffreie Materialien Bereits geringfügige Zusätze an Gefahrstoffen können die Recyclingfähigkeit einschränken. Deshalb sind schadstofffreie Materialien wichtig für konsistente Kreisläufe.

Exkurs: BIM und Kreislauffähigkeit

Der Ansatz von BIM in Verbindung mit Kreislaufwirtschaft birgt Potentiale wie auch Herausforderungen. Um ein Gebäude kreislauffähig zu machen muss es zuerst gut dokumentiert sein. Dafür ist eine fundierte Datengrundlage entlang der einzelnen Bauphasen notwendig. Unter anderem wird daher der Detaillierungsgrad in den einzelnen Planungs- bzw. Bauphasen komplexer. Damit verbunden sind häufige Wissenslücken bezüglich des Planungsablaufs und des damit verbundenen Level of Detail (LOD), der für die einzelnen Gewerke erforderlich ist.

Es fehlt zudem an standardisierte Vorlagen für AIAs und BIM-Abwicklungspläne (BAP), die eine einheitliche Herangehensweise in unterschiedlichen Bauprojekten gewährleisten. Die erhöhte Komplexität geht, neben einem vermehrten zeitlichen Aufwand auch mit einer Verschiebung der daraus resultierenden Kosten von der Bauphase in die Planungsphase einher, die es durch eine angemessene Vergütung sicherzustellen gilt, wie es im Positionspapier heißt.

Wenn bereits in frühen Entwurfsphasen mit der Kopplung BIM-basierter Ansätze Kreislaufwirtschaftskriterien in den Gestaltungsprozess mit einfließen, wird den Bauherr*innen schon ab der Vorentwurfsplanung mittels Modellen bzw. Modellvarianten inklusive approximativen Simulationen ermöglicht, den Erstentwurf zu bewerten.

Die Informationsflüsse in BIM kommen im Idealfall aus allen beteiligten Disziplinen und bilden alle Dimensionen und Perspektiven der Lebenszyklusphasen ab. Mit der Kombination von BIM in der Planungs- wie auch Betriebsphase als digitaler Zwilling, werden zudem Daten hinterlegt, die eine optimierte Bewirtschaftung eines Gebäudes ermöglichen. Die Digitalisierung gewinnt daher künftig auch im Bausektor an Bedeutung.

Zusammengefasst heißt das...

...für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Bau- und Immobilienwirtschaft wird sich das Wirtschaftswachstum vom Verbrauch endlicher Ressourcen abkoppeln müssen. Das bedeutet ein möglichst langer Werterhalt von Produkten und Stoffen für minimalen Ressourcenverbrauch und Abfall. Ebenso bedarf es einer integralen Berücksichtigung aller Phasen des Lebenszyklus von Produkten, verbauten Elementen sowie Baumaterialien. Der Gedanke der Kreislaufwirtschaft muss somit bereits bei der Entwicklung beginnen, die Nutzung sowie Aufbereitung zum Up-, Re- oder Downcycling miteinbeziehen, aber auch die Möglichkeit des wiederholten Einsatzes berücksichtigen.

Auch politisch ist dieser Weg durchaus gewollt: Der Green Deal sowie die EU-Taxonomie Verordnung verfolgen eine Umgestaltung der Produktions- und Verbrauchssysteme mit dem zentralen Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu gestalten.

Nützliche Links

Zum Positionspapier

Eventtipp
: Anlässlich des Abschlusses der Arbeitsgruppe veranstaltet die ÖGNI, gemeinsam mit ihrem Mitglied, der TPA Steuerberatung, am 29.06.22 ab 14 Uhr ein Fachseminar zum Thema Kreislaufwirtschaft.
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