Digitalisierung im Facility Management : Ohne Geschäftsmodell ist es Digi-Washing
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Wie viele Apps haben Sie auf Ihrem Smartphone? Wenn Sie durchschnittliche*r Nutzer*in sind, dann kann ich Ihnen die Frage beantworten: es sind 95. Haben Sie sich auch schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie viele dieser 95 Apps Sie zumindest monatlich nutzen? Auch das kann ich Ihnen beantworten: im Durchschnitt verwenden Smartphone-User nur 35 der 95 Apps zumindest monatlich. Die restlichen 60 Apps sind einfach nur da, sie sind technologische Schläfer. Sie verbrauchen einfach nur Speicherplatz. Nicht genutzte Software ist das tote Gewebe der digitalen Welt.
Hat die Digitalisierung tatsächlich unsere Effizienz gesteigert?
Doch was auf dem privaten Smartphone eher ein lästiges Problem ist, sollte bei Business-Anwendungen schon Fragen aufwerfen. Und hier sind wir bei einem Thema, das mich auch im Facility Management seit Jahren beschäftigt: Was genau hat uns die Digitalisierung in unserer Branche nun tatsächlich gebracht – und nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung auch so, wie es der Zweck von Digitalisierung, nämlich Effizienzsteigerung, Zeitersparnis und ein gemeinsames Verständnis von Datenwelten, auch erfordern würde?
Nicht genutzte Software ist das tote Gewebe der digitalen Welt.
Es fehlt der Rückhalt der User*innen
Tatsache ist: 60 Prozent der IT-Projekte im Facility Management scheitern, die Hälfte davon daran, dass es keine Akzeptanz der eigentlich mit digitalen Versprechen beglückten User gibt. Die Erkenntnis ist nicht wirklich neu. Schon 2016 hat eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin darauf hingewiesen, dass IT-Projekte im Immobilienbereich häufig auch deshalb elendig verenden, weil es am Rückhalt der User*innen mangelt.
Menschen hassen Change
Change wird als Bedrohung wahrgenommen, als psychischer Stress, als Zumutung. Andererseits aber: Menschen sind lernwillig. Aber sie müssen ahnen, dass ihre Lernwilligkeit belohnt wird. Und da kommen wir wieder zur Digitalisierung. Seit Jahren behauptet die Software-Industrie, dass etwa BIM die komplexen Abläufe auf dem Bau- und im Facility Management wesentlich vereinfachen würde. Doch halten diese Versprechen der Realität, insbesondere im Facility Management, stand?
>> Lesen Sie hier: Online-Ausschreibungschecker verbindet BIM und Facility Management
Nur 14 Prozent setzen BIM im Gebäudemanagement ein
Bei einer Studie aus dem Jahr 2021 gaben nur etwas mehr als 18 Prozent der befragten Bau-Expert*innen an, dass BIM eine FM-gerechte Planung Realität hätte werden lassen. Und nur knapp 14 Prozent der Befragten setzen BIM im Gebäudemanagement ein – übrigens um rund sechs Prozent weniger als bei der gleichen Umfrage aus dem Jahr 2020.
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Wo ist der Mehrwert?
Software ist für User*innen – im Idealfall jedenfalls – die Einlösung eines Mehrwertversprechens. Im Gegensatz zu BIM. Wer hier von einer Software spricht, hat es nicht ganz verstanden. BIM ist eine Methodik zur Kollaboration unterschiedlicher Gewerke, eine Methodik der Modellierung, des Informationsmanagements. Diese BIM-Methodik scheitert aber genau an diesen Versprechen – und das gerade an jenem Glied der Value Chain, wo BIM eigentlich struktur- und formgebend für alle weiteren am Bau beteiligten Gewerke wäre: bei den Architekturbüros. Bei einer Umfrage unter Mitarbeitenden deutscher Architekturbüros gaben aber 61 Prozent der Befragten an, sich gegen BIM entschieden zu haben, weil sie darin keinen Mehrwert für ihre Tätigkeit erkennen könnten. 64 Prozent gaben an, sich nicht mit BIM zu beschäftigen, weil Auftraggebende es ja gar nicht verlangen würden.
Die absurde Situation wahrer Pioniere
Diese Umfrage gleicht einem Panorama des Elends: die Nutzer*innen verweigern sich, weil sie keinen Mehrwert sehen, der Mehrwert wäre wohl auch, dass BIM von den Auftraggebenden verlangt würde, aber wahrscheinlich – und da rate ich mal ganz forsch – verlangen Auftraggeber kein BIM, weil auch sie keinen Mehrwert sehen. Wie absurd es werden kann? Sehr absurd. Die Stadt Wien und die Bundesimmobiliengesellschaft mussten als Bauherren Projektbeteiligten beim Bau einer Schule sogar einen „BIM-Aufschlag“ bezahlen. So dankt man also Auftraggebenden, die hier als Pioniere vorangehen und das Potenzial erkennen. Ich persönlich bin jedenfalls froh, dass sie es getan haben, denn die Belohnung kommt – und zwar während des gesamten Lebenszyklus.
Das Ursache-Wirkung-Missverständnis
Der große österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat einmal anhand zwischenmenschlicher Beziehungen das Wesen eines Teufelskreises definiert: Eine Frau zeigt sich mit dem Verhalten ihres Mannes unzufrieden, weil der sich ihrer Einschätzung nach immer mehr von ihr entfernt. Der zieht sich ob dieser Unzufriedenheit immer mehr zurück, besucht etwa öfter mal ein Wirtshaus. Beide Partner sehen als Ursache und Wirkung genau umgekehrt. Der Teufelskreis wird zur Abwärts-Spirale. Vielleicht ist es mit dem Nicht-Einsatz und der Ablehnung von BIM ähnlich wie mit dieser Partnerschaft – und die Umfrage unter den Mitarbeitenden deutscher Architekturbüros könnte ein Indiz dafür sein. Wir müssen also – um das Problem zu beheben – zuerst zu einem gemeinsamen Verständnis von Ursache und Wirkung der mauen Akzeptanz von BIM kommen.
BIM hat in unserem Bereich kein einziges neues Geschäftsmodell, kein einziges neues Produkt hervorgebracht, hat in keiner Weise einen Technologieschub ausgelöst.
Wo bleiben die Geschäftsmodelle?
Als FM-Praktiker muss ich auch nach jahrelanger Suche sagen: BIM hat in unserem Bereich kein einziges neues Geschäftsmodell, kein einziges neues Produkt hervorgebracht, hat in keiner Weise einen Technologieschub ausgelöst. Dabei wäre so vieles möglich: Man könnte ja etwa das Teilmodell einer Lüftungsanlage in eine App schicken und umliegenden Facility Service Providern die Möglichkeit geben, dafür zum Beispiel die Wartung anzubieten. Quasi ein UBER für Facility Management. Die Grenzen der Fantasie definieren wir selbst. Und in dem Fall scheinen wir gut zu sein bei der Grenzziehung.
Nicht nur nutzen, sondern mitentwickeln
Auch das Format IFC – eines der zentralen Wesensmerkmale von BIM und als großer Ermöglicher des barrierefreien Datenaustauschs gefeiert – bleibt nach wie vor hinter den eigentlich grundlegenden Erwartungen zurück: Früher mussten 2D- oder 3D-AutoCAD-Pläne in das CAFM importiert werden, jetzt sind es eben IFC-Modelle. Der Unterschied: kaum vorhanden, es ist nicht wesentlich anders – und nicht wesentlich einfacher – als die Arbeit mit einem PDF.
>> Lesen Sie hier: Datenaustausch von BIM-Modellen: Warten auf Godot?
Doch warum können wir nicht weiterdenken und solche Modelle viel mehr für Indoor-Navigation, für AR-Anwendungen nutzen? Das wird zum Teil schon gemacht, aber meiner Meinung nach noch viel zu wenig. Oder was ist mit IoT-Anwendungen, der Verknüpfung mit dynamischen Daten – Smart (Big) Data sozusagen! Doch es wäre unverzeihlich, würden wir das Potenzial der Systeme nicht heben. Wie das geht? Indem wir uns einbringen, interdisziplinär als Praktiker*innen den Entwicklungsvektor der Software beeinflussen und unser Know-how schon bei der Softwareentwicklung einbringen. Denn BIM ist zu wichtig, um es so zu belassen, wie es sich jetzt darstellt.
„Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind das Mindset der nächsten Generation, und damit die größte Chance, junge Talente wieder für die Bau- und Immobilienwirtschaft zu begeistern.“
Das Mindset der jungen Generation
Dass die neue EU-Taxonomie all diese Themen noch weiter befeuert, ist klar. Dass Digitalisierung Hand in Hand mit Nachhaltigkeit geht, aber weniger. Während bei vielen aufgrund von ESG das große Jammern an der Tagesordnung steht, sehe ich darin eine Jahrhundertchance. Beide Themen sind nämlich das Mindset der nächsten Generation, und damit die größte Chance, junge Talente wieder für die Bau- und Immobilienwirtschaft zu begeistern. Noch nie hat sich das Personal-Karussell in Unternehmen schneller gedreht als jetzt – mit der in Pension gehenden Boomer-Generation und einer zunehmend selbstbewussten und wechselwilligen jungen Generation an Fachkräften sind gerade weniger attraktive Branchen gut darin beraten, sich modern darzustellen. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind da zwei Gamechanger-Themen, die in der EU-Taxonomie ihren Katalysator gefunden haben.