Gebäudeplanung : Was ein nachhaltiges Gebäude ausmacht

Neubauten mit einem Rohbau und Bauplänen als Symbol für die Baubranche oder Immobilienbranche.
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Bei der Planung nachhaltiger Gebäude sind zahlreiche weitere ökologische, ökonomische und auch soziale Aspekte zu beachten, die bereits bei der Gebäudeplanung zu tragen kommen. Eine nachhaltig ökologische Gebäudeplanung reicht von der Wahl des Grundstücks und der Architektur über die Energie- und Materialeffizienz bis hin zu Betrieb, Instandhaltung und Abfallvermeidung.

Der größte Kostenpunkt eines Gebäudes liegt aber nicht in der Planungs- und Bauphase, sondern im laufenden Betrieb. Die ökonomische Nachhaltigkeit bei der Planung eines Gebäudes bezieht sich daher in großen Teilen auf die langfristigen ökonomischen Auswirkungen über den gesamten Lebenszyklus. Schließlich geht es aber auch noch um die soziale Nachhaltigkeit, gefordert sind Lösungen zum Wohle der Nutzer*innen, im besten Falle macht ein Gebäude die Benutzer*innen über Generationen hinweg zufriedener. Nachhaltigkeit in der Gebäudeplanung – für die Ingenieurbüros eine höchst komplexe Aufgabe, wie aus den Kurzinterviews herauszulesen ist.

  • Daniel Friedl
    Ing. Daniel Friedl, BSc., Zentraplan PlanungsgesmbH


    „Sämtliche Fachdisziplinen beginnend vom ersten Architekturkonzept müssen beteiligt sein
    und auch über den Tellerrand hinaus blicken.“

Wie definieren Sie „Nachhaltigkeit im Gebäudesektor“ für sich? Was macht ein „nachhaltiges“ Gebäude aus?

Ing. Daniel Friedl, BSc. (Zentraplan PlanungsgesmbH): Für ein nachhaltiges Gebäude ist die Ausnutzung alt hergebrachter und auch innovativer Möglichkeiten vonnöten. Beispielsweise kann durch eine sinnvolle Ausrichtung des Gebäudes und geschickte Positionierung der Glasflächen im Winter ein hoher solarer Eintrag erzielt werden, während im Sommer dennoch eine ausreichende Beschattung zur Begrenzung der Kühlleistung gegeben ist. Um solche Optimierungen zu erreichen, müssen sämtliche Fachdisziplinen beginnend vom ersten Architekturkonzept beteiligt sein und auch über den Tellerrand hinausblicken. Die TGA selbst nimmt hier im Regelfall nur eine untergeordnete Rolle durch Optimierung der in den Konzepten definierten Systeme ein. Dementsprechend ist ein Gebäude für mich dann als nachhaltig einzustufen, wenn maßgeschneidert auf den jeweiligen Verwendungszweck versucht wurde, die idealen Lösungen zu finden. Beginnend mit der Raumstruktur über die Wahl der entsprechenden Technik bis hin zu den verwendeten Rohstoffen.

Ing. Christoph Passecker, MBA, MSc. (Haustechnik Planungsgesellschaft):
Ein nachhaltiges Gebäude sollte aus meiner Sicht möglichst wenig Primärenergie benötigen und im Zuge der Errichtung ist der gesamte Lebenszyklus des Objektes zu betrachten. Idealerweise wäre die Projektierung als Plusenergiegebäude, sodass das Objekt auf die gesamte Gebäudenutzungszeit keine Primärenergie benötigt. Ein nachhaltiges Gebäude sollte daher aus meiner Sicht mit bestmöglichen Energieeffizienzmaßnahmen geplant werden. Nachdem wir diese Philosophie im eigenen Unternehmen bereits seit Jahrzenten verfolgen, können wir unseren Kund*innen erprobte Energieeffizienzmaßnahmen maßgeschneidert für das ausgewählte Projekt vorschlagen.

>> Lesen Sie hier: Christoph Passeckers TGA-Kolumnen

Andrea Hauer (ATP sustain): Grundsätzlich ist das Thema Nachhaltigkeit im Gebäudesektor definiert durch den Gleichklang und die Berücksichtigung der ökologischen, ökonomischen und der soziokulturellen Nachhaltigkeit. Dies bedeutet, dass ein Gebäude den Kernprozess der Nutzer*innen erfüllen muss, jedoch nur soweit die Auswirkungen auf die Umwelt durch dieses Gebäude so gering gehalten werden, dass die Umwelt dies verkraften kann und das Gebäude über den Lebenszyklus leistbar bleibt. Schlussendlich stehen wir heute an einem Punkt, dass die Auswirkungen auf die Umwelt so minimal sein dürfen, dass der klassische Neubau auch als Passivhaus nicht mehr umsetzbar ist. Nachhaltigkeit im Bauwesen bedeutet, mit den Ressourcen, die derzeit vorhanden sind, auszukommen.

DI (FH) Christoph Urschler (TBH Ingenieur):
Grundsätzlich denke ich, dass der Begriff der Nachhaltigkeit schon etwas überstrapaziert ist. Wenn man von Nachhaltigkeit spricht, sollte man klar definieren, was darunter in weiterer Folge verstanden wird. Für mich ist die Nachhaltigkeit im Gebäudesektor sehr eng mit der EU-Taxonomie verbunden. Jene Verordnung bietet Investoren, Unternehmen und Projektträgern ein Klassifizierungssystem für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien (bzw. dem Gebäudesektor im Neubau und Bestand). Unter den oben genannten Aspekten macht daher für mich ein nachhaltiges Gebäude aus, dass man Überlegungen hinsichtlich Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und Berücksichtigung von Ökosystemen bereits in der Errichtung, aber auch in der Bestandsphase berücksichtigt.

Johann Wallner (PHI Technisches Planungsbüro):
Es geht dabei um wirtschaftliches Planen und wirtschaftliches Betreiben der Anlage in Hinsicht auf den Lebenszykluszeitraum der technischen Einrichtungen. Da die Gebäudenutzungszeiträume in der Regel zwischen 50 und 100 Jahren angesiedelt sind, müssen die technischen Anlagen zwischenzeitlich ein- bis zweimal ausgetauscht werden. Als Nachhaltigkeit im Sinne der Nutzer*innen muss gelten, dass der Komfort und der Wohlfühlfaktor über den technischen Anlagen weitestgehend gewährleistet ist und dass die Anlagen nach der Demontage einem Recyclingverfahren zugeführt werden können. Was macht ein „nachhaltiges“ Gebäude aus? Ich möchte drei Aspekte nennen: Die Materialauswahl in der Planung in Bezug auf die technischen Erfordernisse und einen möglichst langen Nutzungszyklus. Die Materialauswahl aus der Planung in der Ausführung beibehalten und nicht, wie leider üblich, die billigsten Produkte einsetzen. Für die Materialauswahl ist die Regenerierbarkeit und auch die Recycelbarkeit nach Austausch oder Abbruch sicherzustellen.

  • Christoph Passecker
    Ing. Christoph Passecker, MBA, MSc.,
    Haustechnik Planungsgesellschaft


    „Ziel sollte es sein, den Energieverbrauch so weit wie möglich zu senken, und den verbleibenden niedrigen Restenergiebedarf durch erneuerbare Energiequellen – zur Entlastung der Netze – möglichst am Standort zu gewinnen und abzudecken."

In welchen Bereichen der TGA sehen Sie die stärksten Hebel, um ein Gebäude nachhaltig zu planen?

Friedl: In der TGA liegen die größten Einsparungen unserer Erfahrung nach in der Optimierung der Betriebsweisen der Anlagen. Hier speziell bei Lüftungsanlagen, und einem entsprechend bedarfsgeregelten Betrieb dieser, beispielsweise in Abhängigkeit der Personenbelegung. Die technischen Anlagen selbst sind heutzutage meist bereits als sehr effizient einzustufen, sofern es sich um Neuanlagen handelt.

Passecker:
Ziel sollte es sein, den Energieverbrauch so weit wie möglich zu senken, und den verbleibenden niedrigen Restenergiebedarf durch erneuerbare Energiequellen – zur Entlastung der Netze – möglichst am Standort zu gewinnen und abzudecken. Die Nachhaltigkeit eines Gebäudes wird wohl nicht auf einen einzigen Punkt zusammengefasst werden können. Vielmehr sind es eine Reihe von technischen Möglichkeiten, die heutzutage die Nachhaltigkeit und dementsprechenden Energieverbrauch senken können. Dazu zählen zweifellos Photovoltaikanlagen und Geothermieanlagen zur Energiegewinnung am Standort, hocheffiziente Wärmerückgewinnungsanlagen bei Lüftungssystemen zur Energieverbrauchssenkung und Kaltwasserzirkulationssysteme zur drastischen Reduzierung des Trinkwasserverbrauchs. Weiters kann eine Dezentralisierung der Warmwasserbereitung maßgeblich zur Reduzierung des Energieverbrauchs beitragen.

>> Lesen Sie hier: Manfred Denk spricht sich für dezentrale Wärmeversorgung aus

Hauer: Die technische Gebäudeausrüstung ist abhängig von den bedarfsweckenden Systemen, und das bedeutet einerseits von der Gebäudehülle und der Lage und andererseits von den Bedürfnissen und Forderungen der Nutzer*innen. Dies bedeutet, dass die TGA für sich alleine hier nur diese beiden Systeme bedient. Es bleibt damit der Hebel in der Wahl der Energieversorgung und der Energieumwandlung. Ein zweiter wesentlicher Hebel, der unabhängig von den beiden bedarfsweckenden Systemen ist, ist die Wahl des Materials und damit die materialgebundenen Umweltauswirkungen. Das bedeutet, die TGA hat mit rund 40 Prozent des derzeitigen CO2-Footprints in den grauen Emissionen einen massiven Einfluss durch die richtige Wahl der Materialien und der Systeme, des zerstörungsfreien Rückbaus, um die Materialien weit über den Lebenszyklus, der derzeit vorgesehen ist, weiterzuverwenden und die gesamte TGA in einem ReUse- und Recyclingprozess zu halten. Ein wesentlicher Baustein ist, dass die technische Gebäudeausrüstung unabhängig der gesamten Baustruktur demontier- und wieder montierbar sein muss (keine Bauteilaktivierung, keine Fußbodenheizung, keine Unterputzinstallation).

Urschler:
Aus Sicht eines Ingenieurbüros sollte bereits in der Vorplanung auf ein ordentlich-fundiertes Energiekonzept Wert gelegt werden. Aus meiner Erfahrung heraus ist dies ein sehr starker Hebel, um Investoren bzw. Nutzer*innen von Gebäuden und Energiesystemen bereits im Vorfeld für unterschiedliche Varianten von „Erneuerbaren“ ins Boot zu holen. Auch die Ausrichtung von Gebäuden und der weiterführende Betrieb kann somit in weiterer Folge auch auf Klimaschutz ausgerichtet werden.

Wallner: Essenziell ist die Kosten-Nutzen-Rechnung der eingesetzten Materialien und Geräte und die dadurch verursachten Erfordernisse für die Primärenergien.

  • Christoph Urschler
    DI (FH) Christoph Urschler, TBH Ingenieur


    „Wenn Ingenieurbüros entsprechende Ausschreibungen z. B. nach Standard-Leistungsbuch durchführen, so kommt aus meiner Sicht der Begriff ‚Nachhaltigkeit’ zu kurz.“

Inwieweit schlägt sich das Thema Nachhaltigkeit in Ausschreibungen seinen nieder?

Friedl: Dies hängt stark von den Anforderungen und den entsprechenden Kostenzielen der jeweiligen Bauherren ab – da das Bewusstsein für Nachhaltigkeit jedoch immer größer wird, sind zumeist recht eindeutige und hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit in unseren Ausschreibungen verankert.

Passecker:
Bis vor kurzem war das Thema „BIM“ federführend bei großen Wettbewerben im Vordergrund. Aktuell wird aus meiner Sicht BIM bei Großprojekten bereits vorausgesetzt und das Thema „Nachhaltigkeit & Energieeffizienz“ ist in den Vordergrund gerückt. Bei aktuellen Ausschreibungen wird eine gewisse Energieautarkie bereits gefordert und es werden laufend mehr Ausschreibungen mit derartigen Anforderungen am Markt ersichtlich.

Hauer:
Derzeit nur im Zuge einer Zertifizierung, da der Ausschreibungsprozess, um transparent und objektiv vergleichbar zu sein, klare Strukturen benötigt, die vergleichbar sind. Zertifizierungssysteme bilden genau hier eine Qualitätsmanagementstruktur im nachhaltigen Bauen und damit können Angebote unter den Aspekten des nachhaltigen Bauens auch vergleichbar dargestellt werden. Dies betrifft die Planung, aber auch die Ausführung. Ohne diese Qualitätsmanagementsysteme findet man frei definierte Anforderungen nicht oder nur teilweise, wie z. B. CO2-Neutralität.

>> Lesen Sie hier: ESGs: Der Weg zum Ziel

Urschler: Dabei muss es meiner Einschätzung nach zu einer Differenzierung von zwei Varianten kommen. Wenn Ingenieurbüros entsprechende Ausschreibungen z. B. nach Standard-Leistungsbuch durchführen, so kommt aus meiner Sicht der Begriff „Nachhaltigkeit" zu kurz. Es müssten die verwendeten Produktgruppen einer bereits vom Hersteller unterzogenen Nachhaltigkeitsprüfung zugeführt werden (LCA – Lebenszyklusanalyse – Umweltwirkung – Energiebilanz von Produkten). In Variante 2 legen Investoren aus meiner Sicht schon Ausschreibungskriterien für das Thema Nachhaltigkeit fest. Bieter müssen z. B. nachweisen, inwieweit sie solche Kriterien im Hinblick auf Mitarbeitende und Standorte erfüllen (Nutzer*innenverhalten in Betrieben usw.).

Wallner:
Der Kostenfaktor gibt die Inhalte der Ausschreibungen vor. Leider werden oft die falschen Entscheidungen getroffen. In der überwiegenden Zahl werden die Investitionskosten klein gehalten und die dadurch verursachten höheren Betriebskosten negiert.

  • Johann Wallner
    Johann Wallner, P.H.I. Technisches Planungsbüro


    „Ein Kaufen der ‚Katze im Sack’ wird am Immobilienmarkt immer schwieriger.“

Bedarf es spezieller Planungsprozesse für die Realisierung eines nachhaltigen Gebäudes?

Friedl: Es bedarf der frühen Einbeziehung sämtlicher fachlich Beteiligter und eines hohen Augenmerks auf die Optimierungen in den Konzepten und Vorentwurfsphasen.

Passecker:
Zur Realisierung energieeffizienter Planungen muss von Standard Heiz- und Kühllastberechnungen Abstand genommen werden. Vielmehr muss auf gesamtheitliche Simulationsprogramme gesetzt werden, die eine wesentliche Einsparung schon im Zuge der Errichtung eines Objektes bewirken. Bei Einsatz von Simulationsprogrammen müssen jedoch auch Behörden eingebunden werden, da die Auslegung der Energiesysteme nicht mehr standardmäßig auf Basis von ÖNORMEN abgebildet werden kann. Energieeffizientere Planung bedeutet zwar für Planer*innen einen Mehraufwand, Kund*innen haben jedoch bei den heutigen Energiepreisen die Mehraufwendungen von der Planung in kürzester Zeit amortisiert. Gezieltes Planen bringt Gewinn!

Hauer:
Ja, denn nachhaltige Gebäude unter der Betrachtung der absoluten Reduktion von Umweltwirkungen und der Einschränkung des Kernprozesses der Nutzer*innen bedeuten einen wesentlich intensiveren und verlängerten Projektstart, da die Aspekte des nachhaltigen Bauens und des zukunftssicheren Bauens die Grundlage für die Entwicklung eines Projektes massiv beeinflussen, wie z. B. die Wahl eines Grundstücks, ob damit auch sichergestellt ist, dass die Taxonomieanforderungen eingehalten werden und gegebenenfalls ein anderes Grundstück gesucht werden muss, um überhaupt die Basis eines nachhaltigen Gebäudes zu schaffen. Aber auch Themen der Energieversorgung oder die Interaktion des Gebäudes mit anderen (Mikronetz) und daher grundlegende Entscheidungsprozesse und Basisdaten gilt es zu verändern. Nachhaltiges Bauen richtet auch den Blick weit in die Zukunft, wenn es um den Rückbau geht, und damit beeinflusst nachhaltiges Bauen die Materialwahl, die Systemwahl im Hinblick auf eine Rückbaubarkeit und einen ReUse in 50 Jahren und mehr. Damit verlängert sich wesentlich die Projektentwicklung, die Grundlagenermittlung und der Vorentwurf und ab dem Entwurf werden dann die Entscheidungen und Basisdaten berücksichtigt. Daher ist die Digitalisierung des Planungsprozesses ein wesentlicher Baustein, das Projekt wird umsetzbar bleiben im selben Planungszeitraum unter Berücksichtigung der oben angeführten neuen Aspekte.

Urschler:
Ja, diese sind unbedingt zu verfeinern und nachvollziehbar darzustellen. Ich nehme dazu noch einmal den Bereich der Energiekonzepte, welche als Vorplanungsphase für jedes Bauvorhaben implementiert werden sollten. Dem Auftraggeber wird dabei gemeinschaftlich mit den Ingenieurbüros ein sehr mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben, um Betriebsführungsprozesse in der Nachnutzung von Gebäuden optimieren zu können. Dies betrifft den Neubau wie auch den Bestand – Stichwort Dekarbonisierung als Nachhaltigkeitsnutzen!

>> Lesen Sie hier: BIM - Zukunft des Planens

Wallner: Der Planungsprozess, unabhängig ob 2D oder 3D, BIM oder nicht BIM, kann nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn das gesamte Gebäude beginnend ab der Projektentwicklung, Planung, Ausführung und Bestand für die Beurteilung nicht herangezogen werden. Die Zertifizierungsprozesse (unabhängig vom gewählten Partner) geben viele Qualitätskriterien vor, die die Nachhaltigkeit des Gebäudes sicherstellen. Der Gebäudeerrichter hat für den Investor und langfristige Betreiber*innen des Gebäudes Qualitätsvoraussetzungen zu schaffen. Ein Kaufen der „Katze im Sack“ wird am Immobilienmarkt immer schwieriger.