Neubauflaute und Sanierungsbedarf : Sanierungsrate in Österreich: 1,5 Prozent sind nicht genug

Die Sanierung kommt in Österreich nicht so richtig in Schwung - woran liegt das?
- © Björn Wylezich - stock.adobe.comDie heimische Neubauflaute ist gekommen, um zumindest mittelfristig bis 2026 zu bleiben – das indizieren die Zahlen zum geplanten Zubau an Wohneinheiten in Österreich. Diesen bereits bekannten Prognosen stehen gleichzeitig etwa 1,85 Millionen sanierungsbedürftige Wohneinheiten gegenüber. Zu letzterer Abschätzung kommt das von Verbänden der Bauprodukteindustrie beauftragte „Monitoring-System zu Sanierungsmaßnahmen“, eine zum dritten Mal durchgeführte Beobachtung der Wohnhaussanierung.
Besonders hoch ist der Sanierungsbedarf bei privaten Mietwohnungen und Gemeindewohnungen sowie Wohnungen ohne Hauptwohnsitz, vergleichsweise gering bei gemeinnützigen Mietwohnungen. Eigenheime nehmen aufgrund ihrer hohen Anzahl ebenfalls einen besonderen Stellenwert ein. Berechnungen zeigen: Für eine Dekarbonisierung bis 2040 müsste sich die jährliche Sanierungsquote von 1,5 Prozent auf 2,8 Prozent verdoppeln.
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Warum nicht mehr saniert wird
Der Bedarf nach Sanierungen ist also im Gebäudebestand vorhanden, auch die „Manpower“ sollte aufgrund der fehlenden Neubau-Auslastung da sein. Trotzdem bleibt der Run auf Sanierungsprojekte aus. Dahinter steht eine Vielzahl an Gründen, weiß Wolfgang Amann vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW). Zum einen komme es auf Endkund*innenseite zu einer gewissen Ermüdungserscheinung, „nachdem die Menschen bei Beginn des Ukraine-Kriegs mit der Drohung, dass das Gas ausgeht, sehr emotionalisiert wurden.“
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Was das Thema Eigenheime betrifft, komme auch dazu, dass typische Hausbesitzer*innen von einer umfassenden Sanierung überfordert seien. „Es ist eigentlich Bauträgergeschäft, die Gewerke zu koordinieren, zu überprüfen, ob die richtigen Dinge eingebaut worden sind und sicherzustellen, dass alles im Zeitplan ist“, so Amann. Außerdem sind die Rahmenbedingungen trotz hoher Förderungen nicht ideal. Noch befinden sich die Gaspreise wieder auf niedrigem Niveau, mit eingesparten Energiekosten allein ist eine Sanierung also kaum zu refinanzieren.

Mittlerweile hat das Gas fast einen Preis wie vor der Krise. Wenn man sich eine Sanierung also mit den eingesparten Energiekosten durchrechnet, sind die Investitionen damit nie und nimmer zu finanzieren.Wolfgang Amann, IIBW
Zum anderen gibt es auf Seite der Bauwirtschaft ebenso hemmende Faktoren. Da wäre das Thema der Ausbildung, wie der Experte ausführt: „Die Sanierung braucht höher qualifizierte Mitarbeiter, gleichzeitig ist damit eine geringere Wertschöpfung pro Mitarbeiter zu erreichen.“ Dazu komme ein höherer Aufwand in der Akquise, weil Fixpreise kaum anzubieten sind. Denn im Gegensatz dazu könne man im Neubau auf standardisierte Produkte zurückgreifen, das wiederum gibt Kosten- und Planungssicherheit.
EPBD fordert Daten, die es nicht gibt
Die geforderten 2,8 Prozent Sanierungsquote würden laut dem Experten auch reichen, um die hohen Ziele der neuen EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) zu erreichen. Bei Wohngebäuden müssen die Mitgliedstaaten den durchschnittlichen Primärenergieverbrauch bis 2030 nämlich um mindestens 16 Prozent und bis 2035 um mindestens 20 bis 22 Prozent senken. 55 Prozent dieser Energieeinsparungen müssen durch die Renovierung der Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz erreicht werden.
Die Crux der Sache ist viel eher die Identifikation der Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz. Zwar gäbe es eine Energieausweis-Datenbank der Statistik Austria, in der Praxis arbeiten die Bundesländer jedoch mit drei unterschiedlichen Energieausweis-Datenbanken. „Es wurde damals leider verabsäumt durchzusetzen, dass das eine Bundeskompetenz ist“, kritisiert Amann. Das Ergebnis: „Wir haben keine zuverlässige Information über den thermisch-energetischen Zustand unserer Gebäude, was eigentlich ein schlechter Witz ist.“
Wir haben keine zuverlässige Information über den thermisch-energetischen Zustand unserer Gebäude, was eigentlich ein schlechter Witz ist.Wolfgang Amann, IIBW
2009 im Zeichen der Sanierung
Trotzdem weist Amann darauf hin, dass durchaus schon Erfolge verzeichnet werden konnten. Das wird besonders im Vergleich mit anderen Bereichen gut sichtbar: Waren die CO₂-Emissionen von Verkehr und Gebäudesektor in den Neunzigern noch gleichauf, lag der Emissionsausstoß der Gebäude 2023 auf weniger als der Hälfte des Vergleichswertes. Der Verkehr ist zwischenzeitlich für dreieinhalbmal so viele Emissionen wie der Gebäudesektor verantwortlich.
Ein Blick in die Vergangenheit lohnt sich auch beim Jahr 2009: Ein Jahr nach der Weltwirtschaftskrise erlebte Österreich Höchstwerte bei den Sanierungszahlen. Der damals ins Leben gerufene Sanierungsscheck des Bundes sollte die Konjunktur ankurbeln – Bund und Länder matchten sich regelrecht um bessere Förderbedingungen, kann sich Amann erinnern. So hoben einzelne Bundesländer etwa die Einkommensgrenzen für Förderungen auf. Ausschlaggebend für den damaligen Erfolg der Maßnahmen war laut Amann jedoch die Bereiterklärung der heimischen Bausparkassen, gratis als Einreichstelle für den Sanierungsscheck zu fungieren: „Die Bausparkassen sind gerade bei Eigenheimen überaus interessante Partner, weil sie ja Millionen von Haushalten beim Neubau der Eigenheime finanziert haben. Das heißt, sie hatten Kundenkontakte zu den Haushalten, die damals in Richtung Sanierung gebracht werden konnten.“
Die Bausparkassen als Einreichstelle für Sanierungschecks, das war schon ein genialer Kanal, um an die Zielgruppe heranzukommen.Wolfgang Amann, IIBW
Differenzierte Fördersituation
Mit dem Erneuerbare-Wärme-Paket (EWP) gab es für Sanierungsmaßnahmen ebenfalls großzügige Bundesförderungen – gemeinsam mit den Landesförderungen wurden zum Beispiel durchschnittlich 75 Prozent der Kosten für eine neue Heizung übernommen. Schon vor dem EWP war in diesem Bereich 2023 der deutlichste Anstieg sichtbar, von einem jahrelangen Niveau im Bereich von 15.000 Heizungsumstellungen auf fast 80.000.
Aber: „Bei den thermischen Einzelbauteilmaßnahmen grundeln wir auf einem niedrigen Niveau, auch bei den umfassenden Sanierungen tut sich nicht wirklich besonders viel“, analysiert Amann. Der Monitoring-Bericht zu Sanierungsmaßnahmen pocht daher zukünftig auf Maßnahmenbündel – seien es finanzielle Anreize, verbesserte rechtliche, auch ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen oder Bewusstseinsbildung – die in Bestandssegmente differenziert sind. Quasi eine eigene Kirsche für jedes Sahnehäubchen.