Deals & Projekte : Lokalaugenschein einer Wohnhausanlage mit Bauteilaktivierung
Die gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Arthur Krupp, eine Tochter der Wien-Süd, hat in Theresienfeld in Niederösterreich die zukunftsweisende Wohnhausanlage „Viertel hoch Zwei“ errichtet. Eine Bewohnerin erlaubt einen Lokalaugenschein. Das Thermometer zeigt an diesem Nachmittag 37 Grad, die Hitze flirrt buchstäblich in der Luft. Christine Schlögl öffnet die Wohnungstür, sie wirkt keineswegs erhitzt. Bei 37 Grad Außentemperatur hat es in ihrer Wohnung 24 Grad.
Das Geheimnis hinter dem Wohlfühlklima ist keine Klimaanlage, sondern ein ausgeklügeltes Energiesystem mit Bauteilaktivierung. Schlögl beobachtet seit ihrem Einzug vor zwei Jahren genau, was sich temperaturtechnisch wie auch in puncto Energieverbrauch in ihrer 70 Quadratmeter großen Wohnung so tut. Die gebürtige Theresienfelderin zahlt rund 400 Euro Strom im Jahr, die Miete beträgt 540 Euro monatlich. Dazu kommen noch die 25.000 Euro Baukostenzuschuss.
„Oft denke ich, was für ein Glück ich hatte – erstens, dass sich die Fertigstellung genau vor Corona ausging und zweitens, jetzt, durch den Krieg in der Ukraine und mit den Klimaschutzbemühungen: Heizen und Kühlen ohne fossile Energie“, freut sich Schlögl. Geheizt und gekühlt wird über die Betondecken.
Wohnbau-Typologie "Viertel hoch Zwei"
Der soziale Wohnbau mit insgesamt 28 Wohnungen in vier Baukörpern - zwei davon in der vom Bauträger gemeinsam mit Steinkogler Architekten entwickelten Wohnbau-Typologie "Viertel hoch Zwei“ (Viertelhauskonzept integriert in einem Mehrwohnungsbau, als flächenschonende Alternative zu Einfamilien-, Doppel-- und Reihenhausanlagen) - stellt unter Beweis, dass ein leistbarer Wohnbau mit klimaneutralen und langlebigen Wohnungen realisierbar ist. Gerald Batelka, Bauleiter Wien-Süd, betont, dass dies einerseits möglich sei, weil alle Bauteile auf Kostenoptimalität hin ausgeschrieben und Lebenszyklusberechnungen durch das Energieinstitut Vorarlberg durchgeführt wurden, aber auch aufgrund der Zusammenarbeit mit allen Partnern des Forschungsprojekts, wie u. a. dem Land Niederösterreich (Wohnbauforschung) und dem IIBW – Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen.
Low-tech-Gebäude sind energieeffizient, ressourcenschonend und wirtschaftlich. Sie sind robust und auf eine lange Lebensdauer ausgelegt.Wolfgang Amann, IIBW
Rücksicht auf den Gebäudelebenszyklus
Alle Systementscheidungen wurden auf Basis von Lebenszyklusberechnungen getroffen. Das Energieinstitut Vorarlberg prüfte rund 20.000 Varianten von Konstruktion, Baumaterialien und Wärmeschutz, von Heizung, Haustechnik und Energieaufbringung, und das nicht nur in Bezug auf die Baukosten, sondern in Bezug auf die Kosten über die gesamte Lebensspanne des Gebäudes. Vor zwei Jahren, als der Rohbau des Wohnbaus bereits stand, meinte Christof Anderle, Geschäftsführer des Bauträgers Arthur Krupp: „Die Zukunft des Heizens ist das Kühlen im Sommer“. Die aktuelle Hitzewelle gibt ihm dabei Recht.
Hier stellt die Bauteilaktivierung eine wirtschaftliche Lösung dar, die in Zusammenarbeit mit der Energiewirtschaft eine Win-win-Situation für alle Beteiligten schafft. Das technische Monitoring wie auch die Evaluierung der Bewohner*innenzufriedenheit u. a. hinsichtlich der Bauteilaktivierung, humanökologischer Aspekte und der Kosten, bestätigt diese Annahmen aktuell. Luftwasserwärmepumpen sind auf den Dächern platziert und eine Photovoltaikanlage hilft mit, den für den Betrieb der Pumpen notwendigen Strom zu erzeugen. Strom wird auch in Kooperation mit einem Windkraftbetreiber eingespeist. Warmwasser wird über Boiler, die mit einer Mikrowärmepumpe arbeiten, bezogen.
>> Tipp der Redaktion: Diese Beiträge könnten Sie außerdem interessieren!
Campus Pinkafeld um "lowtech"-Gebäude erweitert
Wie wir die Dekarbonisierung des Gebäudesektors bis 2040 schaffen
Gut zu wissen
Die thermische Speicherfähigkeit und Trägheit von massiven Bauteilen oder Gebäuden ermöglichen es, den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen zeitlich zu verschieben. Die Zufuhr von Wärme oder ihre Abfuhr im Fall der Kühlung kann durch entsprechende Regelung bevorzugt zu jenen Zeiten erfolgen, in denen erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Gebäude mit thermischer Bauteilaktivierung können daher so geheizt und gekühlt werden, dass der Betrieb dem gesamten Energienetz bzw. -system dienlich ist. Vorteile für das Energienetz ergeben sich vor allem dann, wenn der Netzbetreiber die Möglichkeit hat, die Last über eine Schnittstelle in gewissem Rahmen zu steuern.