Projekt Huttengasse : So geht klimafreundliche Gebäudewärme in der Großstadt
Nur drei Tage dauerte die Umstellung von fossiler auf erneuerbare Raumwärme in einer Ottakringer Wohnhausanlage. Die 17 Wohnungen wurden thermisch saniert und die Gasthermen durch ein Wärmepumpensystem auf dem Dach ersetzt. Anstelle der Gaskombithermen installierte Wien Energie Wohnungsstationen, die an das bestehende Wärmeabgabesystem mit Radiatoren angeschlossen wurden. Ein Pluspunkt: Die Wohnungseingriffe waren so gering, dass die Wohnungen während der Umstellungsarbeiten weiter genutzt werden konnten.
Der Gesamtinvestitionsbedarf zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands beträgt schätzungsweise knapp 30 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte davon entfällt auf umfassende thermisch-energetische Sanierungen.Peter Hanke, Finanz- und Wirtschaftsstadtrat
Vision klimaneutrales Wien
Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky, Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und Finanzstadtrat Peter Hanke zeigten am Beispiel Huttengasse, wie der Gasausstieg gelingen kann. Die Stadt Wien hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2040 im Bereich der Gebäudewärme klimaneutral zu werden. Anstelle von Energieformen, die die Umwelt belasten, sollen dann nur noch klimafreundliche Alternativen zum Einsatz kommen. Die Vision einer klimaneutralen Stadt bedeutet, dass alle Gebäude in Wien emissionsfrei und mit erneuerbaren Energieformen beheizt bzw. gekühlt werden - auch sogenanntes „grünes Gas“ soll in Wohnungen nicht zum Einsatz kommen.
Derzeit hat der Gebäudesektor einen Anteil von knapp 30 Prozent an den Treibhausgasemissionen, wobei Gasheizungen für fast 90 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Dennoch hat Wien den niedrigsten Pro-Kopf-Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser in Österreich (4.800 kWh/Jahr/Kopf).
„Für den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger nehmen wir als Stadt Wien viel Geld in die Hand. Wir investieren in den nächsten drei Jahren über 4,2 Milliarden Euro in den Ausstieg aus Gas. Der Gesamtinvestitionsbedarf zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands beträgt schätzungsweise knapp 30 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte davon entfällt auf umfassende thermisch-energetische Sanierungen und rund 9 Milliarden Euro betreffen die Heizungsumstellungen selbst“, betont Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke.
Aus Wien kommt zudem der Ruf an den Bund, dessen Förderungen für die Dekarbonisierung nachhaltig zu sichern und auf die Bedürfnisse einer Großstadt zuzuschneiden. Auch eine sukzessive Erhöhung der Förderbudgets für thermische Sanierungen und Heizungsumstellungen wird gefordert. Wien verdoppelt die Mittel etwa ab dem kommenden Doppelbudget von 30 auf 60 Mio. Euro.
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Technische Details zum Projekt
Eigentümer des Wiener Wohnbaus ist die gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Wien-Nordwest. Umsetzung und Betrieb erfolgen durch Wien Energie, die Zentralanlage wurde von rew Consulting geplant. Rund 350.000 Euro (exklusive Strom) wurden in das Projekt investiert, so Roman Weigl, Eigentümer rew Consulting und Obmann der Wiener Fachgruppe der Ingenieurbüros.
Die Wohn- und Nutzfläche der 17 Wohneinheiten beläuft sich insgesamt auf 1.170 m2, der Heizwärmebedarf auf 30,62 kWh/m2a. Das Haus war bereits thermisch saniert, was die Umstellung von Gasthermen auf ein Wärmepumpensystem begünstigt. Die 17 Wohnungen wurden thermisch saniert und die Gasthermen durch zwei zentrale Wärmepumpen mit je 60 kW auf dem Dach ersetzt.
Von dort führen die Heizwasserleitungen über die Außenfassade im Innenhof zum ehemaligen Hobbyraum, der nun als Heizzentrale mit zwei Pufferspeichern für Heizungswarmwasser (je 1.000 Liter und je mit 12 kW E-Heizpatrone), elektronische Einrichtungen und Pumpen dient. Die Steigstränge führen über die Abstellräume bzw. das Stiegenhaus zu den Wohnungen. Geothermie kam als Energiequelle aufgrund der unterirdischen Garage nicht in Frage, aufgrund von Platzmangel auf dem Dach war auch keine PV-Anlage möglich.
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Wie der Gasausstieg in Wien gelingen kann
1. Thermische Sanierung
Die thermische Gebäudesanierung ist von großer Bedeutung: Sie erhöht nicht nur die Energieeffizienz durch die Reduktion von Wärmeverlusten. Sie ebnet auch den Weg für den Einsatz erneuerbarer Energien. Eine vorangegangene thermische Sanierung erleichtert den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger. Mit Lösungsoptionen zur Heizungsumstellung sollte daher auch die Möglichkeit einer thermischen Sanierung geprüft werden.
2. Zentrale Heizsysteme
Eine Bestandsanalyse zeigt, dass in 74.000 Gebäuden mit rund 474.000 Wohnungen dezentrale Gasgeräte installiert sind. Obwohl Fernwärme verfügbar ist, heizen und kochen fast 80.000 Haushalte mit Gas. Für diese Haushalte wäre eine Umstellung auf Fernwärme eine Option. Erst die Installation von zentralen Heizsystemen ermöglicht den Energieträgerwechsel im gesamten Gebäude.
3. Wechsel des Energieträgers
Der Ausbau und die Nachverdichtung der Fernwärmeversorgung in den dicht bebauten Stadtteilen ist ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus arbeitet Wien an der Dekarbonisierung der Fernwärmeerzeugung, auch hier sollen bis 2040 keine fossilen Energie mehr eingesetzt werden. Eine weitere Alternative zur Erdgasversorgung sind Niedertemperatur-Nahwärmenetze. Sie versorgen mehrere Gebäude oder Blöcke mit Wärme und Kälte und integrieren zum Teil sogar mehrere unterschiedliche Quellen (z. B. Geothermie, Solarthermie, Abwärme, Abwasserwärme etc.).
Als Lösung für einzelne Gebäude sind auch Wärmepumpen gut geeignet. Sie können kombiniert und an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden und versorgen Gebäude sowohl mit Wärme als auch mit Kälte. Erdwärmepumpen haben darüber hinaus den Vorteil, dass sie im Kühlbetrieb keine Wärme an die Umgebung abgeben, sondern diese im Erdreich speichern können.
4. Erneuerbare Fernwärme
Derzeit stammt gut die Hälfte der Wiener Fernwärme aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Zur Abdeckung von Spitzenlasten werden auch Heizkraftwerke eingesetzt. Der Betrieb dieser Kraftwerke erfolgt überwiegend mit Erdgas. Der Rest stammt aus industrieller Abwärme, Müllverbrennung, Biomasse sowie Erd- und Umgebungswärme. 2040 sollen 55 Prozent der Fernwärme aus Erdwärme und Großwärmepumpen stammen. Der verbleibende Anteil wird im Wesentlichen aus der Verbrennung von Abfällen, industrieller Abwärme, Kraft-Wärme-Kopplung und Biomasse kommen. Der Anteil der Großkraftwerke (KWK) soll 2040 nur noch 13 Prozent betragen.
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5. Wiener Wärmeplan
Wo in Wien welche Art der Wärmeversorgung zum Einsatz kommen soll, zeigt der Wärmeplan der Hauptstadt. In gewissen Gebieten wird Wärme leitungsgebunden, also über Fernwärme oder Nahwärmenetze, angeboten. In anderen Gebieten sollen erneuerbare Energieträger zur gebäudeweisen Wärmeversorgung eingesetzt werden. Im Zuge der Wiener Energieraumplanung werden die Fernwärmegebiete noch 2023 konkretisiert.
Grundlage für die Entscheidung über den Einsatz einer Alternative zu Gas ist eine Analyse der Heizsysteme in bestehenden Wiener Wohngebäuden. Dicht bebaute Stadtgebiete sollen möglichst an das zentrale Fernwärmenetz angeschlossen werden. In weniger dicht bebauten Gebieten werden erneuerbare Niedertemperatur-Wärmenetze und erneuerbare Energielösungen für einzelne Gebäude zum Einsatz kommen.