Fernkältering in Wien : Kaiserlicher Boulevard wird zur Kältetransportstrecke

Das Wiener Fernkältenetz mit seinem neuen "Kältering".

Das Wiener Fernkältenetz mit seinem neuen "Kältering".

- © Wien Energie

Was haben Stockholm, Paris, Helsinki, Lissabon und Wien neben dem Fakt, dass sie Hauptstädte europäischer Nationen sind, gemeinsam? Alle Metropolen gelten als Vorzeigebeispiele in Sachen Fernkälte. Wien hat beim Ausbau seines Kältenetzes nun einen neuen Meilenstein erreicht: Energiedienstleister Wien Energie konnte den sogenannten "Fernkältering" unterhalb der Ringstraße ein Jahr früher als geplant fertigstellen. Damit kann die Innenstadt zukünftig flächendeckend mit Fernkälte versorgt werden.

Die Gebäudekühlung wird immer mehr zum Thema, auch in Zentraleuropa. 2023 war das heißeste Jahr seit Messbeginn in Österreich, auch dieser Sommer verspricht ein heißer zu werden. „Die heißen Sommer der letzten Jahre unterstreichen die wachsende Bedeutung nachhaltiger Kühlsysteme wie Fernkälte in einer Großstadt", betont Peter Hanke, Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Internationales und Wiener Stadtwerke. Wien begebe sich damit auf den Weg, die „Fernkältehauptstadt Europas" zu werden.

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Wie funktioniert Fernkälte?

Fernkälte wird in speziellen Zentralen mit hocheffizienten Kältemaschinen erzeugt, wobei kaltes Wasser als Medium genutzt wird. Neben elektrischer Energie wird im Sommer auch überschüssige Wärme aus der Müllverbrennung als Antriebsenergie verwendet. Das auf etwa 5-6 Grad Celsius heruntergekühlte Wasser wird über ein Fernkältenetz direkt zu den Kund*innen geleitet und dort über die hauseigenen Kühlsysteme in den Gebäuden verteilt. Dabei nimmt das Wasser die Wärme aus den Gebäuden auf und führt diese ab. Die zentrale Rückkühlung erfolgt zum Beispiel über Flusswasser. Dieses System ist umweltfreundlich: Im Vergleich zu konventionellen Klimaanlagen reduziert Fernkälte den CO2-Ausstoß um etwa 50 Prozent.

Vom Schottenring zum Stubenring

Der Zusammenschluss der Fernkältezentralen am Schottenring und am Stubenring über ein 4,7 Kilometer langes Leitungsnetz hat neben Versorgungssicherheit den Vorteil, dass sehr effizient, also energiesparend gekühlt werden kann. „Mit dem Fernkältering gelingt es Wien Energie, die Versorgung mit Kühlung zahlreicher öffentlicher Gebäude am Ring und in der Innenstadt sicherzustellen und gleichzeitig die Umweltbelastung durch herkömmliche Klimageräte wesentlich zu minimieren - denn Fernkälte spart rund die Hälfte an CO2-Emissionen im Vergleich zu Klimageräten", so Peter Weinelt, Generaldirektor der Wiener Stadtwerke. Um klimafreundliche Abkühlung zu ermöglichen, erweitert Wien Energie gemeinsam mit den Wiener Netzen das Fernkältenetz und versorgt neben der Innenstadt beispielsweise auch mehrere hundert Neubau-Wohnungen im Nordbahnviertel und am Hauptbahnhof mit Fernkälte.

>>> Hitzewelle kurbelt Fernkälte an

Erst 2022 ging etwa die Fernkältezentrale Stubenring in Betrieb. Im Endausbau wird sie auf 18 MW Kälteleistung und eine Kapazität für 360.000 m2 kommen. Vier Jahre dauerte es bis zur ersten Kältelieferung aus der Postgasse 8. Die Kältezentrale befindet sich im zweiten und dritten Untergeschoss im Innenhof des Gebäudes. „Das ist ein wunderbarer Standort. Eine Kältemaschine macht immer ein bisschen Wirbel, wir haben hier ideale Voraussetzungen für die Akustik vorgefunden“, weiß Burkhard Hölzl, zuständiger Fernkälte-Experte bei Wien Energie. Bei den Arbeiten im Innenhof wurden die historischen Fundamente nach unten verlängert und ein Betonbauwerk errichtet. Auch nach der Einbringung der Kältemaschinen erlauben Betonfertigteile, die weg gehoben werden können, spätere Revisionen. Ein mit der Kältezentrale verbundenes Einlaufbauwerk etwa 400 Meter entfernt, sorgt für Rückkühlung über den Donaukanal.

Mit dem Fernkältering gelingt es Wien Energie, die Versorgung mit Kühlung zahlreicher öffentlicher Gebäude am Ring und in der Innenstadt sicherzustellen.
Peter Weinelt, Wiener Stadtwerke

Fernkälte im ersten Wiener Bezirk

Vor allem im dichtbebauten ersten Bezirk in Wien ist Fernkälte gefragt: „Viele Gebäude sind denkmalgeschützt und oft fehlt der Platz für einen Rückkühler eines klassischen Klimagerätes. Außerdem schaden diese dem Mikroklima vor Ort. Mit Fernkälte schafft Wien Energie hier Abhilfe und beugt gleichzeitig der Bildung von Hitzeinseln vor, was entscheidend ist, um die städtische Überhitzung zu reduzieren und das Wohlbefinden der Bewohner*innen zu verbessern", erläutert Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung. Bis 2027 will Wien Energie rund 90 Mio. Euro in die Fernkälte investieren.

Zu den bereits mit Fernkälte versorgten Gebäuden am Ring zählen unter anderem die Universität Wien, das Rathaus, das Parlament, die Wiener Staatsoper, das Museum für angewandte Kunst (MAK) sowie zahlreiche Hotels. Mit insgesamt 30 Kilometer Fernkälteleitungen kühlt Wien Energie derzeit insgesamt rund 200 Gebäude klimafreundlich. Bis 2030 soll sich die Kapazität der Fernkälte von rund 220 Megawatt Kühlleistung auf 370 Megawatt fast verdoppeln. Damit kann Wien Energie dann eine Fläche von 7,3 Millionen Quadratmetern kühlen, was größer als die Fläche des Wiener Praters ist.

>>> Neues Powerhouse in Linz: Wie Fernkälte aus Fernwärme gewonnen wird

Michael Strebl, GF Wien Energie, Peter Weinelt, GD Wiener Stadtwerke, Michaela Deutsch, Wien Energie, Peter Hanke, Stadtrat Wiener Stdatwerke und Gerhard Fida, GF Wiener Netze (v.l.n.r.)
Michael Strebl, GF Wien Energie, Peter Weinelt, GD Wiener Stadtwerke, Michaela Deutsch, Wien Energie, Peter Hanke, Stadtrat Wiener Stdatwerke und Gerhard Fida, GF Wiener Netze (v.l.n.r.) - © Wien Enegie / Max Kropitz

Eckdaten zur Wiener Fernkälte

  • Kälteanschlussleistung gesamt: 220 Megawatt
  • Netzlänge: rd. 30 Kilometer
  • Versorgte Gebäude: 200
  • Aktuelle Anzahl Kältestandorte: 7 Fernkältezentralen mit Netz-Anschluss, 16 dezentrale Lösungen