Aus TGA 5: Kolumne : Autarkie mit Anergie?

Ing. Christoph Passecker, M.Sc., MBA

- © David Pichler

Sehr geehrte Leser*innen,

die aktuellen Kriegsgeschehnisse entfachen zwar hitzige Diskussionen, doch unsere Gasthermen sollen möglichst schnell auf Sparflamme laufen. Zu groß wird der bittere Nachgeschmack, und das nicht nur in Form der Gasrechnung. In Wien werden derzeit über die Hälfte der Wohnungen mit Erdgas beheizt. Ein Großteil davon stammt aus Russland. Ein zu viel für Entscheidungsträger*innen, denn der Leitspruch „Raus aus Gas“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

In der Großstadt gestaltet sich der Ausstieg allerdings als nicht so einfach. Die dichte Bebauung bereitet uns ein paar Hürden für alternative Energiesysteme. Ein Konzept würde sich die örtliche Nähe allerdings zunutze machen: Anergienetze. Dieses auch als „kalte Nahwärme“ oder „Niedertemperatur-Wärmenetz“ bekannte System vernetzt Gebäude in einem Stadtteil mit dezentralen Wärmequellen und -speichern. Diese Verbindung besteht ähnlich der Fernwärme aus wasserführenden Rohrleitungen. Das Temperaturniveau liegt allerdings bei weniger als 30 °C.

Keine reine Zukunftsmusik

Thermisch nutzbar wird diese „Anergie“ mithilfe von dezentralen Wärmepumpen in den Gebäuden. Das Anergienetz stellt in diesem Fall die Wärmequelle dar, es kann allerdings auch als Wärmesenke fungieren. So ist es möglich, dass die Gebäude nicht nur Konsument*innen, sondern auch Produzent*innen in diesem Verbundnetz darstellen. Die Teilnehmenden versorgen sich somit teilweise selbst. Eingespeist wird in das Anergienetz mit lokal anfallendem Wärmeüberschuss aus beispielsweise der Gebäudekühlung, solarthermischen Anlagen, Wärmeabsorber in Straßen und Fassaden sowie Abwärme aus Betrieben. Um saisonale Schwankungen auszugleichen, werden Erdwärmesonden eingesetzt. Das Erdreich wird thermisch aktiviert und dient als Wärmespeicher.

Ein solches System ist keine reine Zukunftsmusik, sondern auch schon mancherorts in Betrieb. Umgesetzt wurde ein Anergienetz in Wien beispielsweise bei „Viertel Zwei“ oder auch beim „Smart Block Geblergasse“. Das Forschungsprojekt „AnergieUrban“ hält hier nützliche Informationen und Erkenntnisse über den Einsatz in Wien bereit. Die Stadt Wien fördert künftig gebäudeübergreifende Wärmelösungen. In der ersten Pilotphase stehen 1,6 Mio. Euro zur Verfügung. Mit der Förderung sollen Anreize für innovative Projekte gesetzt werden, die den Ausstieg aus Gas insbesondere in Bestandsgebäuden vorzeigen.

Es würde mich freuen, wenn möglichst viele den plannING Day 2022 in Velden besuchen!

Innenhof des Smart Blocks Geblergasse.
Das Pilotprojekt Geblergasse nach der Wiederherstellung des Innenhofs, unter dem sich Erdwärmesonden befinden. - © Lisi Zeininger

Was ist Anergie?

Im Kontext mit Heizungen beschreibt Anergie eine Energieform, deren Temperatur zu gering ist, um direkt ein Gebäude zu beheizen oder Wasser zu erhitzen. Sie ist jedoch warm genug, um über eine Wärmepumpe Heizwärme oder Warmwasser zu erzeugen.

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