Kommentar : Können wir den Altbau überhaupt klimafit machen?

Michael Haugeneder ATP

DI Michael Haugeneder verantwortet als Geschäftsleiter gemeinsam mit Jens Glöggler die Geschicke von ATP sustain, einer Forschungs- und Sonderplanungsgesellschaft von ATP architekten ingenieure.

- © ATP sustain

In der Praxis stellt das umfangreiche Regelwerk Immobilienbesitzer*innen insbesondere von Altbauten vor enorme Herausforderungen. Die meisten Bestandsgebäude, die älter als 20 Jahre sind, verfügen über eine mittlere thermische Gebäudehüllenqualität, einfachste technische Gebäudeausrüstung und eine fossile Energieträgerversorgung (Erdgas). Bei diesen Häusern besteht oft gar keine Möglichkeit, innovative, regenerative TGA-Systeme, die für mehr Energieeffizienz nötig wären, einzusetzen.

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Investitionen in Immobilien müssen aber „grün“ sein: Der Finanzmarkt ist angehalten, seine Kapitalströme als taxonomiefähig und taxonomiekonform entsprechend der EU-Verordnung 852/2020 zu deklarieren. Ist ein Kapitalstrom nicht taxonomiekonform, bedeutet das ein erhöhtes Risiko für den Kapitalgeber. Dieses ließe sich mit mehr Sicherheiten reduzieren. Eine wesentlich cleverere und vorausschauendere Strategie ist freilich eine umfassende Risikoanalyse und ein gemeinsam mit dem Eigentümer erarbeiteter Klimaschutzfahrplan. Ein solcher Fahrplan berücksichtigt passive und aktive Maßnahmen zur Reduktion des Endenergiebedarfs sowie aktive Maßnahmen zur Implementierung regenerativer Energien.

Mit einem solchen Maßnahmenpaket und mit Entscheidungen, die auch über das Jahr 2050 hinausgingen, wäre eine langfristig „grüne“ Bewirtschaftung einer Immobilie sichergestellt. Dazu brauchen wir im Sinne des EU-Green-Deals beim Bestand und bei der Sanierung detaillierte Daten für einen Energieausweis und die Implementierung eines Monitorings zur Erfassung des Energieverbrauchs – leerstands- und klimabereinigt. So kann die energetische Performance eines Gebäudes transparent nachvollzogen werden – was an sich bereits das Risiko einer grauen Immobilie reduziert.

Gelingt es im nächsten Schritt, Bestandsgebäude wirklich klimafit zu machen?

Dazu muss zuerst der Endenergiebedarf durch passive Maßnahmen reduziert werden – aber Achtung: nur durch solche, die tatsächlich den CO2-Footprint des Gebäudes verringern. Danach erst kann der Primärenergiebedarf mit aktiven Maßnahmen wie dem Einsatz von 100 Prozent regenerativer Energie am Grundstück, modularer Bauweise anstatt individuell angepasster Anlagentechnik und der Vorbereitung für Smart-Grid auf null reduziert werden.

Da derzeit noch keine Fernwärme der fünften Generation zur Verfügung steht und oftmals auch zu wenig Grundstücksfläche vorhanden ist, bleibt nur mehr der Einsatz von Luft-Wasser-Wärmepumpen. Solange wir im obersten Geschoss wohnen oder einen sehr großen Balkon haben, ist das kein Problem – seit Jahrzehnten gibt es dafür die Anlagen am Markt. Weniger Privilegierte müssen das Gerät in der Wohnung aufstellen. Mit etwas Platz(verschwendung) und einem Loch in der Fassade steht einer Lösung mittels Wärmepumpe nichts mehr im Wege. Solche Anlagen sollten aber mit einer geringeren Temperatur als 45 °C betrieben werden und lösen noch nicht das Problem der Warmwasser-Bereitung. Erfahrungsgemäß brauchen wir an den meisten Wintertagen nicht die volle Leistung und schaffen damit mit der niederen Heizungstemperatur angenehme 22 °C Innenraumtemperatur.

Aber was passiert, wenn es am Weihnachtsabend -10 °C hat? Dann müsste man – etwa mit einer E-Zusatzheizung oder einem Ventilatorkonvektor – die Leistungsabgabe erhöhen oder die fehlende Leistung dem Raum elektrisch zuführen. Die Warmwasserproduktion muss dann wohl auch elektrisch erfolgen. Bei großen Wohnungen könnte man auf Indoor-Geräte mit Außenluftversorgung und Heißgasauskoppelung umsteigen und damit das Warmwasser effizient aufbereiten. Es gibt also Lösungswege, um den Altbau klimafit zu machen, und die Industrie stellt dazu einige gute Produkte bereit, allerdings (noch) zu Preisen, die keiner zahlen will oder kann. Trotzdem bleibt eine grundsätzliche Frage, der wir uns im Sinne unserer Zukunft alle stellen sollten:

Müssen wir uns von dem bisher gewohnten, uneingeschränkten Komfort (22–24 °C in der gesamten Wohnung), dem überbordenden Wohlstand vielleicht verabschieden und Energie künftig bewusster und gezielter nutzen?