Energiekrise : Gebäudebestand: Langer Atem gefragt

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TGA: Wie lautet eine erste Einschätzung Ihrerseits, ist die angedachte Einsparung der EU in Österreich machbar? Welche Rolle spielt der Gebäudesektor?

Martina Majcen:
Österreichs Haushalte verbrauchen aktuell ca. 18 Prozent des Gases, dazu kommt noch das Gas, das für Kraftwerke, Heizwerke und Fernheizwerke benötigt wird, und somit indirekt auch in die Haushalte fließt. Im Gebäudesektor ist die Gaseinsparung von 15 Prozent im nächsten Winter jedenfalls ein erreichbares Ziel. Bereits aktuell ist durch die hohen Gaspreise im Haushaltsbereich ein merklicher Rückgang des Gasverbrauches gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Dazu führt einerseits das geänderte Nutzungsverhalten durch den bewussteren Umgang mit der kostbar gewordenen Energie, andererseits auch ein aktuell beschleunigter Umstieg auf erneuerbare Energieträger im privaten Bereich. Dazu gehört auch die Rückkehr zur vermehrten Nutzung von bereits vorhandenen Holzöfen. Im Sektor Industrie und Gewerbe ist die Reduktion bei gleichbleibend hoher Produktion deutlich schwieriger zu schaffen, da die benötigten Hochtemperatursysteme wesentlich schwieriger mit erneuerbarer Energie zu substituieren sind. Auf den produzierenden Bereich entfallen jedoch etwas über 40 Prozent des österreichischen Gasverbrauches, sodass hier große Herausforderungen bevorstehen, um die 15 Prozent Einsparung zu schaffen.

Dem Bestand und seiner Energieeffizienz kommt zunehmend mehr Aufmerksamkeit zu. Bei 75 Prozent des Gebäudebestands in der EU kann von Energieeffizienz aber kaum die Rede sein, so die Europäische Kommission. Wie ordnen Sie die Lage in Österreich ein?

Majcen: In Österreich bildet der „Altbau“ sowohl im urbanen als auch im ländlichen Bereich den wesentlichen Teil des Gebäudebestandes und die Sanierungsraten liegen weit unter den Prozentsätzen, die für die Erreichung der Klimaziele nötig wären. Aktuell beträgt der durchschnittliche Heizenergiebedarf bei 144 kWh/m²a, was von „energieeffizienten Gebäuden“ mit aktuellen Neubaustandards meilenweit entfernt ist. Während die Heizungsumstellungen und Installationen von PV-Anlagen durch die aktuelle Energiepreisexplosion und Förderschienen wie „Raus aus Öl und Gas“ derzeit einen regelrechten Boom erleben, ist bei der Hüllsanierung der Gebäude kaum ein Anstieg zu verzeichnen. Heizungsumstellungen alleine erhöhen zwar den Anteil an erneuerbaren Energieträgern, können aber den Endenergiebedarf der Gebäude alleine nicht ausreichend senken.

Eine umfassende Sanierung dagegen reduziert den Energiebedarf im Altbestand um bis zu zwei Drittel. Hemmnisse sind dabei vor allem die hohen Kosten, die sich im Gegensatz zur wesentlich günstigeren und besser geförderten Heizungsumstellung über niedrigerer Energiekosten nicht neutral bilanzieren lassen. Zusätzlich führen Fachkräftemangel und ausgebuchte Bau- und Haustechnikunternehmen, für die Neubauten im Allgemeinen einfacher, leichter kalkulierbar und lukrativer sind als Sanierungen auch nicht gerade zu einem Hoch an Sanierungen. RENOWAVE.AT, das österreichische Innovationslabor für die Gebäudesanierung, arbeitet aktuell unter anderem intensiv am Thema serielles Sanieren unter Einsatz vorgefertigter Elemente – auch mit fassadenintegrierten Haustechnikelementen – um diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten und eine neue Sanierungswelle anzustoßen.

Heizungsumstellungen alleine erhöhen zwar den Anteil an erneuerbaren Energieträgern, können aber den Endenergiebedarf der Gebäude alleine nicht ausreichend senken.
Martina Majcen, AEE INTEC und RENOWAVE.AT

Gut zu wissen: Über Renowave.at

Anfang 2022 wurde RENOWAVE.AT als neues Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen gegründet, um als Impulsgeber den Sanierungsturbo für die Bau- und Immobilienbranche in Österreich zu zünden. Das vom Bundesministerium für Klimaschutz und Umwelt (BMK) und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderte Projekt soll Innovationen forcieren, um die Umsetzung von Sanierungen einfacher, schneller und kostengünstiger zu machen. Renowave.at wird von DI Susanne Formanek, DI Armin Knotzer und DI Ulla Unzeitig geleitet. Darüber hinaus initiiert das Innovationslabor Aktivitäten zu Themenbereichen wie Nutzer*innen-Integration und multifunktionale, klimaneutrale Gebäudehüllen.

Mehr Monitoring

In welchem Bereich sehen Sie die „größten Baustellen“ in Sachen Energieeffizienz?

Majcen:
Aktuell würden wir bei den immer komplexer werdenden gebäudetechnischen Anlagen die Inbetriebnahme, Betriebsführung und Wartung als eine der größten „Baustellen“ bezeichnen. Speziell im privaten Bereich fehlt nach der Übergabe der Anlagen oft das begleitende Monitoring und die auf das tatsächliche Nutzungsverhalten abgestimmte Optimierung der Systeme, das vor allem im ersten Betriebsjahr noch deutliche Energieeffizienzsteigerungen bringen kann. Übertechnisierung und teilweise überdimensionierte und nicht aufeinander abgestimmte Gebäudetechnikkomponenten können die Energieeffizienz im Gebäudebereich merklich beeinträchtigen.

Auf langfristige Sicht führt kein Weg führt an den Erneuerbaren vorbei, die Voraussetzungen sind im ländlichen und urbanen Raum oft andere. Welche Faktoren spielen mit hinein?


Majcen:
Zwischen ländlichem und urbanen Bereich bestehen aktuell deutliche Unterschiede. Während sich der urbane Raum durch die dichte Verfügbarkeit von zentralen Versorgungsnetzen (Gas, Fernwärme) auszeichnet, stehen im ländlichen Raum dezentrale Lösungen im Vordergrund. Der Anteil gasbeheizter Gebäude ist im städtischen Raum im Allgemeinen höher. Auch der Gebäudebestand ist unterschiedlich. Im ländlichen Raum herrschen Ein- und Zweifamilienhäuser vor, während in den Städten ein deutlich höherer Anteil an mehrgeschossigen Wohnbauten zu finden ist. Die Eigentumsverhältnisse und damit die Entscheidungs- und Finanzierungsprozesse bei Heizungsumstellung und Sanierung sind ebenfalls differenziert zu betrachten.

Systeme für Stadt und Land

Welche Gebäudeenergiesysteme eignen sich für die Um- oder Nachrüstung im urbanen Raum besonders gut, welche für den ländlichen Bereich?

Majcen:
Im urbanen Raum stellt vor allem die Umstellung auf Fernwärmeversorgung die meist einfachste und über den Lebenszyklus gerechnet kosteneffizienteste Lösung dar. Fernwärme kann auch die hohen Temperaturniveaus für unsanierte oder lediglich teilsanierte Gebäude bereitstellen. Mittelfristig darf für eine CO2-Neutralität des Gebäudesektors aber nicht vergessen werden, dass die Fernwärme aktuell in Österreich noch zu ca. einem Drittel aus Gas generiert wird und eine vollständige Dekarbonisierung derzeit noch nicht in Sichtweite ist. Bei mehrgeschossigen urbanen Bauten kann der Fernwärmeanschluss zudem auch zu kostenintensiven, dualen Systemen führen, da oft dezentrale Gas-Warmwasserboiler in den Wohnungen bestehen, deren gleichzeitige Umstellung auf ein zentrales Fernwärme-System bei unsanierten Gebäuden zu Kapazitätsproblemen führen würde. Die verpflichtende Aufrechterhaltung der Gasversorgung für Kochen und individuelle Lösungen der Warmwasserbereitung über Gasthermen bei bereits fernwärmeversorgten Gebäuden stellt ebenso ein ökonomisches und ökologisches Problem dar. Gelöst wird dies meist bei Mieterwechsel durch eine Umstellung der Warmwasserbereitung auf E-Boiler. Dezentrale Kleinstwärmepumpen, die den Heizungsrücklauf als Wärmemedium nutzen, können eine sinnvolle Ergänzung zur Fernwärmeversorgung sein.

Ist ein Fernwärmeanschluss nicht möglich, stellen bei ausreichendem Platz geothermisch versorgte Wärmepumpen mit Tiefensonden auch eine gute Möglichkeit dar. Auf eine ausreichende Regenerierung des Erdreiches über den Einsatz erneuerbarer Energiequellen wie z.B. Solarthermie oder Abwärme aus anderen Gebäudenutzungen ist dabei zu achten. Der Einsatz von Luftwärmepumpen ist aktuell nur bei ausreichenden Gebäudehüllstandards bzw. Niedertemperaturwärmeabgabesystemen zu empfehlen. Im ländlichen Bereich eignet sich vor allem die Kombination aus Wärmepumpe und Photovoltaik für den Umstieg auf klimaneutrale Energieversorgung, in waldreichen Gebieten natürlich auch die Versorgung über lokale Biomasse-Nahwärmenetze. Grundsätzlich sollte bei allen Neubauten der Errichtung von Niedertemperatur-Heizsystemen der Vorzug gegeben werden, da gerade die erneuerbaren Energien in diesen Temperaturbereichen besonders effizient einzusetzen sind.

Wie lassen sich Nutzer*innenkomfort und Energieeffizienz verbinden?


Majcen:
Sehr gut! Sanierte, energieeffiziente Gebäude zeichnen sich durch bessere Behaglichkeit, keine Zugluft, weniger Schimmel und insbesondere bei Einsatz einer Lüftungsanlage auch durch bessere Luftqualität aus. Erhöhung der Energieeffizienz und Nutzer*innenkomfort in Gebäuden gehen Hand in Hand.

  • Martina Macjen
    Zur Interviewpartnerin


    DI Dr.med. Martina Majcen, Projektleitung bei AEE INTEC mit den Arbeitsschwerpunkten Gebäudeenergiesysteme und Nutzerkomfort, Null- und Plusenergiegebäude und Projektleitung bei RENOWAVE.AT (Standort Gleisdorf)