Energiewende & Nachhaltigkeit : Wärme und Kälte aus der Kanalisation

Diggers are exploring underground river flowing in round sewer tunnel
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Wien Kanal, Österreichs größter Kanalnetzbetreiber, ist vom 3. in den 23. Bezirk übersiedelt. Am Montag besichtigten Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky, Liesings Bezirksvorsteher Gerald Bischof und NEOS-Energiesprecher Stefan Gara die neue Unternehmenszentrale für rund 240 Mitarbeiter*innen. Das Gebäude überzeugt durch ein innovatives Energiekonzept: Es wird zur Gänze aus dem öffentlichen Kanalnetz geheizt und gekühlt. Mit der Übersiedlung schließt Wien Kanal seine Standortstrategie ab.

Energiewende mit Abwasser

Bei der Gewinnung von Energie aus dem Abwasser ist Wien Kanal Vorreiter. Seit 2006 gewinnt die österreichweit erste Anlage Energie aus dem öffentlichen Abwassernetz für die bereits bestehenden Gebäude am Standort der ehemaligen Kläranlage Blumental. Für die neue Unternehmenszentrale wurde die Anlage erweitert: Das Bürogebäude wird zu 100 Prozent mit der erneuerbaren Energieform versorgt.

Czernohorszky betont: „Unser Motto ist: Raus aus Gas! Der Krieg in der Ukraine macht deutlich: Österreich muss sich rasch aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien." In Wien treibe man daher mit dem Wiener Klimafahrplan die Energiewende voran. Einen besonders innovativen Weg sei die Nutzung des Abwassers. „Denn überall dort, wo genügend Abwasser in den Kanälen fließt, besteht ein enormes, erneuerbares Energiepotential", führt der Wiener Klimastadtrat weiter aus. Gemeinsam mit dem Ausbau der Fernwärme und der verstärkten Nutzung von Erdwärme sei 'Energie aus Abwasser' ein wichtiger Baustein.

Leistung von 5.000 Kühlschränken

Am Standort Blumental in Liesing heizt und kühlt das Abwasser mehr als 8.000 Quadratmeter Fläche, Arbeitsplatz für 240 Mitarbeiter*innen. Dafür wurden insgesamt 185 Meter Wärmetauscher im Kanal verbaut, mit denen mehr als 700 Kilowatt Heizleistung und 600 Kilowatt Kühlleistung gewonnen werden können. Das entspricht in etwa der Heizleistung von bis zu 100 Einfamilienhäusern oder der Leistung von fast 5.000 haushaltsüblichen Kühlschränken. „Der Krieg in der Ukraine und die Turbulenzen am fossilen Energiemarkt führen vor Augen, wie wichtig der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist", unterstreicht NEOS-Energiesprecher Stefan Gara. Er bezeichnet die neue Unternehmenszentrale von Wien Energie als "einen weiteren intelligenten Energiebaustein", der zeige, wie mittels Wärmetauscher Energie aus dem Abwasser genutzt werden kann.

Technik aus Oberösterreich

Das oberösterreichische Unternehmen Rabmer stellt die Technik bereit, welche die Wärme des Abwassers als Energiequelle nutzbar macht. Um Abwasser als erneuerbare Energiequelle nutzbar zu machen, werden zunächst Wärmetauscher im öffentlichen Kanal oder bei größeren Anlagen als Bypass außerhalb des Kanals bzw. auch im Kläranlagenabfluss angebracht. Das Abwasser im Kanal umspült die Wärmetauscher und erwärmt dabei einen separaten Wasserkreislauf, der wiederum mit Wärmepumpen im zu versorgenden Gebäude verbunden ist. Diese Wärmepumpen entziehen dem Wasser die Wärme und bringen es auf das gewünschte Temperaturniveau.

Zusätzlich kann Abwasserenergie auch in Fern- bzw. Nahwärmenetze und Fern- bzw. Nahkältenetze eingespeist werden. „'Energie aus Abwasser' hat enormes Potenzial. Immerhin könnten in Österreich bis zu 14 Prozent der Gebäude mit dieser Technologie umweltfreundlich beheizt und gekühlt werden“, betont Ulrike Rabmer-Koller, die Geschäftsführerin der Rabmer Gruppe.

Die rinnenförmigen Wärmetauscher im Kanal.
© Rabmer Gruppe

Gebäude optimiert Energieeinsatz

Flankiert wird die Energieanlage zudem durch bauliche Maßnahmen, um erneuerbare Energie effizient einzusetzen und um Kosten zu sparen. Auch das Bürogebäude selbst trägt zur Energieoptimierung bei: Zum Beispiel mit einem automatisch einstrahlungsgeregelten, verstellbaren Sonnenschutz, wärmegedämmten Außenwänden und einer Bauteilaktivierung, mit der die Betondecke zur Temperaturregelung genutzt wird. Auf dem Dach kühlen Kräuter und Gräser die Decke. Eine Photovoltaikanlage auf dem Werkstattgebäude produziert jährlich bis zu 150.000 Kilowattstunden Strom. Wien Kanal Direktor Andreas Ilmer ist stolz auf den Energiebaustein der Standortstrategie: „Neben den ökologischen Vorteilen sparen wir mit der Energiegewinnung aus Abwasser bis zu 100.000 Euro an Energiekosten.“