Erdwärmepumpe im Altbau : Wie ein Gründerzeithaus mit Geothermie heizt

Architekt Günther Trimmel, der Bezirksvorsteher von Rudolfsheim-Fünfhaus Dietmar Baurecht, Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (v.l.n.r.)

Architekt Günther Trimmel, der Bezirksvorsteher von Rudolfsheim-Fünfhaus Dietmar Baurecht, Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (v.l.n.r.)

- © PID/VOTAVA

In Sachen Sanierung kann mal Gründerzeithäuser wohl guten Gewissens als die Königsdisziplin bezeichnen. Insbesondere, wenn es um den Heizungstausch geht: Ein Fernwärmeanschluss ist nicht überall möglich, PV-Anlagen sind aufgrund der Vorgaben nur beschränkt umsetzbar und bei Luft-Wärmepumpen müssen Traglast, Vibration und die Geräuschentwicklung bedacht werden. In der Wiener Zwölfergasse 21 wurde nun ein innovatives Energiekonzept umgesetzt, um das Gründerzeithaus heizungstechnisch in das 21. Jahrhundert zu holen.

Das 1865 errichtete Gebäude besteht aus einem straßenseitigen Haupttrakt und einem Seitentrakt. Im Rahmen einer umfassenden geförderten Sanierung wurde es nun neugestaltet. Mehr Barrierefreiheit und Energieeffizienz bei gleichzeitigem Schutz des historischen Stadtbilds lautete die Zielsetzung des Projekts im 15. Wiener Gemeindebezirk.

„Das fast 160 Jahre alte Haus wurde zeitgemäß und rücksichtsvoll saniert, ein nachhaltiges und innovatives Energiesystem macht das Gründerzeithaus klima- und zukunftsfit", fasst Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál zusammen. Für die Bewohner*innen bringe das mehr Lebensqualität. Und: „Sanieren ist ein Zukunftsthema. Das Angebot der ,Hauskunft‘ wird immer stärker nachgefragt."

  • Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky
    Jürgen Czernohorszky, Klimastadtrat


    „Viele Menschen können sich noch gar nicht vorstellen, wie die Energiewende überhaupt funktionieren soll. Genau deshalb ist es essenziell, immer wieder zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist. Das Gründerzeithaus in der Zwölfergasse wurde 1865 errichtet und wird jetzt, fast 160 Jahre später, klimafit gemacht – und das gleich mit dem vollen Package: Es wird nun dank Erdwärmeversorgung komplett gasfrei beheizt und gekühlt und verfügt darüber hinaus über eine PV-Anlage."

Geothermie: Erdsonden im öffentlichen Raum

Bisher wurde das Gebäude in der Zwölfergasse mit Erdgas beheizt. Die Anlage mit fossilen Brennstoffen wird durch eine Wärmepumpe inklusive Photovoltaik-Unterstützung und Niedertemperatur-Wärmeabgabesystem abgelöst. Die Grundlage des Systems bildet der Energiegewinn aus Erdwärmesonden.

Ein Sondenfeld aus insgesamt sieben Sonden – davon vier im Innenhof des Gebäudes und drei am Straßenrand vor dem Gebäude – soll eine 100-prozentige Geothermieversorgung sicherstellen. Für die Bohrung in beengten Verhältnissen kommt ein spezielles Mini-Bohrgerät zur Anwendung.

Die Sonden im Innenhof mit 100 bis 150 Meter Tiefe sind bereits gesetzt, jene am Gehsteig mit 200 Meter Tiefe werden nun errichtet. Die Möglichkeit, für die Energieversorgung eines privaten Wohnhauses das öffentliche Gut zu nutzen, ist im Wiener Stadtgebiet neu. Um das Erdreich im Bereich der Sonden zu regenerieren – also wieder zu erwärmen –, ist außerdem eine Solarthermie-Anlage am Dach Teil des Energie-Konzepts. Durch eine „Überregenerierung" kann im folgenden Winter mehr Energie entnommen werden.

Das Gründerzeithaus ist Teil der ersten Auswahl für die Initiative "100 Projekte Raus aus Gas", die bis 2025 eine breite Auswahl an Best-Practice-Sanierungen sammeln will. Im Fokus steht dabei der Mehrgeschoßwohnbau ohne Fernwärmeanschlussmöglichkeit, wie jener in der Zwölfergasse.

„Hier wurde alten Mauern die Chance gegeben, sich zu beweisen. Rudolfsheim-Fünfhaus verfügt über einen guten Altbaubestand, der Innovation im Bereich behutsamer klima- und zukunftsfitter Sanierung wie bei der Zwölfergasse zulässt“, so der Bezirksvorsteher von Rudolfsheim-Fünfhaus Dietmar Baurecht.

Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky beim Abdrehen des Gashaupthahnes.
Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky beim Abdrehen des Gashaupthahnes. - © PID/VOTAVA

Thermische Maßnahmen verringern Heizwärmebedarf um 65 Prozent

Neben der Heizungsumstellung war Barrierefreiheit ein weiteres Schwerpunktthema bei der Sanierung. Der neu errichtete Lift wurde so ausgeführt, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen auch im Seitentrakt problemlos zu ihren Wohnungen kommen. Weiters wurde ein Hofgebäude zur Gänze abgebrochen, um zu entsiegeln und zu begrünen. Auf dem Seitentrakt entstand ein Flachdach, das nun eine Freifläche bietet.

Der Heizwärmebedarf konnte mit thermischen Maßnahmen wie 18 Zentimeter Wärmedämmung an allen Fassaden um rund 65 Prozent reduziert werden. Inklusive des neuen Dachgeschoßausbaus befinden sich im Gebäude nun 15 moderne Wohnungen, von denen mehr als zwei Drittel Freiflächen wie Balkone, Loggien oder Terrassen haben. Weitere Maßnahmen wie der Einbau von Schallschutzfenstern in Richtung des Bahnhofsgeländes runden die Sanierung ab.

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Das Pilotprojekt zeigt, wie der vollständige Umstieg eines typischen Gründerzeitzeithauses von Gas auf Erdwärme gelingen kann.
Günther Trimmel & Isabella Wall

Wien fördert Sockelsanierungen

Der Baustart für das Projekt erfolgte im Herbst 2021, die Fertigstellung im Frühjahr 2023. Für die Planung zeichnet Trimmel Wall Architekten ZT verantwortlich. „Mit viel Einsatz und Durchhaltevermögen ist es gelungen aufzuzeigen, dass auch aus einem kleinen, unscheinbaren Gründerzeithaus ein Vorzeigeprojekt zum Thema 'Raus aus Gas' werden kann“, freuen sich Architekt Günther Trimmel und Architektin Isabella Wall.

Die Stadt Wien investiert bereits seit Jahrzehnten in die Wohnhaussanierung, die vom wohnfonds_wien und seinen Mitarbeitenden begleitet wird. Mit der Sanierungsoffensive „Wir SAN Wien“ wird die Stadterneuerung zukunftsfit. Die Förderung der Sockelsanierung hat im Speziellen zum Ziel, alte Wohnhäuser zu neuem Glanz zu verhalfen. Dabei werden sowohl die alte Bausubstanz als auch bestehende Wohnungen modernisiert und zugleich neuer, zeitgemäßer Wohnraum geschaffen.

>> Lesen Sie auch: Können wir den Altbau überhaupt klimafit machen?

Was ist die Sanierungsoffensive ,Wir SAN Wien‘?

Mit der Sanierungsoffensive ,Wir SAN Wien‘ werden Grätzl aufgewertet und Wien für die nächsten Jahrzehnte zukunfts- und klimafit gemacht. Die Hauskunft als kostenlose Sanierungsberatung unterstützt alle, die Häuser sanieren wollen – etwa auch zu den Themen Heizungstausch und erneuerbare Energien.

2022 wurden 85 geförderte Sanierungsprojekte mit Gesamtbaukosten in Höhe von 153,4 Mio. Euro fertiggestellt. Die Gesamtfördersumme beträgt € 78,3 Mio. (davon € 54,9 Mio. Landeszuschuss und € 23,4 Mio. Landesdarlehen). Aktuell befinden sich insgesamt 172 Projekte der geförderten Wohnhaussanierung in Bau.