Dekarbonisierung Gebäudesektor : Warum die Wohnhaussanierungen in Österreich stagnieren

Wolfgang Amann, Susanne Formanek, Walter Hüttler, Ulla Unzeitig (v.l.n.r.)

RENOWAVE.AT Vorstand und Gründungsgenossenschafter*innen: Wolfgang Amann, Susanne Formanek, Walter Hüttler, Ulla Unzeitig (v.l.n.r.)

- © Petra Rautenstrauch

Mit den Klimazielen steht Österreich eine Aufgabe mit vielen Facetten ins Haus, eine davon die Gebäudesanierung. Denn die Sanierungsrate beim österreichischen Wohnungsbestand liegt aktuell bei ca. 1,7 Prozent (Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen). Für ein klimaneutrales Österreich 2040 sind aber mindestens 2,5 Prozent nötig. 2022 ist die Sanierungsrate allerdings gesunken. Und jetzt?

Die Umsetzung von Gebäudesanierungen und Heizungsumstellungen braucht nicht nur technische Konzepte und Lösungen. RENOWAVE. AT, das Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen, fordert daher dringend die Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen noch vor der Sommerpause. Andernfalls seien die österreichischen Ziele einer Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 nicht zu erreichen.

>> Lesen Sie auch, welche kurz- und langfristige Perspektiven Martina Majcen, AEE INTEC und RENOWAVE.AT, für den Gebäudebestand sieht.

„Eine wesentliche Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 sind geeignete rechtliche und insbesondere wohnrechtliche Rahmenbedingungen, vor allem mit Blick auf den großvolumigen Wohnungsbestand“, betont Susanne Formanek, Vorstand und kaufmännische Projektleiterin von RENOWAVE.AT.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 sind geeignete rechtliche und insbesondere wohnrechtliche Rahmenbedingungen, vor allem mit Blick auf den großvolumigen Wohnungsbestand.
Susanne Formanek, RENOWAVE.at

How-to: Langfristiger Werterhalt von Immobilien

Gebäudeeigentümer*innen und Investor*innen erkennen zunehmend, dass für den langfristigen Werterhalt einer Immobilie oder eines Immobilienportfolios der energietechnische Standard und die Art des Heizungssystems eine zentrale Komponente darstellen. Damit stellen nicht nur die neuen Vorgaben auf EU-Ebene – wie etwa die EU-Taxonomie oder der Entwurf für die neue EU-Gebäuderichtlinie –, sondern auch die nationale Gesetzgebung wichtige Orientierungspunkte für zukunftssichere Investitionen im Neubau und in der Sanierung dar.

Gründe für die Stagnation der Wohnhaussanierung

Folgende Gründe hat RENOWAVE.AT für die Stagnation der Sanierungsrate bei Wohnhäusern identifiziert:

1. Preiserhöhung in der Baubranche und steigende Inflation

Die Covid-Pandemie und der Ukraine-Krieg sorgen für Unsicherheiten, die sich in der derzeitigen Inflationsrate niederschlagen. Auch die Baupreise steigen. Die österreichische Inflation war wiederum Auslöser für einen Anstieg der Kapitalmarktzinsen. Konnte vor einem Jahr eine größere Sanierung um 1,5 Prozent finanziert werden, ist der Zinssatz heute etwa dreimal so hoch. Das verteuert die monatliche Rückzahlung bei 20 Jahren Laufzeit um etwa ein Drittel.

Hätte man vor zwei Jahren für eine umfassende Sanierung seines Hauses 100.000 Euro aufgenommen und auf 20 Jahre finanziert, wäre sich das mit einer monatlichen Rate von 483 Euro ausgegangen, rechnet RENOWAVE.AT vor. Heute bewirken die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten für dasselbe Projekt monatliche Kosten von 823 Euro. Das entspricht einer Steigerung von 70 Prozent.

2. Ende des Neubaubooms

Die Baubewilligungszahlen sind im letzten Quartal 2022 im Jahresvergleich um 28 Prozent niedriger. Noch werden die vollen Auftragsbücher abgearbeitet. Hinsichtlich neuer Aufträge könnte aber ein Loch entstehen. Es bestand die Hoffnung, dass sich die Bauwirtschaft nun auf die Sanierung stürzen würde, so das Innovationslabor. Das sei aus Gründen der Teuerung nicht geschehen.

3. Überforderung der Förderungssysteme

Die Förderungssysteme von Bund und Ländern seien von dieser Kostendynamik überfordert, analysiert RENOWAVE.AT. Es bestehe zwar allgemeine Bereitschaft, die Fördersätze anzupassen. Zielsetzung müsse aber immer auch sein, die Teuerung durch solche Anpassungen nicht weiter zu befeuern - eine Zwickmühle.

Förderpotential braucht rechtliche Rahmenbedingungen

Wohnungsneubau und Sanierung haben sich in der Vergangenheit als Stabilisator in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bewährt, etwa nach der Globalen Finanzkrise 2008. „Ein moderater Rückgang im Neubau ist angesichts des zuvor sehr hohen Niveaus verkraftbar. Dringend erforderlich ist aber, dass die Sanierung an Fahrt aufnimmt", betont Walter Hüttler, Eigentümer WH consulting engineers und Gründungs-Genossenschafter von RENOWAVE.AT.

Maßnahmen zur Kostendämpfung seien ihm nach das eine. Mindestens ebenso wichtig sei aber, endlich die enormen rechtlichen Hürden aus dem Weg zu räumen. „Die Beschlussfassung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes und wohnrechtliche Reformen sind längst überfällig“, fordert Hüttler.

Unter den heute gegebenen Rahmenbedingungen kommt die Förderung im großvolumigen Wohnbau viel zu wenig an. Es liegt offensichtlich weniger am Geld, als an den rechtlichen Gegebenheiten.
Ulla Unzeitig, RENOWAVE.AT

Erst mit geeigneten (wohn)rechtlichen Rahmenbedingungen, die Rechtsicherheit im Verhältnis zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen bieten, können Förderinstrumente auf Bundes- und Länderebene ihre volle Wirkung entfalten, pocht RENOWAVE.AT.

So wurden der weitaus überwiegende Teil der Bundesförderung für den Heizkesseltausch („Raus aus Öl und Gas“) und die Sanierungsoffensive von privaten Eigenheimen in Anspruch genommen. Der Anteil der Fördermittel für den mehrgeschoßigen Wohnbau 2022 lag indessen bei rund 15 Prozent des Gesamtvolumens. „Unter den heute gegebenen Rahmenbedingungen kommt die Förderung im großvolumigen Wohnbau viel zu wenig an. Es liegt offensichtlich weniger am Geld, als an den rechtlichen Gegebenheiten“, weiß Ulla Unzeitig, Vorstand RENOWAVE.AT.

Maßnahmen, um die Wohnhaussanierung anzukurbeln

Klare Regeln tragen zur Akzeptanz der einzelnen Mieter*innen- und Wohnungseigentümer*innen bei der Umstellung der Heizung auf ein zentrales klimafreundliches System bei. Formanek dazu: „Wenn das gelingt, würde ein Ruck durch die Immobilienwirtschaft gehen. Die Sanierung und Heizungsumstellung sehr vieler älterer Bauten von Gemeinden, Gemeinnützigen, Privaten und Eigentumsbauten scheitert vielfach am Widerstand von Einzelpersonen - zum Nachteil der großen Mehrheit.“

Deshalb sei es notwendig, dass auch die Kostentragung eindeutig geregelt wird. Dabei spielen die Lebensbedingungen einkommensschwacher Bewohner*innen sowie die Minderheitenrechte und der Schutz der Eigentumsrechte eine wichtige Rolle.

>> Immer up to date mit Meinungen und News aus der Branche sein? Abonnieren Sie unsere Newsletter: Ob wöchentliche Übersicht, Planer*innen-Newsletter oder Sanitär-Trendletter – mit uns bleiben Sie informiert! Hier geht’s zur Anmeldung!
Energie, Gebäude, Haus, Thermografie, Wärmebild, Energieausweis, Winter, heizen, Abbildung, thermal, Kälte, Wärme, Infrarot, Strahlung, Temperatur, Oberfläche, Energieverschwendung, Wärmeverlust, Heizkosten, Wärmedämmung, isolieren, Wärmeisolierung, Wärmestrahlung, Energieberatung, Kamera, Infrarotkamera, Mietshaus, Miete, Nebenkosten, Sanierung, sanieren, Fassade, Fenster, Energieberater, Wärmeabgabe, Ökologie, Klimawandel, Klimaschutz, Oberflächentemperatur, Diagnose, Architektur, messen, Thermometer, Thermographie, Energiepass, Kosten, Einsparung, Sanierungsbedarf, Mehrfamilienhaus, städtisch
© Ingo Bartussek - stock.adobe.com
Die Sanierung und Heizungsumstellung sehr vieler älterer Bauten von Gemeinden, Gemeinnützigen, Privaten und Eigentumsbauten scheitert vielfach am Widerstand von Einzelpersonen - zum Nachteil der großen Mehrheit.
Susanne Formanek, RENOWAVE.at

Die Expert*innen des Innovationslabors empfehlen daher generell Maßnahmen, um Gebäude "enkel-fit" zu machen, wohnrechtlich als Erhaltung und nicht länger als Verbesserung einzustufen. „Mit einer solchen kleinen Änderung könnten einige Knoten im Miet- und Wohnungseigentumsrecht gelöst werden“, ist sich Unzeitig sicher.

„Für Rechtssicherheit des staatlichen Handelns und im Hinblick auf die langfristigen Investitionspläne in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft brauchen wir einen Stufenplan für den Ausstieg aus Öl und Gas bei der Beheizung unserer Gebäude. Festlegungen im Regierungsprogramm reichen in einem Rechtsstaat nicht aus“, ergänzt Wolfgang Amann, Chef des IIBW und Gründungs-Genossenschafter von RENOWAVE.AT.

Die Rolle des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes

Einige der genannten Maßnahmen stehen bereits im Entwurf des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes (EWG), andere sollten im Wohnrecht fixiert werden. „Der Entwurf des EWG wurde vor fast einem Jahr in die Begutachtung geschickt. Es kam zu keiner Einigung über die Berücksichtigung der zahlreichen Stellungnahmen. Und so wurde der unveränderte Entwurf vor einem halben Jahr vom Ministerrat beschlossen und zur parlamentarischen Behandlung weitergeleitet. Seither harrt er darauf, vom zuständigen Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie behandelt zu werden. Es ist eine Menge Sand im Getriebe“, zeigt Hüttler auf.

Sollte das EWG scheitern, sind die notwendigen wohnrechtlichen Reformen in dieser Legislaturperiode kaum mehr realisierbar. „Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft benötigt dringend Rechtssicherheit und praxistaugliche Rahmenbedingungen, um die vorhandenen technischen Lösungen für Sanierung und Heizungsumstellung auch umsetzen zu können. Daher fordern wir dringend die parlamentarische Behandlung und Beschlussfassung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes noch vor der Sommerpause. Die österreichischen Ziele einer Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2040 sind andernfalls nicht zu erreichen“, resümiert Unzeitig zuletzt.

Wer ist RENOWAVE.AT?

RENOWAVE.AT wurde im Jänner 2022 gegründet und ist ein Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen in ganz Österreich. Als Anlaufstelle für Innovationsvorhaben im Sanierungsbereich unterstützt RENOWAVE.AT Initiator*innen von Demonstrationsgebäuden und -quartieren, um Impulse für einen klimaneutralen Gebäudebestand zu setzen. Ziel ist es, hochwertige Sanierungen einfacher, kostengünstiger und rascher umsetzbar zu machen und dafür Innovationen zu forcieren.