Fachkräftemangel in Europa : Karriere am arabischen Markt?

Das futuristische Projekt „The Line“ in Saudi-Arabien.

Das futuristische Projekt „The Line“ in Saudi-Arabien.

- © NEOM

Neom, ein Superlative-Siedlungsprojekt der saudi-arabischen Regierung, ist auf der Suche nach Expert*innen: Die Ausschreibungen umfassen Aufgaben, wie das Management von Geparden, die Analyse genetischer Daten, um Gesundheitsrisiken zu ermitteln oder das Entwerfen von Aquakulturanlagen und Meeresstrukturen. Neben diesen ausgefallenen Stellenausschreibungen wird aber auch nach Spezialist*innen für Brandschutz, die technische Leitung oder das Aufbauen eines erneuerbaren Energiesystems (mit läppischen Ausbauzielen wie 5 GW Windkraft und 15 GW Solarenergie bis 2030) gesucht.

An ähnlichen Schnittstellen kommt Ines Mokrani, CEO von MatchMaker no.1, ins Spiel. Sie hat sich mit ihrem Recruiting-Unternehmen selbständig gemacht und auf den arabischen Markt spezialisiert. MatchMaker no. 1 berät europäische Tech-Unternehmen, die in den arabischen Markt einsteigen wollen und vermittelt zwischen arabischen Unternehmen und europäischen Fachkräften.

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TGA: Was macht denn die arabische Region so spannend für den Recruiting-Bereich?

Ines Mokrani:
Gerade, wenn man sich Dubai ansieht, zum Beispiel mit dem Urban Plan 2040 und was man sich da als Vision gesetzt hat, entstehen dort aktuell Riesenprojekte. Ob das jetzt im Bereich von Immobilien, im AI- und Technologiebereich oder im Logistikbereich, ist – in den Vereinigten Arabischen Emiraten wird sehr viel nach vorne geschaut. Ähnliches haben aber auch andere arabische Länder wie etwa Saudi-Arabien vor. Dort gibt es den Plan 2030, für den ebenso große Projekte realisiert werden. Wenn man sich die Situation und Stagnation in Europa im Moment anschaut, dann gibt es für Unternehmen, die sich entwickeln wollen, im arabischen Raum damit eine gute Möglichkeit, ihr Geschäft nach vorne zu bringen

Stichwort Saudi-Arabien: Gibt es europäische Gebäudetechniker*innen, die in Saudi Arabien an der Glasstadt „The Line“ mitarbeiten?


Mokrani:
Ich gehe davon aus, dass das kommen wird. Es gibt beispielsweise auch die King Abdullah Economic City, die ich selbst mit einer Wirtschaftsdelegation besucht habe. Dort sind ebenfalls viele Europäer am Aufbau beteiligt gewesen. Die Stadt wurde und wird quasi aus dem Sand heraus aufgebaut – und was da geschaffen wird, das ist schon Wahnsinn.

Wie nehmen Sie die Nachfrage im arabischen Raum speziell im Bereich der Gebäudetechnik als Recruiterin wahr?


Mokrani:
Die Nachfrage in technischen oder handwerklichen Bereichen kommt darauf an, wie groß ein Unternehmen ist, also ob das jetzt eine kleine Firma ist, oder ob sie schon zum Mittelstand zählt. Da suchen durchaus viele händeringend nach Personal und es ist ganz einfach eine neue Möglichkeit da, Fachkräfte von außen in die Länder reinzuholen, um hier Entwicklungsmöglichkeiten zu haben. Es gibt natürlich aber auch Leute, die händeringend nach Arbeit suchen und so eine Möglichkeit finden, in den arabischen Raum zu gehen und dort eine Tätigkeit auszuüben.

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Ines Mokrani, hat sich mit ihrer Recruiting-Agentur MatchMaker no. 1 auf den arabischen Markt spezialisiert. Mehr Informationen dazu gibt es online: https://linktr.ee/matchmakerno1
Ines Mokrani, hat sich mit ihrer Recruiting-Agentur MatchMaker no. 1 auf den arabischen Markt spezialisiert. Mehr Informationen dazu gibt es online: https://linktr.ee/matchmakerno1 - © Mokrani
Viele suchen händeringend nach Personal und es ist ganz einfach eine neue Möglichkeit da, Fachkräfte von außen in die Länder reinzuholen.

Dass Gebäudetechniker*innen in Österreich händeringend nach Arbeitsplätzen suchen müssen, kommt kaum vor – wenn dann müssten sie abgeworben werden. Was ist es denn, das solchen Fachkräften im arabischen Raum geboten wird, was ein Wettbewerbsvorteil gegenüber europäischen Standorten ist?

Mokrani:
Es kommt immer darauf an, was man möchte. Wenn man eine Familie hat, ist es natürlich nicht ganz so einfach, seinen Wohnsitz zu wechseln. Ich kann jetzt erstmal nur von Deutschland sprechen, aber wenn man einen deutschen Wohnsitz und Arbeitsort hat, dann zahlt man in der Regel deutsche Steuern. In vielen arabischen Staaten gibt es hingegen einen Steuervorteil, den man in Europa – bestimmt auch in Österreich – so nicht hat. Das ist ein großes Plus. Man verdient zudem wesentlich mehr – schon allein durch den Steuervorteil –, aber der Verdienst ist allgemein höher als das, was man hier in Europa kennt. Letztendlich wollen manche Fachkräfte auch die Kultur kennenlernen und für sich selbst eine Entwicklung machen, ob das Mindset-mäßig ist oder um einfach mal zu sehen, wie es woanders aussieht. Diese Erkenntnisse bei sich zu integrieren und wenn man zurückkommt umsetzen zu können, ist immer ein persönlicher Gewinn.

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Wie sehen Sie die Entwicklung des Fachkräftemangels, der in Europa wie auch in arabischen Staaten ein Problem darstellt, längerfristig? Sprechen wir dann von einer potenziellen Talenteflucht, wenn aus verschiedenen Kontinenten um dieselben Fachkräfte gerungen wird?

Mokrani:
Ich glaube, es kommt immer auf die Leute selbst und ihre Bedürfnisse an. Da, wo die besten Möglichkeiten und sozialen Lebensstandards vorhanden sind, werden die Menschen schlussendlich hingehen. Dabei ist nicht immer nur das Geld von Bedeutung, sondern auch viele Aspekte drumherum, wie etwa die Teamintegration, was das Unternehmen für sein Personal tut und wie es mit der Sprache oder Weiterbildungen aussieht. Unternehmen müssen darauf achten, dass sie wettbewerbsfähig sind und bleiben – ob das jetzt kurz- oder mittel- oder langfristig ist –, um die besten Fachkräfte anzuziehen und weiterhin zu halten.

Unternehmen müssen darauf achten, dass sie wettbewerbsfähig sind und bleiben – ob das jetzt kurz- oder mittel- oder langfristig ist –, um die besten Fachkräfte anzuziehen und weiterhin zu halten.

Sie haben soziale Lebensstandards erwähnt. Gerade beim saudi-arabischen Projekt „The Line“ stehen menschenrechtliche Vorwürfe im Raum. Sind solche Thematiken oder auch gelebte Nachhaltigkeit und soziale Absicherung etwas, nach dem europäische Bewerber*innen fragen?

Mokrani: Hier wird sehr viel von Unternehmensseite her gemacht. Gerade wenn Menschen aus Europa rekrutiert werden, werden immer bestimmte Packages mitverhandelt. Da wird neben dem normalen Gehalt noch sehr viel zugezahlt, ob das jetzt eine Wohnung ist, eine soziale Absicherung ist und, und, und, … damit diese Fachkräfte auch befriedigt sind und gehalten werden können.

Wie sieht der ungefähre Ablauf aus, wenn ein arabisches Haustechnik-Unternehmen auf Sie zukommen würde und nach Spezialist*innen sucht?

Mokrani: Wir setzen uns erstmals mit dem Unternehmen in Verbindung und fragen nach: Was braucht ihr ganz konkret? Wie ist die Stellenbeschreibung? Danach analysieren wir das Unternehmen und überlegen, wer da am besten reinpassen könnte. Wenn von beiden Seiten alles klar ist, gehen wir in die Rekrutierung und das kann ganz unterschiedlich sein, etwa mittels Netzwerk-Ansprache, aber etwa auch über LinkedIn. Wir analysieren dabei, wo die entsprechenden Menschen sich bewegen, denn gerade im handwerklichen Bereich findet man sie eben nicht immer auf LinkedIn. Sind die entsprechenden Leute gefunden, führen wir persönlich Gespräche mit ihnen. Wenn wir davon überzeugt sind, dass diese Personen gut passen würden, stellen wir sie dem Kunden vor und nehmen gemeinsam eine Auswahl vor. Im nächsten Schritt gibt es Gespräche zwischen Bewerbern und Kunden und wenn Interesse von beiden Seiten da ist, wird ein persönliches Kennenlernen vor Ort geplant, um die Umgebung kennenzulernen. Wir können dann noch gemeinsam mit dem Unternehmen bei der Wohnungssuche unterstützen und den entsprechenden Mitarbeiter über eine gewisse Zeit begleiten, damit das alles glattläuft.

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„The Line“ – die Planstadt der Zukunft?

Entlang des Golfes von Akaba und der Küste des Roten Meeres, will die saudi-arabische Regierung das Siedlungsprojekt Neom realisieren. Die Planstadt „The Line“ ist wohl das bekannteste Bauprojekt der Region. Fertiggestellt soll die Bandstadt mehr als 170 Kilometer lang sein, bis zu 9 Mio. Menschen beherbergen, ohne Autos auskommen und zur Gänze aus erneuerbaren Energien gespeist werden.

Die Etappenpläne für das Megaprojekt scheinen nun jedoch zurückgeschraubt werden zu müssen: Statt den bisher geplanten 1,5 Mio. Personen bis 2030 werden wohl nur etwa 300.000 bis dahin in der Bandstadt wohnen, wie Bloomberg berichtet. Man rechnet mit der Fertigstellung von etwa 2,4 Kilometer von „The Line“ bis zu diesem Zeitpunkt.