Fachkräftemangel & Arbeitsmarkt : Lehrlingsausbildung: 7 plus 2 Gründe dagegen - ein offener Brief aus Unternehmersicht

Die Firma Riedel hat immer Lehrlinge ausgebildet. Seit 1992, als ich das Unternehmen übernommen habe, werden es insgesamt deutlich über 20 Fachkräfte gewesen sein, die wir für den Arbeitsmarkt ausgebildet haben. Genau kann ich es nicht sagen, da ich darüber nie Buch geführt habe. Oft waren es zwei bis drei gleichzeitig; dass aber nur vier davon die Lehre nicht mit der Lehrabschlussprüfung abgeschlossen haben, aus sehr unterschiedlichen Gründen, diese Zahl habe ich im Kopf. 

In den letzten Jahren haben wir vermehrt mit dem WAFF zusammengearbeitet und AMS-Bezieher in Kurzlehre zu Installateuren ausgebildet. Dabei habe ich in letzter Zeit wieder Erfahrungen gemacht, nach denen ich meine Bereitschaft zur Ausbildung von Lehrlingen zu überdenken begonnen habe – aber dazu später mehr.

Denn mir ist eingefallen, dass ich vor sieben Jahren schon einmal einen „offenen Brief“ zur Lehrlingsausbildung an die Arbeiterkammer geschrieben habe. An den hier beschriebenen Inhalten hat sich wenig geändert, im Gegenteil – aber wie gesagt, dazu später mehr. 

Hier meine Gedanken aus dem Jahr 2018 zur Situation der Lehrlingsausbildung:

Oliver Riedel, Kleinbadspezialist und 1a Installateur aus Wien

2018: Sieben Punkte, die das Ausbilden von Lehrlingen mühsam machen

Die ist ein offener Brief eines Installateurs, der sein eigenes Unternehmen führt und sich nicht mehr alles gefallen lassen möchte. Ein typisches KMU halt, das Rückgrat der Wirtschaft, wie in fast jeder politischen Rede zur wirtschaftlichen Situation erwähnt wird.

Ich bilde seit vielen Jahren Lehrlinge aus und überlege jetzt damit aufzuhören. Insgesamt arbeiten nur 11 Menschen in meiner Firma (Anmerkung: 2025 sind es 9). Es dürfte daher gesamtwirtschaftlich wurscht sein, ob ich das tue oder nicht. Ich weiß aber, dass es vielen Kollegen ähnlich geht und dann ist es vielleicht nicht mehr ganz so egal!

Warum ich überlege, mit der Lehrlingsausbildung aufzuhören: 

  1. Ich bekomme immer mehr Bewerber, die einfach nicht intelligent genug oder auch nur Willens genug wären, sich mit unserem Beruf zu beschäftigen. Man muss froh sein, falls sie addieren können und „Grüß Gott“ sagen, wenn sie einen Raum mit anderen Menschen betreten.
  2. Ich darf die Schulzeiten (12 Wochen im Jahr) voll bezahlen und muss (nicht darf) eine Prämie bezahlen, wenn der Lehrling seinen Job dort ordentlich erledigt.
  3. Ich darf einen Lehrling nicht entfernen, nur weil er immer wieder zu spät kommt. Ausnahme ist nur, falls das innerhalb von 2 Monaten mehr als 5x vorkommt und auch nur dann, wenn dabei ein gewisses Zeitmaß überschritten wird.
  4. Ich darf einen Lehrling nicht entfernen, wenn er sich einfach zu blöd anstellt. Ich hafte aber für alle Fehler, die dieser Lehrling verursacht.
  5. Selbst, wenn ein Lehrling über 18 Jahre alt ist und er das Dienstverhältnis von sich aus auflösen möchte, muss ich ihn zur Belehrung zur Arbeiterkammer schicken. Sonst ist das, was dieser VOLLJÄHRIGE Mensch und ich ausmachen, automatisch nicht gültig und führt zu sehr unangenehmen Resultaten für mich als Unternehmer.
  6. Ich fühle mich als einigermaßen intelligenter Mensch nicht mehr imstande, alle Regeln und Gesetze, die die Lehrlingsausbildung betreffen, zu lesen, zu begreifen und dann auch noch umzusetzen. Sie sind schlicht nicht mehr umsetzbar und in überwiegender Mehrzahl vollkommen realitätsfremd! Ich habe einen Betrieb zu führen und das mit positivem Jahres-Abschluss, sonst sind die 9 Arbeitsplätze weg. Es bleibt mir daher nicht genug Zeit, auch noch nebenbei Jus zu studieren.
  7. Es gibt inzwischen die überbetriebliche Ausbildung. Das ist jene Ausbildungsform, wo ausbildende Firmen eine Förderung für die Ausbildung von jungen Menschen bekommen, die sonst keinen Ausbildungsplatz bekommen. Warum bekommen diese Firmen Geld für etwas, wofür ich bezahle? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß ist, dass die dort Ausgebildeten echt schlechte Karten bei wirklichen Firmen haben und dass der – natürlich nicht existente – Druck auf die Prüfer bei den Gesellenprüfungen zunimmt, diese überbetrieblich ausgebildeten Lehrlinge auch „durchzulassen“.

Ich halte es nicht für schlau, jeden Menschen durch eine Lehre zu tragen/treten. Es gibt schlicht die unabdingbare Notwendigkeit, ein Hirn zu haben und es auch zu nutzen, um ein guter Handwerker zu werden. Oder wollen Sie die nächste Gaskesselwartung bei Ihnen zu Hause von jemandem durchführen lassen, der nicht einmal weiß, wo links und rechts ist? 

Wir brauchen intelligente Handwerker und die Möglichkeit, unsere Firmen ohne Außeneinflüsse steuern zu können. Oder ist die Arbeiterkammer willens, mir einen Blankowechsel bei meiner Bank zu hinterlegen, um den Kontokorrentrahmen abzudecken?

2025: Zwei aktuelle Erfahrungen mit dem Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt

Ich gebe zu, der Brief von 2018 war vielleicht ein Haucherl polemisch. Ich glaube aber, dass es diesbezüglich durchaus mit einigen Branchenkollegen Übereinstimmung gibt und dass die Inhalte diskussionswürdig sind, wenn wir – so wie es derzeit an der Tagesordnung ist – den Fachkräftemangel und die fehlenden Handwerker-Hände beklagen. Das bringt mich zu der am Anfang versprochenen Auflösung, warum ich mir aktuell gerade wieder Gedanken über das Thema mache. 

Im Herbst 2024 hatte ich einen Lehrling bei der Lehrabschlussprüfung. Er hat bestanden, an sich ein Anlass zur Freude. Syrischer Staatsbürger, über 30, mehrere Kinder, geförderte Kurzlehre – so viel zu den Eckdaten, mehr Details möchte ich aus Gründen des Personenschutzes nicht veröffentlichen. Jedenfalls hat er mir zwei Tage nach der LAP erklärt, dass die kollektivvertragliche Entlohnung für ihn nicht ausreicht, weil er bei einer Anstellung ja auch die Befreiung vom Kindergartengeld, von der GIS, von der Rezeptgebühr und so weiter verliert. Alleine das würde mindestens 400 Euro netto im Monat ausmachen, die er mehr verdienen muss, damit das Arbeiten für ihn und seine Familie auch Sinn macht. Er hat also das Dienstverhältnis beendet und sich beim AMS arbeitslos gemeldet. 

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Also habe ich wieder nach Lehrlingen zu suchen begonnen. Von den Bewerbern ohne Vorbildung und ohne Sprachkenntnisse will ich gar nicht erzählen, diese Herausforderung ist in Wien jedem Unternehmer bekannt. Dann hatte ich vor Weihnachten ein Bewerbungsgespräch mit einem wechselwilligen Lehrling im 2. Lehrjahr und seiner Mutter. Gutes Auftreten, gutes Deutsch, also machte ich ihm das Angebot, im neuen Jahr am 8. Jänner bei mir anzufangen. Das ließ ihn zögern, denn – so stellte sich heraus –, es war im Jänner bereits ein Urlaub gebucht, weil er ja jetzt Zeit dafür hat; gefolgt von der Ablehnung des Angebots seinerseits, es sei ihm jetzt doch zu kurzfristig.

Ich bin mir zum wiederholten Mal in meiner Unternehmerlaufbahn wirklich nicht mehr sicher, ob ich noch einen Lehrling ausbilden möchte. Das würde ich gerne zur öffentlichen Diskussion stellen: Denn nur theoretisch über den Fachkräftemangel zu sprechen, ist mir zu wenig. Reden wir über die praktischen Erfahrungen von uns Ausbildenden!

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