Roots Energy : Anergie zum Preis einer Brennwerttherme

Das Gründerteam von Roots Energy (v.l.n.r.): Gerald Stangl, Wieland Moser, Hüseyin Özcelik und Florian Hackl-Kohlweiß

Das Gründerteam von Roots Energy (v.l.n.r.): Gerald Stangl, Wieland Moser, Hüseyin Özcelik und Florian Hackl-Kohlweiß

- © Nicky Webb

Bestandsgebäude, dezentrale Gasthermen und Eigentümergemeinschaften: Sanierungsprojekte, von denen anderen lieber die Finger lassen, sind das Kerngeschäft des Wiener Unternehmens Roots Energy. Das Gründerteam aus Gerald Stangl, Hüseyin Özcelik, Florian Hackl-Kohlweiß und Wieland Moser hat seine Wurzeln im Smartblock Geblergasse

Das Gebäude aus der Gründerzeit stellte nach einer Sockelsanierung auf ein dezentrales Anergienetz inklusive Erdwärmesonden, Solarmatten, Wärmepumpe und PVT-Modulen um und erhielt dafür den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit. Ingenieur Wieland Moser plante die Gebäudetechnik für das Projekt mit seinem Ingenieurbüro Käferhaus – die Kernideen hinter der CO₂-freien Energieversorgung solcher Gebäudetypen bildeten der Ausgangspunkt für die Gründung von Roots Energy im Jahr 2020. 

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„Am Beispiel Geblergasse haben wir gesehen: Dort liegt die Lösung der Wärmewende. Aber es braucht immer noch die Kernsanierung, es ist immer noch zu teuer, es ist nicht skalierbar“, bringt es Geschäftsführer Gerald Stangl auf den Punkt. Genau dort setzt die Vision von Roots Energy an: Eine standardisierte, skalierbare und kostengünstige Lösung für den Ausstieg aus Gas im mehrgeschoßigen Wohnbau sowie Siedlungen. 

Die Zielgruppe: Eigentümergemeinschaften, genauer ihre Hausverwaltungen. Mit dem Mandat eines Ingenieurbüros allein ist das aber nicht machbar – Roots Energy war geboren. „Wir sind bewusst aus dem Skillset, das ein Ingenieurbüro hat, herausgegangen. Inzwischen haben wir einen massiven Überhang bei Themen, wo man normal nicht weiterkommt als Ingenieurbüro: Standardisierung, Logistik, Recht, Endkundenbeziehung, Mess-, steuer- und Regeltechnik sowie Betrieb“, so Stangl.

In einem Haus mit dezentralen Gasthermen können weder persönlich noch rechtlich alle gleichzeitig auf eine zentrale Quelle umstellen.
Gerald Stangl, Roots Energy

Raus aus Gas: Der technische Aspekt aka "Solethermie"

Technisch gesehen ruht das Geschäftsmodell auf dem Konzept der sogenannten „Solethermie“, einem standardisierten und modularen Anergiesystem, das für Raumwärme, Warmwasser und Temperierung im Sommer sorgt. Soll ein Gebäude umgestellt werden, wird im ersten Schritt die Sole-Infrastruktur errichtet und eine Umweltwärmequelle erschlossen. Jede Wohneinheit erhält neben dem bereits vorhandenen Gas-Anschlusspunkt über eine neue “Steigleitung” auch einen Sole-Anschlusspunkt.

Der Anschluss der Wohneinheit an das Anergienetz ist im zweiten Schritt mittels Mini Sole/Wasser-Wärmepumpe – bei Roots Energy „Soletherme“ genannt – möglich. Dabei kann der Zeitpunkt nach individuellem Bedarf und Wunsch gewählt werden. „In einem Haus mit dezentralen Gasthermen können weder persönlich noch rechtlich alle gleichzeitig auf eine zentrale Quelle umstellen. Die meisten wollen oder können, das haben wir herausgefunden, aber eben nicht gleichzeitig“, erklärt Stangl. 

Der Rest des Anergienetzes ist von der Wärmequelle bis zur Wärmesenke modular aufgebaut und damit auch erweiterbar. „So kann man die Strategie fahren, dass man zuerst die Netzinfrastruktur kostengünstig errichtet und manche Entscheidungen für Wärmequelle und Wärmesenke im Nachhinein trifft“, führt Stangl aus. Egal ob Luftwärme-Kollektoren, Rückkühler, Eisspeicher, Erdsonden oder Grundwasser, „es lässt sich alles einbinden, ohne dass jedes Mal das System wie ein großes Mobile neu ausgelegt werden muss.“ 

>>> Wärmepumpe: Die Zukunft ist brennbar

Gerald Stangl Roots Energy Geschaeftsfuehrer
Roots Energy-Geschäftsführer Gerald Stangl - © Nicky Webb
Jeder entscheidet selbst, wann er seine Heizung umstellen will – ob überhaupt und wie.
Gerald Stangl, Roots Energy

Denn obwohl es sich bei der Solethermie um ein zentralisiertes Wärmesystem handelt, muss die technisch effizienteste Wärmequelle auf diese Weise nicht sofort auf die Wärmelast des gesamten Gebäudes ausgelegt werden, wie Stangl beschreibt: „Wir können die Wohnungen Schritt für Schritt umstellen. So kann man aus dem Nutzungsverhalten des Hauses lernen“. Bei der Solethermie ist das dank Modularisierung möglich – weitere, effizientere Wärmequellen können somit zu einem späteren Zeitpunkt nachgebessert werden.

Die Wärmeverteilung ist aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus, auf dem Anergienetze arbeiten, mit einfachen Wasserleitungsrohren ohne Wärmedämmung möglich. Verlegt werden kann über das Stiegenhaus, vorhandene Schächte oder auch über die Außenwand – die Wohnung wird dabei nicht betreten. Eine Heizzentrale entfällt, stattdessen wird eine Hydraulikzentrale benötigt. „Das Wichtigste ist, dass jeder Installateur, der ein Waschbecken anschließen kann, das System errichten können soll, wenn er die Auslegung kriegt“, fasst der Roots Energy-Geschäftsführer das Konzept zusammen. 

Das Wichtigste ist, dass jeder Installateur, der ein Waschbecken anschließen kann, das System errichten können soll, wenn er die Auslegung kriegt.
Gerald Stangl, Roots Energy

Plug and Play mit Wohnungswärmepumpe

Die Wohnungswärmepumpe selbst entwickelt Roots Energy in OEM-Produktion, ait Deutschland und Qvantum aus Schweden stehen als Partner zur Seite. Grundsätzlich funktioniere natürlich jede handelsübliche Sole-Wasser-Wärmepumpe im System, so Stangl: „Aber die von uns zur Verfügung gestellten Solethermen sind für die Wohnungsnutzung optimierte Geräte, die alle Anforderungen erfüllen, um speziell die Integration einer Wärmequelle und unserer MSR schnell und kostengünstig möglich zu machen.“ 

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Die neue Brennwerttherme ist die kostenseitige Benchmark der Leute im Kopf.
Gerald Stangl, Roots Energy

Heizungstausch: Der menschliche Aspekt

In den Köpfen der Endkonsument*innen stellt insbesondere der Kostenpunkt einer solchen Lösung einen großen Knackpunkt dar. „Die neue Brennwerttherme ist die kostenseitige Benchmark der Leute im Kopf“, weiß Stangl. Deshalb habe man so lange am System getüftelt, bis diese Kostenschwelle für die Umstellung unterboten werden konnte: „Wir wollten die Fossilen auf jeder Dimension schlagen, wenn man so will.“ 

Momentan gilt das noch vorbehaltlich der Landesförderungen – mit ihnen kostet das Herstellen eines Anschlusspunkts pro Einheit zwischen 4.000 und 6.000 Euro, rechnet Roots Energy vor. Für das tatsächliche Anschließen kommen, je nachdem, ob es wieder eine Bundesförderung geben wird und je nach Beschaffenheit der Wohnung, zwischen 4.000 und 10.000 Euro dazu. „Wir wollen die Brücke zur Lebensrealität von ganz normalen Leuten schlagen. Die technischen Lösungen gibt es alle schon – wir erfinden da nichts Neues. Aber wir bereiten es so auf, dass es für die Leute, die es wirklich betrifft, verdaulich ist. Und natürlich so, dass es rechtlich makellos ist“, fasst Stangl zusammen.

Dem rechtlichen Aspekt hat sich Roots Energy nämlich fest verschrieben. „Unser Fokus liegt auf Lösungen für mehrgeschossige Wohnbauten und Siedlungen, die rechtlich tragfähig sowie wirtschaftlich in Errichtung und Betrieb sind“, liest sich auf der Website. Denn oft scheitern Sanierungsprojekte an notwendigen Beschlüssen der Eigentümerschaft. Die Errichtung der allgemeinen Sole-Infrastruktur lässt sich laut Roots Energy gemäß § 29 des Wohnungseigentumsgesetz (WEG) aber als Verbesserung einordnen. Das hat zur Folge, dass ‚nur‘ ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümer*innen für eine Umsetzung benötigt wird. Selbiges gilt auch für eine nachträgliche Erweiterung der Wärmequelle. 

Das Roots Haus wird auch als Reallabor dienen.

- © Roots Energy

Anergie zum Anfassen: Das Roots Haus

Noch findet sich das Büro von Roots Energy inmitten des Werkstättenhofs Mollardgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk – im Laufe der nächsten Monate will das Unternehmen dann sein „Opus Magnum“, das Roots Haus in der Linzer Straße beziehen. 

Dort setzt das Team, das momentan aus 14 Personen besteht, sein Kerngeschäft in die gelebte Praxis um. Das als Mustersanierung geförderte Projekt soll die urbane Wärmewende mittels Solethermie vorzeigen und – noch wichtiger – simulieren: Als Reallabor wird das 1976 erbaute Gebäude mit rund 800 Quadratmetern Nutzfläche auf fünf Stockwerken nahezu jedes urbane Wärmesystem aus dem mehrgeschossigen Wohnbau simulieren können. 

Von Erdsonden über Flächenkollektoren, Eisspeicher, Rückkühler, Hybridkollektoren, Photovoltaik, ob zentrale oder dezentrale Wärmebereitung, bis hin zu Wärmeabgabe über Flächen oder unterschiedliche Heizkörper, „jedes Szenario, das in Wien realistisch vorkommen kann, können wir dort zeigen und weiterentwickeln“, freut sich Stangl. Darüber hinaus soll das Gebäude die Wärmewende greifbar machen und sowohl interessierten Laien als auch Expert*innen als Treffpunkt dienen. 

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Das Roots Haus in der Wiener Linzer Straße.
Das Roots Haus in der Wiener Linzer Strasse. - © Roots Energy

Leuchtturm bis Betrieb: Die langfristige Perspektive

Im Roots Haus wird zudem Sole OS entwickelt, das Betriebssystem der Solethermie. Denn Roots Energy sieht sich als Unternehmen eigentlich in zwei Phasen: „Jetzt ist die Phase, wo wir tatsächlich von A bis Z alles selbst machen. Unser mittel- bis langfristiges Ziel ist aber, dass wir das Wärmesystem als Ganzes zur Verfügung stellen“, so Stangl. 

Als Nächstes will das Unternehmen seine Lösung im gesamten deutschen Sprachraum ausrollen und Ingenieurbüros und Installationsbetrieben das Gesamtsystem zur Verfügung stellen. „Wir treten dann auf der einen Seite als Systemgeber, aber auch als Betreiber auf und verantworten die Betriebsführung und Betriebsoptimierung. Wir standardisieren und zertifizieren alle Komponenten, liefern die MSR und übernehmen die Endkundenbeziehung, wenn es gewünscht ist“, bringt es der Geschäftsführer auf den Punkt. 2026 will Roots Energy diese nächste Phase einleiten, dieses Jahr steht ganz im Zeichen der Leuchtturmprojekte – inklusive Roots Haus wird aktuell an vier Sanierungsprojekten in Wien gearbeitet.

Interesse am Smartblock Geblergasse und Anergienetzen im Allgemeinen? Im Reportageformat "reNEWSable" haben wir uns näher damit auseinandergesetzt: