Energietechnik im naturhistorischen Museum Wien : Gebäudesimulation in XXL

Das Naturhistorische Museum ist Vorreiter bei Sonnenstrom und bald auch in Sachen Gebäudesimulation.

Das Naturhistorische Museum ist Vorreiter bei Sonnenstrom und bald auch in Sachen Gebäudesimulation.

- © GeoPic

Auch kleine Maßnahmen haben oft große Wirkung. „Als ich vor rund vier Jahren meine Position im Naturhistorischen Museum antrat, habe ich die HKLS-Anlagenstruktur aufnehmen lassen – von den Ventilen bis zu den Rohrleitungen“, erzählt Christian Fischer, Leiter Gebäude & Sicherheit im Naturhistorischen Museum.

Schnell stellte sich heraus, dass hunderte Thermostatköpfe fehlten. Souvenirjagende hatten die alten Handräder, die an den Heizkörpern in den Schausälen montiert waren, mitgehen lassen. „Auch an den Ventilen wurde gern herumgedreht. Im Winter wurde es dann unerträglich heiß in den Räumlichkeiten.“ Effizienter Energieeinsatz sieht anders aus.

Eine der ersten Anschaffungen als neuer Gebäudeleiter waren daher diebstahl- und vandalensichere Thermostatköpfe für knapp 700 Heizkörper. Die Wahl fiel auf ein Herz-Modell mit Flüssigkeitsfühler, das Schutz vor unbefugter Betätigung bietet und somit optimal für öffentliche Einrichtungen geeignet ist. „Eine Einzelmaßnahme, durch die wir 440 Megawattstunden Heizwärme und jährlich 58 Tonnen an CO2-Emissionen einsparen konnten“, so Fischer.

Gas raus, Sonne rein

Weitere Maßnahmen wurden bereits gesetzt: 2022 hieß es „Raus aus Gas“, das Naturhistorische Museum verabschiedete sich damit endgültig von fossilen Energieträgern. Allein die im Haus verteilten, über Putz liegenden Gasleitungen summierten sich auf rund 100 Tonnen Stahl.

2023 wurden die zahlreichen Neonröhren und Halogenleuchten auf LED umgerüstet. In Sachen Sonnenenergie darf sich das Museum zu den heimischen Vorreitern zählen. 1998 startete man mit einer der ersten Photovoltaikanlagen Österreichs mit einer Leistung von 15 Kilowatt-Peak. 

>>> Naturhistorisches Museum bekommt Fernkälte

Der jüngste Ausbauschritt erfolgte heuer: In Zusammenarbeit mit dem Modulhersteller Solarwatt und dem PV-Spezialisten ATB-Becker wurde die Anlage auf 300 Kilowatt-Peak ausgebaut. Damit können etwa zwölf Prozent des jährlichen Eigenbedarfs gedeckt werden.

Abseits der Gebäudetechnik soll bis 2028 der Umbau des Tiefparterres zwischen Hauptportal und Museumsplatz erfolgen. Umgesetzt wird ein barrierefreier Zugang und eine Welcome-Zone mit Kassen, Garderoben, WC-Anlagen und Shop.

>> Immer up to date mit Meinungen und News aus der Branche sein? Abonnieren Sie unsere Newsletter: Ob wöchentliche Übersicht, Planer*innen-Newsletter oder Sanitär-Trendletter – mit uns bleiben Sie informiert! Hier geht’s zur Anmeldung!

Christian Fischer, Leiter Gebäude & Sicherheit im Naturhistorischen Museum.
Christian Fischer, Leiter Gebäude & Sicherheit im Naturhistorischen Museum - © NHM Wien/W. Bauer

Bis 2028 geplante Umbauarbeiten eröffnen neue energietechnische Möglichkeiten.

 

- © Hoskins Architects
Über die nächsten Jahre entsteht eine Kaskade aufeinander aufbauender Masterarbeiten zur Gebäudesimulation an der TU Wien.
Christian Fischer, Naturhistorisches Museum

Akademische Unterstützung: Masterarbeiten von der TU Wien

Aus gebäudetechnischer Sicht entstehen damit einerseits aktivierbare Bauteilflächen. Andererseits werden mit dem Umbauprojekt auch die Weichen für eine generelle Neuausrichtung der Energieanwendungen im Naturhistorischen Museum gestellt. Grundlage dafür ist eine Gebäudesimulation, für die Fischers Abteilung mit dem Institut für Energietechnik und Thermodynamik der Technischen Universität Wien zusammenarbeitet. Die erste Masterarbeit dazu wurde von Studierenden kürzlich abgeschlossen. Sie widmet sich der Modellierung der Gebäudehülle „als Basis für nachhaltige Versorgungskonzepte“, wie es im Titel heißt.

„Die nächste Arbeit ist schon im Werden“, schildert Fischer. „Sie verfeinert im Wesentlichen die Ergebnisse der ersten.“ Über die nächsten Jahre wird so eine ganze Kaskade aufeinander aufbauender Masterarbeiten an der TU Wien entstehen. „Am Ende soll eine anwendbare Gebäudesimulation stehen, die mit der Haustechnik koppelbar ist.“ 2027 soll es so weit sein.

>>> Vom Gebäudemodell zum digitalen Zwilling

Warum das Projekt so viel Aufwand und akademisches Hirnschmalz erfordert, ist rasch erklärt: „Das Haus ist riesengroß und sehr komplex“, sagt Fischer. 952 Räume sind es in Summe. Das entspricht 44.000 Quadratmetern Nettoraumfläche. Dazu kommen unterschiedliche Zonierungen. Die unzähligen Stopfpräparate der zoologischen Sammlung etwa müssen durch entsprechend niedrig gehaltene Raumtemperaturen vor dem Vermehrungstrieb der Motten und anderer Schädlinge geschützt werden. Salzmineralien und Meteoriten wiederum vertragen keine allzu hohe Luftfeuchtigkeit, da sie sich sonst zersetzen bzw. rosten würden.

Bauteilaktivierung wird wie erwähnt erst durch den bevorstehenden Umbau möglich. Die historische Bausubstanz mit ihren Stuckaturen, Wandmalereien und Wandvitrinen kommt dafür naturgemäß nicht infrage. Nicht zu vergessen sind „Wärmerzeuger“ in Gestalt der rund eine Million Besucher*innen im Jahr.

Bei 952 Räumen ist noch viel zu tun, ehe wir ein automatisiertes, vollflächiges Monitoringkonzept implementieren können.
Christian Fischer, Naturhistorisches Museum

Messung, Modellierung, Monitoring

Im Vorfeld der Gebäudesimulation erfolgt auch die messtechnische Untersuchung der Gebäudehülle. Als Software-Lösung wurde die modulare Anwendung Trnsys (= Transient Systems Simulation) gewählt. Fischer: „Dort werden die Zonierungen, der Bauteilkatalog mit den jeweiligen U-Werten, die Fenster, deren Ausrichtung, die Dichtheit der Außenhülle und vieles mehr hinterlegt.“

Für die primäre Modellierung werden Durchschnittswerte verwendet, etwa auch im Hinblick auf die in den Räumlichkeiten anwesenden Personen. „Am Ende könnte ein dynamisches Modell inklusive Personenzählung stehen.“ Die messtechnische Ausstattung wird nun nach und nach aufgerüstet. „Wir haben mehrere Schausäle baulich saniert und im Zuge dessen Bus-Logger installiert.“ Gemessen werden Parameter wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Die Luftgütemessung in vielen Räumlichkeiten erfolgt zurzeit noch händisch.

>>> Erstmals gemessen: Die Qualität der Büroluft in Österreich

„Bei 952 Räumen ist noch viel zu tun, ehe wir ein automatisiertes, vollflächiges Monitoringkonzept implementieren können“, weiß der Gebäudeleiter. Nutzen bringt dies in mehrfacher Hinsicht: Die Simulation dient der Optimierung des Raumklimas, der Senkung des Primärenergiebedarfs wie auch der Dekarbonisierung. Zudem hofft Fischer auf Datenmaterial für künftige Investitionsentscheidungen: „In Zukunft wissen wir bei jeder gebäudetechnischen Investition von vornherein, was sie kostet und was sie bringt.“

Auch wenn die Studierenden noch eifrig an ihren Masterarbeiten werken – ersten messbare Resultate gibt es bereits: Modellhaft abgebildet wurde die gezielte Lüftung durch Fensteröffnung in den Nachtstunden („Free Cooling“). Simuliert wurde auch der Einsatz von Streckmetall-Abschattung im sogenannten „Großsäugersaal“. Gut möglich also, dass die großen Säugetiere im Museum dank erster Projektergebnisse künftig in heißen Sommer weniger in Schwitzen kommen.

Die großen Säugetiere im Museum kamen bereits in den Genuss gebäudetechnischer Simulation.
Die großen Säugetiere im Museum kamen bereits in den Genuss gebäudetechnischer Simulation. - © NHM Wien/C. Rittmannsperger