Gastkommentar : "Stand der Technik"

Aus gutem Grund ist der Stand der Technik in vielen Branchen zu hinterfragen. Das gilt sowohl für die Automobilbranche als auch für den Bereich der Real Estate Unternehmen. Unzählige Land- und forstwirtschaftliche Betriebe widmeten sich z.B. dem Thema Digitalisierung in aller Zielstrebigkeit (in Mähdreschern und anderen Ackermaschinen arbeiten hochmoderne GIS-Systeme, die die Bodenbeschaffenheit mit effizientester Düngerbelegung bzw. Bewässerung ausweisen oder Erntemaschinen, die Soll- und Ist-Daten sofort als verwertbare Reports zur Verfügung stellen).

Währenddessen arbeitet die Immobilienbranche immer noch intensiv mit Papierplänen, die als Hardcopy ausgetauscht werden und die Prozesse nach sich ziehen, die längst niemand mehr bezahlen kann. Hier ähnelt die Immobilienbranche stark der Automobilindustrie, die das Geschäftsmodell „Verbrenner“ unbeirrt fortsetzt, wissend, dass es längst andere/bessere Möglichkeiten gibt.

>> Immer up to date mit Meinungen und News aus der Branche sein? Abonnieren Sie unsere Newsletter: Ob wöchentliche Übersicht, Planer*innen-Newsletter oder Sanitär-Trendletter – mit uns bleiben Sie informiert! Hier geht’s zur Anmeldung!

construction, building, house, workers, project, blueprint, engineering, architecture, rolls, model, build, men, work, plan, design, figure, home, equipment, drawing, draft, structure, unfinished, sketch, housing, organization, cottage, engineer, concept, incomplete, bricks, beams, plaster, paper
Papierpläne sind in der Immobilienbranche immer noch an der Tagesordnung. - © Romolo Tavani - stock.adobe.com
Die Immobilienbranche ähnelt stark der Automobilindustrie, die das Geschäftsmodell „Verbrenner“ unbeirrt fortsetzt, wissend, dass es längst andere/bessere Möglichkeiten gibt.

DACH-Region hat Nachholbedarf

Das Argument des Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohe Arbeitskosten, zu geringe Nettolöhne und zu hohe Energiekosten wird, so scheint es, gerne benutzt um angestammte, ewig umgesetzte Prozesse (Ausschreibungen, Leistungsverzeichnisse, Berufsbilder, Honorarrichtlinien …) auch in Zukunft zu nutzen. So kommt es, dass die digitale Kompetenz der Immobilienbranche in der DACH-Region bei weitem nicht an den Reifegrad dieser Fähigkeit in den Vereinigten Staaten oder in einigen asiatischen Ländern (Singapur, China, …) heranreicht.

Das ist durchaus eine Parallele zur Autoindustrie. Die Unternehmensberatung Gartner führt in den USA und China in ihrem Digital Automaker Index Tesla vor Nio und Xpeng. BMW ist an 10. Stelle; VW an 13. Mit anderen Worten: die deutsche Autoindustrie hat bei Digitalisierung und Software Nachholbedarf. Unternehmen aus anderen Länder waren schneller mit ihren Innovationen auf diesem Gebiet und haben ihre Entwicklungsprozesse flotter umgesetzt. In Deutschland gibt es eigentlich nur eine große Softwarefirma, nämlich SAP. In der Triade existieren hingegen etliche Techkonzerne wie Nvidia oder Huawei mit Milliardenumsätzen/Gewinnen und sehr vielen Arbeitsplätzen. Chipindustrie und Softwaresysteme, aber auch Batterietechnologie ist als Disruption an der deutschen Industrie ebenso vorbeigegangen.

Zeit für den Digital-First-Ansatz

Und jetzt rollt die nächste große Welle, nämlich KI. Mit KI schaffen wir in kurzer Zeit, wofür wir früher zwei bis drei Jahre gebraucht haben. Wenn wir sie richtig nutzen, könnte Europa beim Software-definierten Gebäude, aber auch beim Auto, sehr schnell einen großen Schritt nach vorne machen. Diese Aufholjagd muss zum Ziel haben, dass wir vom Hardware- zum Digital-First-Ansatz wechseln. Unsere Mitarbeiter müssen also digitale Kompetenz aufbauen und die Umsetzungen dieser Kompetenz muss auch in Ausschreibungen, Leistungsverzeichnissen, Berufsbildern, Honorarrichtlinien etc. ihren Niederschlag finden. 

>>> KI macht die Planungsaufgabe zur Kommunikationsaufgabe

Die KI kann der Branche dabei helfen, uns wieder vermehrt um die wertschöpfenden Prozesse zu kümmern. Benötigte man vor einigen Jahren noch drei bis vier Jahre, um eine neue Software an optimierte Prozesse anzupassen, funktioniert das heute dank Small und Large Language Models deutlich schneller. Das heißt aber in anderen Worten – Änderung des Mindsets einer ganzen Branche/Industrie/Interessensvertretungen/Normeninstituten.

Der Treiber für eine solche Entwicklung könnte die Berichtspflicht nach den Corporate Substainability Reporting Directives (CSRD) der EU werden. Rund 2.000 Unternehmen müssen 2025 einen (hoffentlich standardisierten) Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Die Bedeutung von ESG-Kriterien hat in den letzten Jahren kontinuierlich und erheblich zugenommen. Das gilt auch beim Thema Datenqualität, die nur erreicht werden kann, wenn die Datengenerierung über den Lebenszyklus durchgängig ist und idente Datenstrukturen (Standards) umgesetzt werden. Die Methodik Open BIM in Kooperation mit anderen Werkzeugen ist hier ein zentraler Wissensbereich.

Alfred Waschl
Alfred Waschl, Unternehmer und Vorstandsvorsitzender buildingSMART Austria - © buildingSMART Austria
Wir müssen im Kerngeschäft das Tempo steigern, damit wir mit der Software mithalten können.

Plädoyer für eine Digitalpartnerschaft

Warum geht das nicht anders? Weil die Spezifikationen und die wesentlichen technischen Ausstattungen eines Gebäudes zwei bis vier Jahre vor der Errichtung bestimmt werden. Die Software für den Betrieb entwickelt sich in dieser Zeit allerdings schneller weiter, daraus folgt: Wir müssen im Kerngeschäft das Tempo steigern, damit wir mit der Software mithalten können. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten die besten der Branche mit sogenannten "Liquid Organizations“

Mit anderen Worten, „alles ist im Fluss“. Die alte Prozesswelt arbeitet sehr prozessorientiert und diszipliniert in Abteilungen, exakt geordnet, mit durchgezogenen und strichlierten Linien. Das funktioniert bei einer starken Orientierung an der Hardware und klassischen Entwicklungsprozessen. In einer "Liquid Organization" arbeiten dagegen alle Beteiligten zusammen – keine Silos, wenig Hierarchie und viel Inhalt. Damit können Kräfte gebündelt, schnelle Entscheidungen getroffen werden und Themen flexibler abgearbeitet werden.

>>> Dreistufig – aber um welchen Preis?

Man könnte in Abwandlung eines österreichischen Erfolgsmodells es, das nach dem 2. Weltkrieg entwickelt wurde (Sozialpartnerschaft), von einer Digitalpartnerschaft sprechen, die einzelne Gebäude, Quartiere, Orte … entwickelt/optimiert/wiederverwertet und gleichzeitig die Bürokratieanteile an den Gesamtkosten reduziert, weil sie transparente Prozesse braucht/fördert/lebt. Das ist dann ein „Stand der Technik – der Jetztzeit“.

PS: Bis zum Beginn der Eurokrise 2010  lag die EU als Wirtschaftsmacht etwa gleichauf mit den USA. Seither sind wir weit zurückgefallen. Pro-Kopf-Einkommen, Produktivität, Investitionen, Forschung und Entwicklung, Größe der Kapitalmärkte, geopolitische Machtentfaltung, militärische Schlagkraft: Europa enttäuscht leider komplett. 

Als führend gilt Europa noch in der Disziplin der Regulierung.  Faktisch gibt es eine internationale Arbeitsteilung zwischen den drei großen Wirtschaftsblöcken: Amerika innoviert – China produziert – Europa reguliert. Zu beobachten ist das gerade bei der KI! Zwar spielt aktuell die EU weder bei der Entwicklung noch bei der Anwendung von KI vorne mit. Dafür haben wir bereits eine KI-Richtlinie.

Amerika innoviert – China produziert – Europa reguliert.