Sympheny und viboo: Künstliche Intelligenz für Gebäudetechnik : KI in der Gebäudeautomation: Wie Technologie Gebäude intelligent macht
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Künstliche Intelligenz hält langsam, aber doch Einzug in die Gebäudetechnik, insbesondere die Gebäudeautomation. Am Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) widmet man sich dem Thema bereits intensiv. Spin-offs wie "Sympheny" und "viboo" zählen zu den Erfolgsgeschichten der Schweizer Forschungsanstalt.
Dieser Artikel schlüsselt die beiden marktfähigen KI-Anwendungen und ihre Potenziale auf und enthält ein Exklusiv-Interview mit Philipp Heer, dem stellvertretenden Leiter des Forschungslabors für Urbane Energiesysteme am Empa. Darin spricht er über den aktuellen Stand der Technik, was künstliche Intelligenz betrifft und welche Entwicklungen zu erwarten sind.
Philipp Heer, Empa: „KI in der Gebäudeautomation ist keine Spielerei"
TGA: Hat KI in der Gebäudetechnik bereits Einzug gehalten?
Philipp Heer: Ja, das hat sie. In der Gebäudeplanung sind bereits Tools vorhanden. Im Bereich Raumautomation gibt es seit einigen Jahren Gadgets mit KI-Unterstützung. Bspw. Google nest, netatmo oder tado. Die Angebote werden nun immer ausgereifter und generieren auch einen Mehrwert, wie im Falle von viboo. Im MSRL-Bereich sehen wir auch erste Konzepte.
Wo liegen die Potenziale der Technik?
Heer: Das Potenzial zum Energiesparen, Erhöhen von Komfort und Kostensparen ist sehr groß! Gebäude werden sehr ineffizient betrieben, zusätzlich zu schlecht parametrierten Anlagen und falsch angeschlossenen Komponenten entsteht ein schleichender Performance Gap über die Betriebsjahre. KI kann in diesen und anderen Fällen helfen. Was in großen Überbauungen allenfalls punktuell ein Energieberater macht, ist gut und recht. Mit KI kann dies aber potenziell in allen 1,8 Mio. Gebäuden in der Schweiz stattfinden, permanent im Hintergrund. KI in der Gebäudeautomation ist also keine Spielerei, sondern ein Enabler für einen effizienten und nachhaltigeren Gebäudebestand.
Was in großen Überbauungen allenfalls punktuell ein Energieberater macht, ist gut und recht. Mit KI kann dies aber potenziell in allen 1,8 Mio. Gebäuden in der Schweiz stattfinden, permanent im Hintergrund.
Und wo gibt es „Knackpunkte“?
Heer: In der Welt der Gebäude und Gebäudeautomation müssen Produkte mindestens 10 bis 15 Jahre zuverlässig und mit minimalem Wartungsaufwand funktionieren. Gadgets wie oben beschrieben haben eine Halbwertszeit von 2 bis 3 Jahren, dann muss man sie ersetzten oder, wenn man Glück hat, nur die Batterie wechseln. Sind es keine Gadgets, sondern richtige Industriekomponenten, werden sie oft noch als zu teuer empfunden und die KI als unerprobt abgestempelt. Es bestehen oft noch nicht die Implementationsmöglichkeiten, auf klassischen Steuerungen KI-Algorithmen laufen zu lassen, respektive diese mit der Cloud zu verbinden – zudem sind da einige Hemmungen vorhanden. Es hapert an der Zuverlässigkeit von KI-generiertem Output. Genauso wie ChatGPT „nur“ Wörter aneinanderreiht, aber nicht weiß, ob es gerade eine Lüge oder etwas Wahres fabriziert, kennen KI-Lösungen in der Gebäudetechnik noch keine physischen Zusammenhänge. Wir forschen hierzu an Ansätzen, wie dies möglich ist.
Wie ist der aktuelle Stand der Technik, welche Entwicklung ist kurz- und mittelfristig zu erwarten?
Heer: In Neubauten wird es ein wenig schneller gehen als im Gebäudebestand. Wichtig auch: In der Gebäudeplanung, während der Inbetriebnahme, im Betrieb und bei Sanierung werden KI-Tools immer mehr Einzug halten. Erst werden klassische Tools/Methoden/Algorithmen von KI unterstützt, später allenfalls ersetzt.
In der Gebäudeplanung, während der Inbetriebnahme, im Betrieb und bei Sanierung werden KI-Tools immer mehr Einzug halten.
Inwieweit gilt es rechtlich, ethische Aspekte zu beachten?
Heer: KI als Algorithmus: Die Sachlage unterscheidet sich nicht von jener anderer Tools oder Programme. Das heißt, es gilt die AGB/Nutzungsvereinbarung. Zum Datenaspekt: Eine KI muss mindestens einmal mit – vielen – Daten trainiert werden. Ist dieses Training abgeschlossen, wird der resultierende Algorithmus nur noch mit ganz wenigen Daten genutzt (Vergleich ChatGPT: Zum Trainieren wurde wohl fast das ganze schriftliche Wissen genutzt, was zugänglich war. Für das Nutzen nach dem Trainieren reicht dann aber lediglich ein Satz/Prompt). In MSRL & RA-Anwendungen sind diese wenigen Daten in der Nutzung typisch unkritisch, bspw. Messdaten der letzten 24 Stunden. Man muss auch verstehen, dass der Algorithmus nur das tun kann, worauf er trainiert ist. Und nicht noch zusätzlich kritische Dinge identifizieren oder Ähnliches.
Es gibt auch Ansätze, die kontinuierlich lernen oder immer wieder trainiert werden. Das heißt, neue eingegebene Daten werden für weiteres Training verwendet. Allenfalls auch für neue Trainingszwecke. In allen Fällen muss sichergestellt sein, dass die Dateneigner*innen dem zustimmen. Dateneigner*innen in der Schweiz/EU sind jeweils die Datenverursachenden (die Daten meiner Sport/Puls-Uhr gehören also mir, weil ich sie verursacht habe), in den USA und anderen Teilen der Welt ist die Sache undurchsichtiger. Da viele Entwicklungen aus jenen Ländern kommen, wird das Thema Ethik und Regulatoren – um ethische Grundsätze sicherzustellen – noch lange ein Thema bleiben.
Sympheny: Energiesysteme von morgen planen
Moderne, dezentrale Energiesysteme sind eine hochkomplexe Angelegenheit. Diese optimal und kosteneffizient zu planen, stellt eine große Herausforderung für Energieplaner*innen dar. Das Empa-Spin-off „Sympheny“ bietet dazu eine Software, die Planer*innen dabei hilft, das geeignete Energiekonzept für ein Gebäude, ein Quartier oder gar eine ganze Stadt zu finden und so deren Ziele hinsichtlich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zu erfüllen.
Ein nachhaltiges Energiesystem ist vergleichbar mit einer Symphonie – im besten Fall einem perfekten Zusammenspiel von Komposition, Musikern und Dirigent*in. Im Energiesystem nehmen die Rolle des Komponierens Energieplaner*innen ein. Deren Aufgabe wird allerdings zunehmend komplex, da laufend neue Technologien auf den Markt kommen und die Anforderungen – beispielsweise im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Zuverlässigkeit – sich konstant verändern.
Von zentralen zu dezentralen Energiesystemen
Die steigende Komplexität ist vor allem der Umstellung von zentralen auf dezentrale Energiesysteme geschuldet. Getrieben wird diese Veränderung durch den Wandel hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft. In dezentralen Energiesystemen werden mehrere Gebäude in einem Quartier oder Areal zusammengeschlossen, die erneuerbare Energien und verschiedene Umwandlungs sowie Speichertechnologien gemeinsam nutzen. Die Gebäude sind nicht nur Energieverbraucher, sondern auch Energieproduzenten, indem sie überschüssige Energie, beispielsweise aus ihrer Photovoltaik-Anlage, sowohl speichern wie auch zurück ins Netz speisen. Damit werden sie selbst zu einem wichtigen Bestandteil des Systems.
Für die Planer*innen bedeutet das, dass sie die Energiesysteme zwingend in ihrer Ganzheit betrachten und aus einer großen Zahl an Technologien und deren möglichen Kombinationen die optimalen Lösungen finden müssen. Gleichzeitig müssen die Energieplaner*innen die Netzstabilität gewährleisten und immer auch die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Eine wohlklingende Symphonie zu kreieren und nicht einfach auf gängige Standard-Stücke zurückzugreifen, die Dutzende von Orchestern bereits gespielt haben, wird damit zu einer hochkomplexen Aufgabe. Ein Unternehmen, das dieses Problem erkannt hat und Abhilfe schafft, ist das Empa-Spin-off „Sympheny“. Harmonie zu bringen – und so maximale Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu erreichen.
Web-Tool für einfachere Energieplanung
Sympheny bietet Planer*innen ein cloudbasiertes Tool, mit dessen Hilfe sie einfach und kosteneffizient das optimale Energiesystem für ein Gebäude, Quartier oder gar eine Stadt planen können. „Unsere Plattform berücksichtigt eine Vielzahl an Faktoren wie die verfügbaren erneuerbaren Energien und Lieferanten an einem bestimmten Standort, die unterschiedlichen Energiebedürfnisse oder die relevanten Technologien. Gleichzeitig werden auch die verschiedenen Ziele der Planer*innen miteinbezogen, etwa die Reduktion der CO2-Emissionen, der Ausbau von erneuerbaren Energien oder die Kostensenkung“, erklärt Andrew Bollinger, CEO von Sympheny.
Anhand dieser Vielzahl von Angaben hilft das Online-Tool den Planer*innen, das optimale Energiesystem für den Standort zu finden. Es beantwortet dabei zentrale Fragen, beispielsweise, ob und welche Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach oder an der Fassade angebracht werden sollen, welche saisonalen Speicher man einbauen sollte oder wie die thermischen Netzwerke aufgebaut sein sollten. Vor allem aber kann die Plattform Energieplaner*innen helfen, diese unterschiedlichen Fragen im Gesamtkontext zu betrachten und Antworten darauf zu liefern, die die zahlreichen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen den Technologien und Energieflüssen an einem bestimmten Standort mitberücksichtigen.
Ein Stück aus der Praxis
Gemeinsame Projekte mit Industriepartnern zeigen, dass das Tool von Sympheny ein enormes Potenzial birgt. Ein Beispiel: Gemeinsam mit der Empa half Sympheny dem Versorgungsunternehmen IBC Energie Wasser Chur dabei, neue Energiekonzepte für Quartiere der Bündner Hauptstadt zu finden, mit denen diese die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2040 auf netto Null senken können.
Das Team erstellte zunächst mit der Sympheny-Software ein digitales Modell für die Stadt. Um die optimalen Lösungen zu finden, wurden im nächsten Schritt mithilfe der Algorithmen von Sympheny verschiedene mögliche Energiekonzepte bewertet und deren Kosten sowie CO2-Bilanz berechnet. Mit dieser Auswahl an möglichen Konzepten kann das Versorgungsunternehmen nun einfacher diejenige Lösung finden, die ihm dabei hilft, sein „Netto-Null“-Ziel mit minimalen Kosten zu erreichen.
>> Lesen Sie auch: Das Gebäude als Rohstoffbank
viboo: Wenn der Algorithmus am Thermostat dreht
Mit den steigenden Energiepreisen werden im kommenden Winter unweigerlich auch die Heizkosten steigen. Um diese abzufedern, werden Lösungen benötigt, mit denen sich Gebäude effizienter betreiben lassen. Das Empa-Spin-off „viboo“ hat dazu einen Algorithmus entwickelt, mit dem man auch ältere Gebäude auf einfachem Weg mit rund einem Viertel weniger Energie betreiben kann.
Ein Thermostat, der das Raumklima vorausschauend regelt und dadurch die Energieeffizienz und den Komfort verbessert – diese Idee kam den Forschern Felix Bünning und Benjamin Huber im Laufe ihrer Arbeit im „Urban Energy Systems Lab“ der Empa. Die beiden entwickelten einen Regelalgorithmus, der basierend auf Wetter- und Gebäudedaten mehrere Stunden im Voraus den idealen Energieaufwand eines Gebäudes berechnen kann.
Die ersten Experimente im NEST, dem Forschungs- und Innovationsgebäude von Empa und Eawag, zeigten, dass mit diesem Ansatz rund ein Viertel der Energie eingespart werden kann. Im März 2022 gründeten die beiden Forscher zusammen mit Matthias Sulzer, Senior Researcher an der Empa, offiziell das Spin-off „viboo“, um die Lösung auf den Markt zu bringen. Um den Markteintritt zu erleichtern, muss der Algorithmus allerdings noch einigen weiteren Praxistests standhalten.
Wir zielen darauf ab, unsere Lösung in ältere Gebäuden zu integrieren, in denen es kein Gebäudeleitsystem gibt.Benjamin Huber, Geschäftsführer viboo
Pilot in einem Empa-Bürogebäude
„Wir zielen darauf ab, unsere Lösung in ältere Gebäuden zu integrieren, in denen es kein Gebäudeleitsystem gibt“, erklärt Benjamin Huber. Aus diesem Grund haben sich die beiden Jungunternehmer dazu entschieden, ihren Algorithmus nach den erfolgreichen Tests im modernen NEST noch weiter auf die Probe zu stellen. Dazu brauchten sie ein geeignetes "älteres" Versuchsobjekt und ein Partnerunternehmen, das smarte Thermostate im Portfolio führt.
Ersteres stellte die Empa-Direktion zur Verfügung: Das Verwaltungsgebäude, das in den 1960er-Jahren gebaut und 2009 renoviert wurde und damit ein ideales Versuchsobjekt darstellte. Auch beim Partnerunternehmen wurde man fündig. „Mit Danfoss konnten wir einen internationalen Hersteller für das Projekt gewinnen, dessen smarte Heizkörper-Thermostate bereits eine geeignete Schnittstelle besaßen. Über diese können die vom viboo-Algorithmus berechneten Stellwerte aus der Cloud an die Hardware übermittelt werden“, erklärt Huber.
Im ersten Schritt wechselte das Team die 150 bestehenden analogen Thermostate im Empa-Gebäude durch die smarte Lösung von Danfoss, dem "Danfoss Ally", aus. Danach wurde die Hardware mit der Danfoss Cloud verbunden. Um die Stellwerte für die smarten Thermostaten zu erhalten, kommunizierte die Danfoss Cloud wiederum mit der viboo Cloud, auf der der selbstlernende Algorithmus lief.
Damit war das Setup bereit für den Feldversuch. Die neuen Thermostate regelten das Raumklima von Weihnachten 2021 bis Ende März 2022. Um einen Vergleich ziehen zu können, wurden die Betriebsmodi regelmäßig gewechselt, sprich vom viboo-Regler auf den Standardbetrieb von Danfoss Ally und wieder zurück. Am Ende des Versuchs wurden zudem die Nutzer*innen befragt, um zu erfassen, wie der Raumkomfort wahrgenommen wurde und ob solche neuen Lösungen grundsätzlich akzeptiert werden.
Win-win: Weniger Energie, besserer Komfort
Auch bei diesem Pilotprojekt fielen die Ergebnisse sehr positiv aus. Insgesamt wurde rund 23 Prozent weniger Heizenergie gebraucht verglichen mit der Heizperiode im Jahr zuvor – und dies bei gleichbleibendem oder gar besserem Nutzer*innen-Komfort. Im Vergleich dazu sparte Danfoss Ally alleine lediglich 12 Prozent ein. „In unseren Umfragen haben sich nur ganz wenige Nutzer*innen skeptisch gegenüber der neuen Technologie gezeigt. Das stimmt uns zuversichtlich, dass auch der Markt unsere Lösung annehmen wird“, sagt Felix Bünning. Erst Mitte September konnte das Start-up eine Seed-Finanzierungsrunde in Höhe von 104 Mio. Euro durch Investitionen des High-Tech Gründerfonds, Swisscom Ventures und
Rainmaking Impact abschließen.
Und auch das Partnerunternehmen zeigt sich beeindruckt von den ersten Ergebnissen. „Wir sehen großes Potenzial in der Zusammenarbeit mit viboo und denken, dass solche Lösungen die Zukunft sind – nicht nur bei der Regelung eines einzelnen Gebäudes, sondern für ganze Energiesysteme“, meint Andrea Cannarozzo, Geschäftsführer der Danfoss AG. Visionär gedacht, könnte der viboo-Algorithmus nämlich künftig verschiedene Smart-Home-Integrationen wie Wärmepumpen oder Solaranlagen optimieren, aber auch dazu beitragen, das elektrische Netz oder Wärmeverbünde nachhaltiger zu betreiben.
NEST – Gemeinsam an der Zukunft bauen
NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) ist das modulare Forschungs- und Innovationsgebäude der Schweizer Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) und des Wasserforschungsinstituts Eawag.
Im NEST werden neue Technologien, Materialien und Systeme unter realen Bedingungen getestet, erforscht, weiterentwickelt und validiert. Die enge Kooperation mit Partnern aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand führt dazu, dass innovative Bau- und Energietechnologien schneller auf den Markt kommen. NEST trägt dazu bei, den Umgang mit Ressourcen und Energie nachhaltiger und kreislaufgerechter zu gestalten.