150 Jahre Geberit : Jubiläumsinterview: „Wir sind als Marktführer die Angegriffenen“

Guido Salentinig, seit 2020 Geschäftsführer Geberit Österreich.

Guido Salentinig, seit 2020 Geschäftsführer Geberit Österreich.

- © Geberit

Der Gründer: Neugierde und Seriösität

Ich frage zuerst nach dem „i“: Wann ist aus der Firma Gebert, die den Namen des Gründers trug, die heutige Geberit geworden – und warum?

Guido Salentinig: Das war in den 1950ern, als wir den ersten Spülkasten aus PVC auf den Markt gebracht haben. Kunststoff hat geboomt, Bakelit war als erster industriell herstellbarer Kunststoff ganz an der Spitze und sehr beliebt; mit der neuen Endung wollte man zeigen, dass Kunststoff jetzt die Kernkompetenz von Geberit ist.

Albert Gebert war Spengler, er hat das Unternehmen 1874 gegründet, von Rohrinstallationen bis zum Blitzableiter alles angeboten und dazu noch einen Haushaltswarenladen geführt: Was hat er aus heutiger Sicht richtig gemacht?

Salentinig: Er hat sich für Neuheiten interessiert und vieles angegriffen. Dabei hat er trotzdem seriös gewirtschaftet, wie es Schweizer bis heute auszeichnet. Diese Neugierde, gepaart mit Unternehmergeist, ist heute noch die DNA von Geberit.

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Foto der Gründerfamilie: Albert Gebert mit seiner Frau Josefina und den beiden Söhnen Albert Emil (links) und Leo (rechts), kurz nach 1892.
Foto der Gründerfamilie: Albert Gebert mit seiner Frau Josefina und den beiden Söhnen Albert Emil (links) und Leo (rechts), kurz nach 1892. - © Geberit

Die Schritte in Richtung Sanitärtechnik

Den Grundstein für das „moderne“ Geberit hat er 30 Jahre nach der Gründung gelegt, als er einen mit Blech ausgekleideten Holzkasten für die WC-Spülung entwickelt hat. Kann man sagen, dass die Geberit-Geschichte erst damit so wirklich Schwung aufnahm?

Salentinig: Ja, so könnte man es sehen. Der erste Spülkasten war auch der erste Schritt in Richtung Sanitärtechnik. Dem folgten als weitere Meilensteine der angesprochene PVC-Spülkasten, der Unterputz-Spülkasten 1964 und letztlich der Einstieg in die gesamte Sanitärtechnik.

Heute sieht sich Geberit als „Marktführer für Sanitärsysteme“. Wann begann der Fokus auf die gesamte Sanitärtechnik? Begann das mit dem Ausstieg der Familie in den 1990ern?

Salentinig: Das hat sich schrittweise entwickelt, setzte aber schon früher ein. Der Hauptgrund war, dass sich Geberit immer mehr zu Installateur*innen hinorientiert hat. Nach dem PVC-Spülkasten war PE-Schweißen das nächste große Ding. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Monteure Abwasserrohre aus Guss schleppen, und jeder, der sowas schonmal auf der Schulter hatte, weiß wie groß der Vorteil von Abflussrohren aus PE für die Installateur*innen damals war. Geberit hat die Verarbeiter in der Verbindungstechnik geschult, die Installateur*innen sind quer durch Österreich gefahren, um das zu lernen. Das hat Geberit und die Installateur*innen im wahrsten Sinne des Wortes „zusammengeschweißt“.

Der 1905 von Albert Gebert erfundene, mit Blei ausgeschlagene Geberit Holzspülkasten Phönix, ging ab 1909 in Serienproduktion.
Der 1905 von Albert Gebert erfundene, mit Blei ausgeschlagene Geberit Holzspülkasten Phönix, ging ab 1909 in Serienproduktion. - © Geberit
Wenn möglich ziehen es die Leute vor, ein in Österreich gefertigtes Produkt zu verbauen statt ein anderes.

Der Weg zur stärksten Marke

In den 1990ern hat Geberit den Schritt zum Konzern gemacht und auf Akqusitionen gesetzt. Was dabei auffällt: Die übernommenen Marken wurden immer in den Markennamen Geberit integriert, bis hin zu so starken Namen wie Keramag. Warum dieser Fokus auf die Ein-Marken-Strategie, warum nicht mehrere Marken unter einem Dach wie bei anderen großen Unternehmen?

Salentinig: Da sind wir wieder bei den Installateur*innen: Weil wir uns selber als starke Marke beim Installateur sehen! Wenn Sie heute 100 Installateur*innen nach Keramag fragen, eine zweifelsohne gut eingeführte Marke, werden Ihnen 70 davon nicht auf Anhieb sagen können, dass das jetzt im Geberit-Portfolio ist. Geberit ist als Marke über Jahrzehnte gut aufgebaut worden und wird von den Installateur*innen sehr positiv erlebt.

Das heißt, Geberit war immer die stärkere Marke als diejenigen, die übernommen wurden?

Salentinig: Ja, das kann man so sagen. Wobei wir Produkte mit den Produktnamen ja weiterführen: Geberit Mapress oder Geberit Huter beispielsweise. Zum Markenwert gehören bei Geberit auch die Endkund*innen. Schon alleine, dass der Name auf jeder Drückerplatte am WC steht, hilft uns immens. Mit dem AquaClean Dusch-WC wurde zudem viel in Endkund*innen-Markenbildung investiert: Man kennt uns, wir werden als Sanitärmarke wahrgenommen.

Heute hat Geberit 12.000 Mitarbeiter*innen und zuletzt 3,4 Mrd. Schweizer Franken Umsatz. Zwei der 30 Produktionswerke stehen in Österreich, in Pottenbrunn und Huter in Matrei: Welchen Stellenwert hat Österreich im Konzern?

Salentinig: Die beiden Werke sind sehr erfolgreich und im Konzern hoch angesehen. Pottenbrunn ist ein klassisches Kunststoffwerk und passt als solches gut in die Geberit-Welt. Huter konzentriert sich auf Metallverarbeitung, das gibt es bei Geberit nicht oft. Die Besonderheit ist, dass hier nicht nur Serienfertigung, sondern auch Sonderanfertigungen für Installationsschächte beheimatet sind. Der Vertrieb in Österreich ist davon unabhängig, aber es hilft uns freilich, dass wir hierzulande 500 Arbeitskräfte in echten Fabriken beschäftigen: Ich bin davon überzeugt, dass in vielen unserer Kund*innen ein patriotisches Herz schlägt. Wenn möglich ziehen es die Leute vor, ein in Österreich gefertigtes Produkt zu verbauen statt ein anderes.

1917–1921 baut Albert Emil Gebert in Rapperswil die erste Fabrik.

- © Geberit
Österreich ist sicher einer der bedeutendsten Märkte für Geberit. Insbesondere die Versorgungstechnik, also Alu-Verbundsysteme, haben bei uns einen höheren Marktanteil.

Wegbereiter für das Dusch-WC

Der Sanitärmarkt in Österreich hat den Ruf, besonders hochwertig und auch hochpreisig zu sein. Können Sie das bestätigen?

Salentinig: Österreich ist sicher einer der bedeutendsten Märkte für Geberit. Insbesondere die Versorgungstechnik, also Alu-Verbundsysteme, haben bei uns einen höheren Marktanteil. Das höhere Niveau in Österreich bzw. im gesamten D-A-CH-Raum ist einerseits freilich eine Frage der Kaufkraft, hat aber auch mit der guten Ausbildung des Fachhandwerks zu tun. Unsere Installateur*innen sind qualitätsbewusst, und sie denken unternehmerisch: Mit fortschrittlichen, schnellen Press-Systemen kommt der Verarbeiter einfach günstiger weg, als wenn er Kupfer lötet. Das ist sicher nicht in allen Märkten in diesem Ausmaß gegeben.

Das Dusch-WC haben Sie schon angesprochen: Geberit leistet seit über 20 Jahren Überzeugungs- und Pionierarbeit in Europa. Die Marktdurchdringung ist trotzdem noch weit von japanischen Verhältnissen entfernt: Ist das Dusch-WC für Sie eine Erfolgsbilanz?

Salentinig: Der Weg, den das Dusch-WC genommen hat, ist sehr erfolgreich! Stückzahlen sind das eine, der Werthebel ist das andere. Wir haben geschafft, das Dusch-WC als wesentlichen Teil des WC-Geschäfts in Österreich zu etablieren. Dabei geht es weit über den Produktverkauf hinaus, es geht um Wellness, Hygiene, Lebensgefühl und Wohlbefinden – der Endkundenmarkt ist nochmal etwas ganz anderes als der technische B2B-Produktverkauf. Das ist uns insgesamt sehr gut gelungen, auch mit dem Aufbau eines gut funktionierenden Werkskundendienstes für unsere Dusch-WCs.

Das Neuprodukt AquaClean Alba ist preislich sehr deutlich unter den bisherigen Angeboten: Soll das bei der Marktdurchdringung, also bei der Erhöhung der Stückzahlen helfen?

Salentinig: Alba ist für uns ein Türöffner in zwei Segmenten. Zum einen sprechen wir Kund*innen an, bei denen die Schwelle dafür, was sie für ein WC auszugeben bereit sind, niedriger liegt. Sowohl im Geschosswohnbau als auch beim Häuslbauer sind das Menschen mit knappem Budget, denen die 1.000 Euro für ein Dusch-WC dann eben schon noch wert sind. Zum anderen zielen wir damit auf den Hotelmarkt: Wir haben mit unseren bisherigen Dusch-WCs relativ wenige Zimmer ausgestattet. Mit Alba kann der Hotelbetreiber jetzt vielleicht allen Gästen diesen Komfort bieten, und nicht nur den größeren Suiten mit höherem Zimmerpreis.

Roland Hinden ist der erste Technische Berater von Geberit.

- © Geberit

Für leistbaren Wohnraum, gegen praxisfremde Normen

Geberit setzt im technischen Produktverkauf stark auf technische Standards, sowohl durch Engagement in Normungsausschüssen als auch durch Schulungen zu ebendiesen Normen. Wird das Normenthema den Kund*innen nicht zu viel? Man kann einen Installateur verlässlich zum Schimpfen bringen, indem man ihn über seine Meinung zu Normen befragt …

Salentinig: Genau deshalb versuchen wir dort, wo wir mitwirken können, im Sinne der Verarbeiter die Praktikabilität der Normen sicherzustellen! Weil wir ja nicht immer nur davon reden können, dass wir leistbaren Wohnraum brauchen, und dann machen wir es den Errichtern durch praxisfremde Normen schwer. Anderseits gilt: Regel ist Regel, und wir versuchen unseren Partnern regelkonforme Lösungen zu vermitteln, mit denen er erfolgreicher wird.

Sie sind Anfang 2020 als Geschäftsführer bei Geberit Österreich angetreten. Seither ist praktisch durchgehend Krise, von Corona über Lieferketten-Probleme und Energiekostensteigerung bis zum Einbruch am Bau. Wie gehen Sie persönlich damit um?

Salentinig: Zu meiner Rolle gehört es, die Last zu verteilen. Ich kann die Herausforderungen ja ohnehin nicht alleine lösen, das geht nur gemeinsam. Wir sind ein eingeschweißtes Team und schon lange Jahre zusammen. Hohe Mitarbeiterloyalität macht es leichter, die Kolleginnen und Kollegen haben so viel Marktkenntnis und Erfahrung, dass es einfacher ist auf die Herausforderungen zu reagieren.

Geberit ist ausschließlich in Segmenten tätig, die vom Rückgang des Wohnbaus besonders stark betroffen sind. Was kann man dagegen tun?

Salentinig: Ja, der Einbruch beim Wohnbau trifft uns alle. Auch wenn es Segmente gibt, die besser laufen, Industrie- oder Bürogebäude beispielsweise: Das kann den fehlenden Wohnbau nicht kompensieren. Also versuchen wir natürlich, einerseits unsere Marktanteile zu verteidigen und dort, wo sich Chancen ergeben, Marktanteile zu gewinnen, wenn die Stückzahlen schon zurückgehen.

Ad Exposed Cistern 1955 original
© Geberit
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Jeder Geschäftstreibende macht seine Geschäfte so, dass er Geld verdient, das ist auch ok. Nur werden bei den Kampfangeboten oft Äpfel mit Birnen verglichen.

Die Strategie gegen Lockangebote des Mitbewerbs

Jetzt ist Geberit aber in den meisten Ihrer Produktsegmente ohnehin Marktführer. Als solcher ist es schwerer, Marktanteile zu gewinnen. Außerdem orientieren sich die Mitbewerber an Ihnen, bis hin zu Kampfangeboten, bei denen garantiert wird, jeden Geberit-Preis zu unterbieten. Wie reagieren Sie auf die üblichen Versuche, Ihnen Marktanteile abzujagen?

Salentinig: Zuallererst pragmatisch! Jeder Geschäftstreibende macht seine Geschäfte so, dass er Geld verdient, das ist auch ok. Nur werden bei den Kampfangeboten oft Äpfel mit Birnen verglichen: Wir legen unseren Kund*innen die Fakten auf den Tisch, und da zeigt sich meist, dass von den Sonderangeboten nicht viel übrig bleibt.

Geben Sie mir ein Beispiel dafür!

Salentinig: So ein Lockangebot bezieht sich zum Beispiel auf die 90°-Bögen für 20 mm Rohre, also auf das Produkt, das auf einer Baustelle am häufigsten benötigt wird. Das bringt den Kund*innen aber nichts, denn er braucht für die Gesamtinstallation ja nicht nur die Bögen, sondern 100 andere Einzelteile. Auch die gesamte Kombination muss der Mitbewerber haben und insgesamt auch noch billiger sein. Und da bleibt vom Lockangebot meist nicht viel über. Alleine bei Mapress Edelstahl haben wir über 500 einzelne Teile im Sortiment: Der zweitgrößte Mitbewerber hat nicht mal halb so viele. Wir produzieren die 250 zusätzlichen Teile ja nicht aus Spaß, gewisse Anlagen lassen sich eben nur mit komplettem Systemangebot umsetzen. Dazu braucht es auch Zulassungen, die immer nur gelten, wenn man durchgängig in einem System arbeitet. Diese Tatsachen legen wir auf den Tisch: Wir sind als Marktführer die Angegriffenen, da haben Sie schon recht, aber wir wissen uns mit Zahlen und Fakten zu verteidigen.

Wie geht es mit der Marktnachfrage und mit dem Wohnbau aus Ihrer Sicht weiter?

Salentinig: Der Wunsch schöner zu wohnen verschwindet ja nicht, egal ob im Ein- oder Mehrfamilienhaus. Der Markt beginnt sich gerade zu konsolidieren, nur müssen wir erst die Gewohnheit der niedrigen Zinsen aus den Köpfen bekommen. Das Zinsniveau wird nicht so rasch auf das Null-Komma-irgendwas-Niveau zurückgehen. Ein Häuslbauer weiß aber noch, was sein Freund vor drei Jahren gebaut hat und sich leisten konnte, das ist heute auf Kredit eben nicht mehr in demselben Umfang möglich. Also müssen sich da die Gewohnheiten ändern, wie groß und mit welcher Ausstattung ich einen Bau beginne. Heuer bleiben wir wohl noch in der Talsohle, 2025 wird es wieder losgehen. Die Gebäudetechnik ist ein Nachgewerk, zuerst muss der Rohbau stehen: Drum denke ich, dass es bis Mitte 2025 schon noch dauern wird, bis wir wieder voll loslegen können.

Die Gebäudetechnik ist ein Nachgewerk, zuerst muss der Rohbau stehen: Drum denke ich, dass es bis Mitte 2025 schon noch dauern wird, bis wir wieder voll loslegen können.

Geberit ändert Installationsgewohnheiten

Welche technischen Innovationsschübe sind im 151. Jahr von Geberit zu erwarten?

Salentinig: Mit FlowFit haben wir seit drei Jahren das innovativste System am Markt, da sind wir noch lange nicht am Ende der Reise. Beim Abwasser bringen wir mit Silent Pro Supertube eine echte Innovation auf den Markt. Diese Idee, durch spezielle Formstücke im Abwasserstrang Luftsäulen entstehen zu lassen, werden wir weiter entwickeln. Damit sparen wir Platz und sind zudem schneller und wirtschaftlicher: Das wird die Installationsgewohnheiten ändern!

Hände, die die zwei Pressbacken über Rohre halten.
© Geberit