UVP-Absenkung in der Sanitärbranche : Mondpreise, Margen und der Schatten des Kartellamts

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Die "Mondpreise" müssen fallen – da ist sich die Sanitärbranche einig, ansonsten gehen die Meinungen zu den UVPs weit auseinander.

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„Wir müssen runter von den Mondpreisen“, das ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich fast die gesamte Sanitärbranche einigen kann. Mit den „Mondpreisen“ sind die Bruttopreise gemeint, die UVP (unverbindlichen Verkaufspreise), in denen die Hersteller den Wiederverkäufern öffentlich vorschlagen, wie viel ihre Produkte für die Endverbraucher*innen inklusive Umsatzsteuer und aller anderen Abgaben kosten sollten.

Auch dass das Bad von Installateur*innen wieder attraktiver für Endkund*innen werden muss, darüber gibt es Einigkeit. Doch kaum senkt tatsächlich jemand die Bruttopreise, ist es Schluss mit der Einigkeit: Von „Die Industrie versucht, sich auf Kosten der Installateur*innen bei Endkund*innen gut darzustellen“ bis „die Installateur*innen verdienen mehr am Material als Industrie und Großhandel zusammen, da muss endlich Kostenwahrheit rein“ reichen die Meinungen, die hinter manchmal gar nicht so vorgehaltener Hand geäußert werden.

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Gamechanger für Sanitär: Die Erfindung des Webshops

In der Sanitärbranche ist das Thema ein Dauerbrenner, seit Anfang des 21. Jahrhunderts die ersten Webshops mit Badprodukten auftauchten. Diese Webshops gaben vom Start weg hohe Rabatte auf die UVPs der Markenprodukte. Das ist der Kern ihres Geschäftsmodells, das im dreistufigen Vertrieb seit über 20 Jahren für Rechtfertigungsdruck sorgt: Endkund*innen, die mit Internet-Ausdrucken von Aktionspreisen in Schauräume kommen, in denen Waschtische und Armaturen das Doppelte kosten wie im Online-Shop.

Die Befürchtung, dass die Vertriebsschiene über das Fachhandwerk dadurch obsolet werden würde, hat sich als unbegründet erwiesen: Der fachgerechte Einbau, die damit verbundene Gewährleistung, die Einbettung der Vorderwand-Produkte in eine gesamte Badplanung plus Installation auch hinter der Wand waren bisher als ausreichend starke Argumente für den dreistufigen Vertriebsweg, der die Montage einzelner beigestellter Produkte in ein ansonsten komplett vom Installatationsbetrieb kommendes Bad, ist stillschweigend als gelegentliche Hybrid-Lösung akzeptiert.

Business woman hand typing on keyboard with online shopping concept
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Spektakuläre UVP-Reduktion 2024

Doch das Thema blieb am Tapet. Denn die Online-Shops haben sich als Vertriebsweg bei den Endkund*innen etabliert und werden langsam, aber sicher stärker, je jünger und digital affiner die Kundschaft wird. Mit dem Einbruch bei der Nachfrage nach neuen Bädern im Vorjahr hat die Diskussion um die „Mondpreise“ neue Nahrung bekommen:

Einzelne Hersteller wie Keuco und Kludi sind 2024 den Schritt gegangen, die UVP-Listen radikal abzusenken. Seither wird darüber wieder intensiv und sehr kontrovers diskutiert – aber öffentlich nur sehr vorsichtig, denn über allen Gesprächen in der Sanitärbranche zu Preisen schwebt das Kartellrecht wie ein Damoklesschwert. Die Bereitschaft, sich mit Aussagen zu dem Thema Bruttopreis-Absenkung öffentlich zitieren zu lassen, war bei vielen der kontaktierten Gesprächspartner am Ende sehr gering, die Vorsicht überall spürbar.

Kludi Armaturen
Kludi hat seine UVP-Listen 2024 radikal abgesenkt. - © Kludi

Kartellstrafen: Drei Musterprozesse am Sanitärmarkt

  • Europa 2010:
    Wegen unlauterer Preisabsprachen verhängte die Europäische Kommission gegen 17 namhafte internationale Hersteller von Badausstattungen eine Gesamtstrafe von 622 Mio. Euro. Die Absprachen des Sanitärkartells hätten spätestens 1992 begonnen, so das Urteil. Zwei der angeklagten Unternehmen nutzten eine Kronzeugenregelung und gingen straffrei aus. In Österreich bedeutete das das Ende der ASI (Arbeitsgemeinschaft Sanitär-Industrie), die als Vertretung des Sanitärkartells in der Alpenrepublik gesehen wurde.

  • Deutschland 2018:
    Das Bundeskartellamt verhängte Strafen in Höhe von 23 Mio. Euro gegen zehn Großhändler und eine Einzelperson in Deutschland, denen nachgewiesen wurde, sich über Jahre hinweg bei der Kalkulation von Bruttopreisen zum Nachteil der Konsument*innen abgestimmt zu haben. Die Absprachen wurden bis in die 1970er zurückverfolgt.

  • Schweiz 2015:
    Die eidgenössische Wettbewerbskommission verhängte gegen ein Großhandelskartell eine Strafe von 80 Mio. Franken. Den zehn Unternehmen hätten sich ab 1997 über Bruttopreise, Rabatte, Nebenkosten und Margen abgestimmt

Markenprodukte: Konkurrenzfähig durch niedrigere Preise

Der Auslöser für die aktuelle Diskussion war die Entscheidung von Kludi, die Bruttopreise mit April 2024 pauschal um 25 Prozent zu senken. Sowohl die Höhe der Absenkung als auch die Entscheidung, die UVP-Reduktion linear über alle Produkte durchzuführen, sorgte für Aufsehen. Als Vorreiter sieht sich Kludi dennoch nicht, denn Bruttopreisabsenkungen gab es von verschiedenen Herstellern in den letzten Jahren immer wieder – doch meist eben nur für einzelne Produktgruppen, in Zusammenhang mit Relaunches bestehender Segmente oder in deutlich geringerer Form. Erwähnenswert ist dabei vor allem Keuco: Der Möbel-Spezialist und Bad-Komplettanbieter senkte seine UVPs schon zu Beginn des Jahres um 15 Prozent, und zwar wie jetzt Kludi linear über alle Produkte.

Während Keuco lediglich von einer taktischen Entscheidung spricht, die nötig war, argumentiert Kludi deutlich ausführlicher: „Unser Ziel war es, die Bruttopreisabsenkung so einfach wie möglich für alle Beteiligten zu gestalten.“ Was die Auswirkungen auf die tatsächlichen Marktpreise anbelangt, verweist der Armaturenspezialist kartellrechtlich korrekt auf die nächste Vertriebsstufe: „Die Entscheidung, ob, wann und wie die Absenkung umgesetzt wird, liegt alleine in der Verantwortung des Großhandels“. Kludi betont, diesen Schritt explizit zur Stärkung des 3-stufigen Vertriebswegs gegenüber den anderen Vertriebsschienen gesetzt zu haben: „Wir wollten die Kludi-Produkte für Endverbraucher*innen vom Preis-Leistungs-Verhältnis her wieder attraktiver gestalten. Durch die Bruttopreisabsenkung wollten wir dem 3-stufigen Vertriebsweg die Möglichkeit schaffen, auch mit Markenprodukten gegenüber anderen Vertriebskanälen konkurrenzfähig zu bleiben.“

Wenn es nur darum geht, den billigsten Preis für einen 60er-Unterschrank zu halten: Das ist kein Markt für uns.
Herbert Schwingenschuh, Conform

UVP-Senkung: Keine Freude bei den B2B-Kunden

Insgesamt bleibt die Zahl der Badausstatter, die sich für eine UVP-Senkung entschieden haben, noch gering. Unter denen, die nach reiflicher Überlegung die UVPs vorerst unverändert gelassen haben, ist die Tiroler Badmöbel-Manufaktur Conform. Herbert Schwingenschuh, geschäftsführender Gesellschafter von Conform, hat dazu Gespräche mit Installateur*innen geführt und sagt: „Die Mehrzahl unserer Kunden hätte damit aktuell keine Freude.“

Denn wenn die Bäderausstellungen so wie derzeit Realität ganz einfach zu wenig frequentiert werden, dann spielt die Bruttopreis-Empfehlung der Hersteller ohnehin keine wesentliche Rolle. Auch der starke Fokus der Handwerker auf die Heizung reduziere derzeit die Montagekapazitäten. Die Positionierung als Anbieter individualisierter Badmöbel sei dabei ebenfalls berücksichtigt worden: „Dieses Produktsegment spielt in Online-Shops keine Rolle, und wenn es nur darum geht, den billigsten Preis für einen 60er-Unterschrank zu halten: Das ist nicht unser Hauptfokus“, so Schwingenschuh.

Aber das sei eine Momentaufnahme, eine Strategieänderung bei veränderten Rahmenbedingungen schließt Schwingenschuh, der die Installateur*innen und den Großhandel als seine beiden wichtigsten Partner am Markt bezeichnet, nicht aus: „Für uns überwiegt im Moment, dass wir Installateur*innen die Möglichkeit geben wollen, selbst über ihre Angebote zu entscheiden.“

Herbert Schwingenschuh, geschäftsführender Gesellschafter von Conform, hat sich gegen eine UVP-Senkung entschieden.
Herbert Schwingenschuh, geschäftsführender Gesellschafter von Conform, hat sich gegen eine UVP-Senkung entschieden. - © Conform
Österreich ist ein Rabattland: Es wird von den Kund*innen erwartet, dass wir mit den Bruttopreisen kalkulieren und dann Rabatte geben.
Robert Breitschopf, Landesinnungsmeister von Wien

Auf Kosten der Installateur*innen

Warum sind so viele Installateur*innen so erbost über die Senkung der Bruttopreise? „Weil sich die Industrie damit auf Kosten der Installateur*innen bei Endkund*innen gut darstellt!“, sagt Robert Breitschopf, Landesinnungsmeister von Wien: „Man fährt über uns drüber, ohne mit uns gesprochen zu haben.“ Die UVPs seine für den Verkauf wichtig, das sei eingebürgerte Praxis: „Österreich ist ein Rabattland: Es wird von den Kund*innen erwartet, dass wir mit den Bruttopreisen kalkulieren und dann Rabatte geben.“ Vor allem kleinere Handwerksbetriebe hätten gar nicht die Möglichkeit, jedes einzelne Angebot von unten nach oben zu kalkulieren und nach jeder Baustelle eine genaue Nachkalkulation zu machen – der branchenübliche Weg sei nun mal ein anderer.

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Wir müssen wissen, welche Hersteller die Reise mit uns gehen wollen, und welche lieber über andere Kanäle verkaufen wollen.
Robert Breitschopf, Landesinnung Wien

Badinstallation: 170 Euro für eine Partiestunde?

Die Wiener Landesinnung lässt beispielsweise regelmäßig Preisanalysen am Markt durchführen. Diese enthalten keine Preisempfehlung, können von den Installateur*innen aber als Richtwert für ihre Mischkalkulationen herangezogen werden. Die Kritik, dass die Handwerker zu niedrige Stundenpreise verlangen, sich die fehlende Marge dann aber am Material holen, und dass die Installateur*innen das ja ändern könnten, lässt er nicht gelten: „Wir können nicht plötzlich 170 Euro für die Partiestunde verlangen, da machen die Endkund*innen nicht mit. Deshalb haben wir ja einen höheren Materialanteil.“

Der Kern seiner Kritik ist aber die fehlende Kommunikation mit den Installateur*innen. Also mit jenen, die gegenüber den Endkund*innen den Kopf hinhalten, den Verkauf verantworten und die Preisänderungen auch argumentieren müssen, ohne in die Gedankengänge der Industrie mit einbezogen zu werden: „Wir müssen wissen, welche Hersteller die Reise mit uns gehen wollen, und welche lieber über andere Kanäle verkaufen wollen.“ Sein Wunsch: Es wäre schön, wenn sich diejenigen, die den 3-stufigen Vertrieb befürworten, sich mit den Installateur*innen auch wirklich an einen Tisch setzen, statt einfach Entscheidungen zu treffen: „Wenn jeder den anderen versteht, ist es leichter!"

Robert Breitschopf, Landesinnungsmeister von Wien
Robert Breitschopf, Landesinnungsmeister von Wien, wünscht sich mehr Kommunikation mit Installateur*innen. - © Breitschopf
Die Marke war früher ein Segen. Jetzt wird sie zum Fluch, weil Installateur*innen an den hohen Bruttopreisen festhalten wollen und der Großhandel in Richtung Eigenmarke flüchtet.
Anonymer Industrievertreter

Großhandels-Eigenmarken als Fluchtweg

Als Ausweg aus dem Preisgestaltungs-Dilemma, dass sich auf Markenprodukte der Industrie bezieht, wird vom Großhandel immer wieder die Eigenmarke ins Spiel gebracht: Diese „Handelsmarken“ hätten eine unvergleichliche Positionierung, weil sie nicht in den Online-Shops landen, und zudem einen für Installateur*innen freundlichere Rabattgestaltung sowie eine den Endkund*innen gegenüber günstigere Preisstellung. Sind die Eigenmarken des Großhandels also die Gewinner hoher Marken-UVPs?

Nur in der Theorie, sagt Marius Heinze, Präsident des österreichischen Großhandelsverbands: In der Praxis würden die Installateur*innen wegen der hohen Margen auf Markenprodukte diese nach wie vor bevorzugen. Robert Breitschopf hat noch einen anderen Einwand: „Genau dieselben Industrieunternehmen, die auch die Markenprodukte liefern, produzieren für den Großhandel deren Eigenmarken.“

>> Zum vollen Interview mit Marius Heinze geht es hier!

Daher sei die Idee, mit Eigenmarken die zu hohen UVPs auszugleichen, zwar verständlich – es würde sich aber nicht viel am Marktgleichgewicht ändern. Ein Industrievertreter, der nicht genannt werden will, sieht das hingegen sehr wohl als Grundproblem: „Die Marke war früher ein Segen. Jetzt wird sie zum Fluch, weil Installateur*innen an den hohen Bruttopreisen festhalten wollen und der Großhandel in Richtung Eigenmarke flüchtet.“

Marius Heinze, Präsident des österreichischen Großhandelsverbands
Mit Eigenmarken die zu hohen UVPs auszugleichen, wird nicht viel am Marktgleichgewicht ändern, argumentiert Marius Heinze, Präsident des österreichischen Großhandelsverbands. - © Heinze

Konjunkturverlauf entscheidend für Sanitärprodukte

Wohin also mit den Bruttopreisen bei Sanitärprodukten vor der Wand? Das wird, und auch das ist einer der wenigen gemeinsamen Nenner in der Branche, sehr viel von dem weiteren Konjunkturverlauf abhängen: Steigt die Nachfrage nach Bädern wieder, oder bleibt sie am Boden? Denn ohne Verkaufsabschlüsse, ohne konkrete Projekte bleibt die Diskussion über die UVPs theoretisch. Zwei Fragen müssten beantwortet werden, sagt ein ebenfalls aus der Industrie stammender Gesprächspartner: „Bringt es mehr Menschen in die Bäderschauräume? Und wenn ja, bringt es auch mehr Abschlüsse bei Kund*innen, die ansonsten online kaufen würden?“