Sanierung: Ablauf, Kriterien und Umsetzung : Die Zukunft unseres Gebäudebestands muss neu gedacht werden

Aus Alt mach Neu

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Stellen Sie sich vor: Ein großes Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren in Graz, alte Fassade zur Straße und zum Hof hin, alte Fenster, kein Fernwärmeanschluss, dafür Gasetagenheizungen oder Einzelheizungen in jeder Wohnung etc. Die Strom- und Heizungsrechnung 2022 viel zu hoch, die privaten Eigentümer*innen und Mieter*innen des Hauses in Aufruhr und Sorge um die Zukunft. Was tun – wie kann ihnen geholfen werden? Im selben Moment, in dem Sie nun an einen Heizungstausch denken und damit alle Probleme lösen wollen, verstehen Leute wie ich die Welt nicht mehr: Jetzt haben wir 30 Jahre damit verbracht, allen zu erklären, warum eine umfassende Sanierung eines alten Gebäudes Sinn macht und dann das? Gas raus, Wärmepumpe rein – und das war’s?

Die Sanierung im Fokus

Sie ahnen es: Natürlich ist die Sache nicht ganz so einfach. Bei vielen kommen Gedanken an eine Sanierung auf, einige wollen lieber an eine „Modernisierung“ oder auch „Revitalisierung“ des Hauses denken. Gleichzeitig wird Ihnen mulmig. Sie fragen sich:

  • Jetzt wird es kompliziert – was ist denn bei einer Sanierung überhaupt zu tun?
  • Was muss ich beachten, wie sollte die Planung ablaufen?
  • Welches Heizsystem ist zu wählen, um langfristig klimaneutral zu leben?
  • Wie schaffe ich eine Umstellung und wo findet sich Platz (zentral im Keller, im Dachboden, dezentral in jeder Wohnung)?
  • Soll/ Muss eine Lüftung rein?
  • Wer hilft mir bei den komplexen technischen Themen?
  • Wie überzeuge ich die anderen im Haus, wie viele müssen mitmachen?
  • Kann ich mir / kann sich die Gemeinschaft im Haus die notwendigen Maßnahmen leisten – wer finanziert die Umbauten?
Bereits vorhandene ältere Dämmung der obersten Decke im Dachboden
Bereits vorhandene ältere Dämmung der obersten Decke im Dachboden - © AEE INTEC

Und viele weitere Fragen tauchen auf. Nun wird sich jeder sagen: Na dafür wird es sicherlich Expert*innen und Geld geben – wir sind doch auf einem politischen Kurs in Richtung Klimaneutralität 2040 – da ist die Gebäudesanierung und Raus aus Öl und Gas ja die oberste Priorität! Nun, erste Schritte dorthin gibt es, viele Einzelinitiativen auch, vor allem in den Bundesländern, aber reicht das?

RENOWAVE.AT
ist jedenfalls als Innovationslabor vom Klimaschutzministerium beauftragt worden, das Thema Gebäude- und Quartierssanierung österreichweit in den Fokus zu rücken, sei es durch Forschungs-Initiativen, aber auch durch „Charme“- Offensiven. Seit Beginn 2022 kümmern sich plus / minus sechs Personen im Innovationslabor RENOWAVE.AT um das Lüften von Geheimnissen und Mythen rund um die Gebäudesanierung. Dabei helfen Empfehlungen und Erfahrungen aus anderen Projekten. Diese stammen aus der das Innovationslabor tragenden Genossenschaft, die aus mehr als 20 heimischen Universitäten, Fachhochschulen und Forschungs- sowie Entwicklungsorganisationen im Bereich Energie und Gebäude besteht.

>> Lesen Sie auch: „PhaseOut“ – so gelingt der Gasausstieg

Was machen mit einem alten, versteckten Heizkörper?
Was machen mit einem alten, versteckten Heizkörper? - © AEE INTEC

Ablauf und Kriterien für die Sanierung

Bleiben wir bei unserem Beispiel des großen, alten Wohngebäudes der 1960er-Jahre:

Technische Bestandserhebung im Vorfeld

Zuerst wollen wir wissen, wie es um das Gebäude bestellt ist. Wollen wir später Maßnahmen wie Dämmung umsetzen, müssen wir wissen, ob die Konstruktion des Gebäudes eine neue Fassade überhaupt trägt. Neue Fußboden- oder Stiegenhauslösungen und Brandschutzmaßnahmen müssen ja ebenfalls mitüberlegt werden. Also machen wir eine vertiefte technische Analyse der Baukonstruktionen, der Energieversorgung und -erfordernisse, eine Schadenserhebung.

Wenn schon umfassend saniert werden soll, dann wollen wir auch wissen, wie das Mobilitätsverhalten im Haus ist, können wir Parkplätze für andere Maßnahmen sparen, wie die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung sind, wie die Frei- und Grünraum- sowie soziokulturelle Struktur vor Ort ist u. Ä. Diese Dinge müssen vor Ort und mit technisch erfahrenem Personal und im Dialog mit den Mieter*innen, Eigentümer*innen und Hausverwaltung analysiert und dokumentiert werden.

Fragen müssen im Vorfeld aufgeworfen werden wie: Die Raumhöhen sind knapp an dem Mindesterfordernis von 2,5 m und zusätzliche Maßnahmen für Schallschutz oder Umstieg auf Flächenheizsystem dadurch nicht möglich. Akzeptanz für neue Schalldämmmaße, Raumhöhen usw. ist nicht da, oder doch? Ist die vorhandene Bausubstanz (Statik, Schallschutz usw.) so, dass sich eine Sanierung mit einem vertretbaren wirtschaftlichen und ökologischen (graue Energie) Aufwand auszahlt?

Gibt es für eine umfassende Sanierung ausreichende Mittel aus dem Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag (EVB) oder anderen Rücklagen? Sind die Wohnungsgrundrisse zeitgemäß und die Wohnflächen zu groß oder zu klein? Ist eine neue Innen-Erschließung notwendig bzw. können die bestehenden Stiegenhäuser weiterbenutzt werden, bzw. hat es Platz für eine nachträgliche Installation eines Liftes (Barrierefreiheit)?

Anforderungen und Ziele sowie Varianten bzw. Maßnahmenpakete

Welche Sanierungs-Varianten und Möglichkeiten stehen auf Basis der technischen Analyse zur Verfügung, das Quartier zu entwickeln? Welchen Beitrag soll das Haus für klimafittes Wohnen liefern?

  • Definition komfort- und energierelevanter Parameter
  • Erhebung der Potenziale für den Einsatz von lokalen erneuerbaren Energien wie solares Potenzial oder Fläche für Erdsondenfelder
  • Erstellung eines Energie- und Freiraumkonzepts mit Varianten
  • Lebenszyklusbewertung in Bezug auf Baukonstruktion, Baustoffeinsatz und Energieversorgung sowie den damit verbundenen Kosten
  • Überprüfung von Nachverdichtungspotenzial, also z. B. Aufstockung weiterer Wohnungen

Dialogprozess

Wichtig und oft vergessen ist, dass ein Sanierungsprozess nicht nur etwas rein Technisches, sondern das Einbeziehen wichtiger Interessensgruppen wie Bewohner*innen bzw. Mieter*innen, aber auch Energieversorger und Hausverwaltung des Hauses zentral für die Akzeptanz ist.

  • Erstellung einer Siedlungsbeschreibung auf Basis soziodemographischer Charakteristika (Bewohnerstruktur, Einkommen, Alter, Haushaltsgröße, persönliche Perspektive etc.) inkl. Erhebung der Mietstruktur (Mietdauer, Miethöhe, Leerstand), Energie- und Heizkosten, Umzugswille, Lärmbelästigung etc.
  • Variantenanalyse im Dialog mit den Bewohner*innen - Basis für die weitere Kommunikation. Im Idealfall werden aus den möglichen Sanierungs-Varianten und dem Dialogprozess in Zusammenarbeit mit der übergeordneten Stadtplanung des Quartiers neue Entscheidungsgrundlagen für die Weiterentwicklung des Hauses erarbeitet.
DI Armin Knotzer „in Action“ – bei einer technischen Begehung in St. Veit
DI Armin Knotzer „in Action“ – bei einer technischen Begehung in St. Veit - © assam/AEE Intec

Umsetzung und Betrieb

Eine an die Bedürfnisse der Bewohner*innen angepasste Umsetzung sollte beispielsweise umfassen:

  • Laufender Dialog mit den Mieter*innen über Zeitplan, Maßnahmen und Mitbestimmungsmöglichkeiten;
  • Transparente Gegenüberstellung der Varianten und den damit verbundenen Errichtungskosten sowie den daraus resultierenden monatlichen Belastungen, unter Berücksichtigung von Möglichkeiten des Bezugs von Mietbeihilfe / Mietzuschuss;
  • Für den Fall, dass ein Auszug von Bestandsmieter*innen notwendig wird, sollen für die davon betroffenen Mieter*innen geeignete Angebote entwickelt werden, wie bspw. möglichst wohnungsnahe Alternativwohnungen, Umzugshilfe, Starterpakete für Kücheneinrichtungen (bspw. durch Sammelbestellungen etc.).
  • Die konkreten Maßnahmen, die dann umgesetzt werden, um im Haus nach der Sanierung prinzipiell mehr Energie zu sparen und Gas oder Öl rauszubekommen, sind dann so vielfältig, wie auch das jeweilige Gebäude individuell sein und bleiben kann:
    • Dämmung der Keller-, Obersten Decke, Außenwand
    • Tausch der nicht weiter verwendbaren und reparierbaren Fenster gegen Wärmeschutzfenster
    • Dämmung bzw. Entschärfen der Wärmebrücken im Bereich Sockel, Balkone und Loggien
    • Neue Zubauten und Einhausungen mit der Möglichkeit der Integration von Solarkollektoren, PV-Modulen, neuer Haustechnik wie Wärmepumpen, Begrünung etc.
    • Belassen oder Verändern der Wärmeverteilung und -abgabe über Heizkörper, Flächenheizungssystemen außen und innen (hängt natürlich von benötigter Heizleistung ab)
    • Entscheidung über zentrale oder dezentrale, in den Einzelwohnungen installierte Heizenergiequellen wie Wärmepumpen oder Fernwärmeübergabestationen oder Biomassekessel
    • Soll das Warmwasser unabhängig oder mit der Heizenergiequelle bereitet werden, zum Beispiel mit einer Wärmepumpe oder direkt-elektrisch?
    • Sind dann Heizungs- oder Warmwasserspeicher und in welcher Größe notwendig? usw.

Die Erfassung der Betriebsdaten und vor allem, was damit passiert und wie diese für die Gewährleistung eines reibungslosen Betriebs von Nutzen sind, muss schon vorher in der Planung festgelegt werden, führt aber erst zu einem nachhaltigen Erfolg eines Projekts! Nun, wie Sie sehen, ein größeres Projekt, eine solche Sanierung, für die es keine Standardlösung geben kann, die gesamtheitlich gedacht und geplant werden sollte. Der Gewinn daraus: Klimaneutralität 2040 ist gemeinsam mit der Versorgungssicherheit machbar und dazu noch eine größere Unabhängigkeit von Energiekosten!