Energiewende erforschen : Nachhaltige Wärmeversorgung für sanierte Mehrfamilienhäuser

Ein Mehrfamiliengebäude im Smarten Quartier Karlsruhe-Durlach. Auf dem Dach wurde eine PV-Anlage mit 60 kWp Leistung installiert.

Ein Mehrfamiliengebäude im Smarten Quartier Karlsruhe-Durlach. Auf dem Dach wurde eine PV-Anlage mit 60 kWp Leistung installiert.

- © Fraunhofer ISE

Wärmepumpen gelten als Schlüsseltechnologie für die Wärmewende. Ihr Einsatz in Mehrfamilien-Bestandsgebäuden stellt allerdings noch eine Herausforderung dar: Solche Gebäude stellen sowohl an die Übergabesysteme für Raumwärme und Warmwasser als auch an die Erschließung von Umweltwärme besondere Anforderungen. Im Verbundprojekt "LowEx im Bestand" wurden nun Lösungen analysiert, entwickelt und demonstriert, um Wärmepumpen, Wärmeübergabe- und Lüftungssysteme in energetisch sanierten Mehrfamilienhäusern (MFH) einzusetzen. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), das INATECH der Universität Freiburg und das Karlsruher Institut für Technologie stellen im Abschlussbericht Lösungsansätze und beispielhafte Umsetzungen vor.

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Die Herausforderungen liegen hier in der höheren erforderlichen Leistung des Wärmeerzeugers und der Lage der Gebäude in dicht bebauten Quartieren.
Jeannette Wapler, Fraunhofer ISE

Veralteter Gebäudebestand

Ein Blick auf die Struktur des Gebäudesektors macht deutlich, dass einer der größten Hebel für die Wärmewende im Gebäudebestand liegt: Laut Statistik Austria stammt mehr als die Hälfte aller Wohngebäude mit drei oder mehr Wohnungen aus der Zeit vor 1970. Wärmepumpen bieten beim Einsatz in sogenannten LowEx-Systemen ein erhebliches Potenzial zur CO2-Reduktion. LowEx-Systeme arbeiten aufgrund geringer Temperaturdifferenzen zwischen Heizmedium und Nutzwärme besonders effizient. Während sie in Ein- und Zweifamilienhäusern sowohl im Neubau als auch im Bestand immer häufiger eingesetzt werden, sind Wärmepumpen im Geschosswohnungsbau noch wenig verbreitet.

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„Die Herausforderungen liegen hier in der höheren erforderlichen Leistung des Wärmeerzeugers und der Lage der Gebäude in dicht bebauten Quartieren. Zudem erfolgt die Wärmeübergabe und die Trinkwasserbereitstellung in diesen Gebäuden häufig mit hohen Vorlauftemperaturen", erläutert Jeannette Wapler vom Fraunhofer ISE. Daher hätten die Lösungsansätze im Projekt die Themen Quellenerschließung und die Absenkung von Systemtemperaturen in den Mittelpunkt gestellt.

Im analytischen Teil des Projektes wurde die Zuordnung von Systemkonzepten zu Mehrfamilienhaus-Gebäudetypen unter Berücksichtigung des Nutzungskomforts, wirtschaftlicher Aspekte und der erreichbaren CO2-Einsparung systematisch untersucht und bewertet. Das Forschungsteam führte eine ganzheitliche Analyse der Wärmeversorgung von der Niedertemperaturquelle bis zur Wärmeübergabe durch. Dabei wurden unter anderem die Potenziale einer Solarisierung der Gebäudehülle, mögliche Energieträgerkombinationen und der Einsatz von Hybridsystemen betrachtet.

*Diese Zahlen wurden 2011 erhoben, mit einer Veröffentlichung der Daten des letzten österreichweiten Census aus dem Jahr 2021 wird Mitte 2023 gerechnet.

Gut zu wissen: Was ist ein LowEx-System

Der deutsche Bundesverband Geothermie definiert LowEx-Systeme wie folgt: „Der Ansatz der Niedrig-Exergie-(LowEx-)Systeme im Bereich der Wärmeversorgung versucht, die Temperaturdifferenzen zwischen räumlich nahen Komponenten in einem Wärmesystem so gering wie möglich zu halten. Dadurch werden die Exergieverluste durch Wärmeleitung oder die Notwendigkeit von Wärmedämmung reduziert. Das LowEx-Konzept ist heute eine wesentliches Planungsinstrument zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Bereich Wärme/Kälte resp. Gebäude." Darunter fallen beispielsweise Wärmerückgewinnung, Nutzung von Abwärme, Nutzung von Umgebungstemperatur, Nieder-Temperatur-Heizsysteme (Stichwort Anergienetze) und Hoch-Temperatur-Kühlsysteme etc.

Weitere Informationen: www.nachhaltigwirtschaften.at/resources...

Projekt "gefünftelt"

In fünf Teilprojekten hat das Forschungsteam in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie neue LowEx-Komponenten und -Systeme für Mehrfamilienhäuser entwickelt. So entstand im Projekt "HEAVEN" gemeinsam mit dem Heizungshersteller Viessmann ein Mehrquellen-Wärmepumpensystem. Im innerstädtischen Bereich fehlt häufig der Platz für Erdsondenbohrungen, die Wärmequelle Außenluft ist vergleichsweise ineffizient und weist höhere Schallemissionen auf. Das Mehrquellen-Wärmepumpensystem kombiniert die Vorteile der beiden Wärmequellen Außenluft und Erdreich. So wird nur eine geringe Bohrfläche benötigt und trotzdem die hohe Effizienz einer Sole-Wärmepumpe erreicht.

„Bei der Sanierung von Mehrfamilienhäusern kommt auch der dezentralen Wohnraumlüftung eine wichtige Rolle zu, da hier erhebliche Energieeinsparpotenziale schlummern und die nachträgliche Installation deutlich einfacher und kostengünstiger ist", weiß Prof. Andreas Wagner vom KIT. Ziel des Projekts war daher die Optimierung der Regelung von dezentralen Lüftungsgeräten und die Entwicklung einer Methode zur Bewertung dieser Geräte. Dazu wurde am Fraunhofer ISE eine nutzerzentrierte, selbstlernende Regelung für dezentrale Pendellüfter entwickelt und im Energy Smart Home Lab des KIT erfolgreich demonstriert.

Weitere Projekte umfassen die Entwicklung eines Hybridsystems (Wärmepumpe in Kombination mit einem fossil befeuerten Wärmeerzeuger), einer Wärmepumpe mit Kältemittelkreislauf auf Basis des natürlichen Kältemittels Propan, fassadenintegrierte Lüftungsgeräte sowie Hochtemperaturwärmepumpen.

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Intelligente Energieversorgung für 160 Wohnungen

Die in den Technologieprojekten entwickelten Versorgungstechnologien wurden in drei beispielhaften Sanierungsprojekten umgesetzt, messtechnisch detailliert begleitet und evaluiert. „Wertvoll war dabei die Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft, der Wärmepumpenindustrie und den Energieversorgern, die ihre verschiedenen Sichtweisen in das Projekt eingebracht haben", erklärt Projektleiterin Dr.-Ing. Constanze Bongs vom am Fraunhofer ISE.

Die Wissenschaftler*innen analysierten sowohl die Leistungsfähigkeit der vorgestellten LowEx-Systeme als auch den Sanierungsprozess selbst. In Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Energieservice (KES) realisierte das Team ein komplexes Energieversorgungskonzept für fünf bestehende Mehrfamilienhäuser mit 160 Wohnungen in Karlsruhe-Durlach. Die neue Energieversorgung wird durch eine intelligente Kombination von Technologien erreicht: Auf allen Dächern wurden Photovoltaikanlagen installiert. Zwei Gebäude werden über Wärmepumpen mit Spitzenlast-Gaskesseln versorgt. Für eine CO2-arme Wärmeerzeugung müssen solche Hybridsysteme so ausgelegt sein, dass die Wärmepumpe einen möglichst hohen Deckungsgrad erreicht und der Gaskessel entsprechend selten läuft.

Nachweis der Machbarkeit

In einem der Gebäude kommt das in "HEAVEN" entwickelte Wärmepumpensystem mit kombinierter Wärmequelle (Außenluft, Erdwärme) zum Einsatz. Drei weitere Gebäude sind an ein Nahwärmenetz angeschlossen, das von Erdgas-Blockheizkraftwerk-Aggregaten versorgt wird. Der erzeugte Strom wird unter anderem für den wirtschaftlichen Betrieb der dezentralen Wärmepumpen genutzt. Ein Energiemanagementsystem sorgt dafür, dass die miteinander vernetzten Wärmepumpen, BHKW und PV-Anlagen so gesteuert werden, dass der Betrieb der Wärmepumpen möglichst wirtschaftlich mit lokal erzeugtem Strom erfolgt.

Im ersten Betriebshalbjahr erreichte die Mehrquellenhydraulik von "HEAVEN" hohe Quellentemperaturen mit einem Mittelwert 8° C, was zu einer guten Jahresarbeitszahl von 3,2 im ersten ausgewerteten Betriebshalbjahr (Februar - Juli 2022) beitrug. Dass der Spitzenlast-Gaskessel einen Anteil von 31 Prozent an der Wärmebereitstellung hat, liegt vor allem an den hohen Temperaturanforderungen für hygienisches Trinkwarmwasser.

Insgesamt erreicht die Anlage eine Einsparung von 42 Prozent an CO2-Äquivalenten im Vergleich zum Projektbeginn. Im Vergleich mit dem ungedämmten Bauzustand von 1963 entspricht dies sogar einer CO2-Reduktion von 73 Prozent. Durch einen optimierten Betrieb mit geringerem Gaseinsatz, eine höhere Arbeitszahl der Wärmepumpe oder eine geringere CO2-Intensität des Strommixes könnten die Emissionen zukünftig weiter reduziert werden. Das modellhafte Energiekonzept ist auf andere Quartiere mit bestehenden Mehrfamilienhäusern übertragbar.

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Die Wärmepumpenhydraulik des HEAVEN-Systems nutzt die Synergien von Luft (Verfügbarkeit, Kosten) und Erdwärme (Temperaturen, Effizienz) zur Lösung des Problems der begrenzten Flächen in Städten.
Die Wärmepumpenhydraulik des HEAVEN-Systems nutzt die Synergien von Luft (Verfügbarkeit, Kosten) und Erdwärme (Temperaturen, Effizienz) zur Lösung des Problems der begrenzten Flächen in Städten. - © Fraunhofer ISE
Die Demonstratoren haben die Machbarkeit der Sanierung von MFH mit Wärmepumpen und LowEx-Technologien nachgewiesen.
Manuel Lämmle, INATECH

Situationsbezogene Vorgehensweise

„Die Demonstratoren haben die Machbarkeit der Sanierung von MFH mit Wärmepumpen und LowEx-Technologien nachgewiesen. Wichtig ist, sich die jeweilige Situation, einschließlich der Übergabesysteme und des Platzes im Heizungskeller, anzuschauen. Bei der Sanierung sollte unbedingt ein hydraulischer Abgleich des Heizungssystems eingeplant werden und geprüft werden, ob mit dem Austausch einzelner Heizkörper die Vorlauftemperaturen weiter abgesenkt werden können", betont Dr.-Ing. Manuel Lämmle, der das Projekt am INATECH betreut.

Unter anderem sieht das Team weiteren Forschungsbedarf bei der Entwicklung von Lösungen für den Ersatz von Gasetagenheizungen, der Hochtemperaturbereitstellung und der Trinkwassererwärmung durch Wärmepumpen. Im neuen Projekt "LCR290" werden daher Wärmepumpen mit dem umweltfreundlichen Kältemittel Propan für den Einsatz in Mehrfamilienhäusern entwickelt.

Zum vollen Abschlussbericht: www.lowex-bestand.de/i...